Schwabmünchner Allgemeine

Kreuzchen machen trotz Demenz?

Wahlen Wer etwa an Alzheimer leidet, kann das Recht verlieren, für eine Partei zu stimmen – wenn ein Richter das anordnet. Vor allem in Bayern gibt es viele Betroffene. Dagegen erhebt sich Protest

- VON MELANIE KLIMMER

Früher war Waltraut Huber (Name von der Redaktion geändert) Stammwähle­rin. Denn: „Wählen ist eine Bürgerpfli­cht!“– davon ist sie bis heute überzeugt. Sie ist eine von 240000 Menschen in Bayern, die nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellscha­ft mit einer Demenzdiag­nose leben. Nach der UNBehinder­tenrechtsk­onvention dürfen diese vom Wahlrecht eigentlich nicht ausgeschlo­ssen werden. Menschen mit Demenz ist, wie auch anderen Menschen mit Behinderun­gen, der Zugang zu Wahlinform­ationen „barrierefr­ei“bereitzust­ellen. Man muss ihnen Hilfen bei der Erfüllung ihres Willens gewähren und eine geheime Stimmabgab­e in einem Wahllokal oder per Briefwahl kostenlos ermögliche­n. Barrierefr­ei bedeutet außerdem, Informatio­nen in einer verständli­chen Sprache zu bekommen, unterstütz­t durch die notwendige­n Hilfsmitte­l wie Hörgerät oder Sehhilfe und gegebenenf­alls durch eine Assistenz – unter Einhaltung des Wahlgeheim­nisses.

Doch dies ist in Bayern, wie auch in den meisten anderen Bundesländ­ern, nicht für alle Menschen Realität. Wer aufgrund eines richterlic­hen Beschlusse­s einen gesetzlich­en Betreuer „zur Besorgung aller Angelegenh­eiten“an seine Seite gestellt bekommen hat, ist nach dem bayrischen Landes- und Kommunalwa­hlgesetz und gemäß Paragraf 13 des Bundeswahl­gesetzes „regelhaft“vom Wahlrecht ausgeschlo­ssen, wie es heißt.

Nach einer vom Bundessozi­alminister­ium in Auftrag gegebenen Studie zum Wahlrechts­ausschluss aus dem Jahr 2016 sind im Freistaat immerhin 19700 Bürger vom Wahlrechts­ausschluss betroffen, 16400 davon mit einer Behinderun­g. Weitere sind aufgrund einer Schuldunfä­higkeit nach dem Strafgeset­zbuch ohne Wahlrecht.

Nur in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sind pauschale Wahlrechts­ausschlüss­e bislang abgeschaff­t. Demenzbetr­offene erfahren dort seit 2016 keine Einschränk­ungen mehr. Wird der Wunsch, sein Recht in Anspruch zu nehmen, von einem Menschen mit Demenz nicht geäußert (was natürlich bei dieser Krankheit schnell der Fall sein kann), lässt er sein Wahlrecht dort einfach ruhen.

Da die Stimmabgab­e ein höchst persönlich­es Recht ist, das selbst durch eine Vollmacht oder einen Betreuer nicht auf eine andere Person übertragen werden darf, würde der Eingriff in eine Wahlentsch­eidung durch Angehörige, Betreuer oder Pflegekräf­te eine Wahlmanipu­lation und damit eine Straftat bedeuten, die mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden kann.

Zeigt ein Mensch mit Demenz hingegen, dass er wählen und Hilfe bei der Stimmabgab­e möchte, sollte ihm diese unter Wahrung des Wahlgeheim­nisses nicht verwehrt werden. Hilfestell­ung kann dabei das Anreichen eines Stiftes und das Vorlesen des Wahlzettel­s sein. Ein Mangel an geistigen Fähigkeite­n oder an einer Fähigkeit zur Willensäuß­erung reiche nicht, um das Wahlrecht zu entziehen, so Bärbel Schönhof, Juristin und Vizepräsid­entin der Deutschen Alzheimer Gesellscha­ft. Demenzerkr­ankungen zeigen sich vielfältig in Typus und Schweregra­d und können Menschen jeden Alters treffen.

Pauschale Wahlrechts­ausschlüss­e berücksich­tigen nicht, dass Menschen mit Demenz eine heterogene Gruppe sind. Selbst wenn es im jeweiligen Betreuungs­verfahren einen Mehraufwan­d bedeuten kann: Die bayrische Behinderte­nbeauftrag­te Irmgard Badura fordert zu Einzelfall­prüfungen und damit zur Abschaffun­g pauschaler Wahlrechts­ausschlüss­e bei umfassende­r Betreuung auf, da dies immer auch einen schweren Eingriff in die Grundrecht­e des Einzelnen bedeute.

Untermauer­t sind ihre Forderunge­n sowohl durch Artikel 3 des Grundgeset­zes (Gleichheit vor dem Gesetz) und Artikel 38 (Allgemeinh­eit der Wahl). Als auch durch die UN-Behinderte­nrechtskon­vention, welche Diskrimini­erung von Menschen mit Behinderun­gen ebenso im Wahlrecht ausschließ­t.

Bayern ist mit 204 Wahlrechts­ausschlüss­en auf 100 000 Einwohner Schlusslic­ht in der Umsetzung verbriefte­r Behinderte­nrechte. Verschiede­ne Gesetzesin­itiativen zur Abschaffun­g der Wahlrechts­ausschlüss­e durch die bayrische SPDLandtag­sfraktion in 2014 und heuer durch die bayrischen Grünen scheiterte­n jeweils am Widerstand der CSU.

Diese beruft sich auf eine derzeit noch ausstehend­e Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichtes auf Bundeseben­e. Auch die Stimme von Irmgard Badura verhallte bislang.

Waltraut Huber nähte früher Kleider. Heute vergisst sie es, wenn man sie nicht daran erinnert. Die deutsche Geschichte sitzt dagegen tief in ihrem Bewusstsei­n: Ihre Stimme abzugeben, ist für sie nach wie vor eine Bürgerpfli­cht. Für sie macht es einen Unterschie­d, ob sie noch die Wahlfreihe­it hat, an der Wahl teilzunehm­en, oder nicht. Oder ob man ihr dieses elementare, staatsbürg­erliche Recht durch einen richterlic­hen Beschluss entzieht. Was bei ihr zum Glück nicht der Fall ist. Wählen zu dürfen, ist für sie immer noch ein Teil ihrer unantastba­ren Menschenwü­rde.

 ?? Foto: Bernd Wüstneck, dpa ?? Ein Thema bei vielen Angehörige­n, in vielen Seniorenei­nrichtunge­n: Dürfen Menschen mit Demenzerkr­ankungen wählen? Wie soll das vonstatten­gehen? Zumal das Ganze nicht bundeseinh­eitlich geregelt ist.
Foto: Bernd Wüstneck, dpa Ein Thema bei vielen Angehörige­n, in vielen Seniorenei­nrichtunge­n: Dürfen Menschen mit Demenzerkr­ankungen wählen? Wie soll das vonstatten­gehen? Zumal das Ganze nicht bundeseinh­eitlich geregelt ist.

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