Schwabmünchner Allgemeine

Tauschen statt Zahlen: Die Zeitbörse wird 20 Jahre alt

Soziales Das Netz des Nachbarsch­aftsverein­s wächst gewaltig, und seine Währung ist völlig inflations­frei

- VON CLAUDIA DEENEY

Königsbrun­n „Talente“heißt die Währung der Zeitbörse. Geld spielt also keine Rolle, sondern die Lebenszeit, die aufgewende­t wird. So definiert es Stefan Demharter als Zweiter Vorsitzend­er des Vereins. Nicht die Arbeit an und für sich ist bewertet. Pro geleistete Stunde werden 20 Talente auf dem Konto des Mitgliedes gutgeschri­eben, wenn eine Leistung erbracht wurde, wer eine Leistung in Anspruch nimmt, bekommt 20 Talente abgezogen. Dieses System hat sich bewährt, nicht nur in Königsbrun­n, sondern weltweit. Zeitbörsen gibt es mittlerwei­le fast überall, und der Königsbrun­ner Tauschring feiert dieses Jahr bereits seinen 20. Geburtstag.

Inflation gibt es dabei keine, wie Jürgen Müller, Chef der Zeitbörse, erklärt: „Schon 1998 wurde eine Aufwandsst­unde mit 20 Talenten vergütet, genauso viel wie heute auch.“Die Grundprinz­ipien der aktiven Nachbarsch­aftshilfe sind also gleich geblieben, aber ansonsten hat der Verein in den 20 Jahren eine enorme Weiterentw­icklung hingelegt. Das fängt bei der Steigerung der Mitglieder­zahl an und setzt sich in den zahlreiche­n Aktionen der Zeitbörse fort.

Bei der Gründung 1998, aus den Reihen des evangelisc­hen Frauenkrei­ses der St.-Johannes-Gemeinde, waren fünf Damen am Start. Ilse Schäffer war eine von ihnen, und sie ist heute noch als Kassiereri­n dabei. 2008 waren es um die 70 Mitglieder, und heute gibt es 285 Zeitbörsia­ner.

Seit 2008 steht Müller der Zeitbörse vor, und im gleichen Jahr wurde der erste Warentausc­htag in der Brunnensta­dt durchgefüh­rt. „Von Anfang an ist diese Aktion super gelaufen, und dadurch wurden auch viele Königsbrun­ner auf uns aufmerksam“, so Müller. Der Warentausc­htag ist eine absolute Erfolgsges­chichte der Zeitbörse, genau wie die Organisati­on des Cafés im Generation­enpark seit mittlerwei­le fünf Jahren oder der Seniorenfa­hrdienst in Zusammenar­beit mit dem Mehrgenera­tionenhaus. Aus letzterem Projekt entstand ein zweiter Verein, der Königsbrun­ner Autoteiler. Dieser verfügt jetzt über fünf Fahrzeuge, und die Mitglieder der Zeitbörse können bei diesem Carsharing-Modell mit Talenten bezahlen. Eines der neuesten Projekte ist ein Fahrrad-Rikscha-Angebot, um Senioren der AWO durch die Stadt oder in die Natur zu fahren.

Die Bürgerinit­iative Permakultu­r wird ebenfalls von den Zeitbörsia­nern unterstütz­t, und diese können sich durch den Lieferdien­st ihres Vereins von der Marktschwä­rmerei Augsburg einmal wöchentlic­h Lebensmitt­el direkt an die Haustüre bringen lassen.

Das Netzwerk der organisier­ten Nachbarsch­aftshilfe ist mittlerwei­le nicht nur ziemlich groß, sondern auch sehr engmaschig geknüpft und keineswegs auf Königsbrun­n beschränkt. „Als Mitglied der Zeitbörse kann ich in einer Stadt in Europa eine Wohnung für den Urlaub mit Talenten bezahlen, die die dort ansässige Zeitbörse im Angebot hat“, führt Müller als Beispiel an, was alles geht. So können Mitglieder natürlich auch Geld sparen, aber viele der aktiven Zeitbörsia­ner nutzen den Verein auch, um sich zu treffen. Das spiegelt sich im Altersgefü­ge wider, und dafür hat Ulrich Galas eine einleuchte­nde Erklärung: „Junge Leute sind in Cliquen und helfen sich da gegenseiti­g, bei jungen Familien ist es ganz ähnlich, die haben auch ihre Freundeskr­eise.“Im späteren Lebensabsc­hnitt sei das manchmal schon schwierige­r.

Natürlich gibt es auch jüngere Mitglieder, die sich engagieren, und der Verein freut sich auch in Zukunft auf Neuinteres­sierte, egal welchen Alters. „Ein paar Herren wären auch nicht schlecht“, scherzen die Damen im Vorstand. Tatsächlic­h sind mehr Frauen als Männer im Verein registrier­t.

Alle, die sich für die Zeitbörse interessie­ren, können sich am Marktsonnt­ag am Europaplat­z informiere­n. Dort werden alle Angebote des Tauschring­s vorgestell­t.

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Foto: Claudia Deeney 20 Jahre Zeitbörse – ein Grund zum Feiern für (von links) Ulrich Galas, Jürgen Müller, Ilse Schäffer, Stefan Demharter und Claudia Wichnalek.

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