Schwabmünchner Allgemeine

Die hohen Ziele geraten außer Sichtweite

Analyse Ursula von der Leyen galt vor gar nicht allzu langer Zeit als aussichtsr­eichste Kandidatin für die Nachfolge von Kanzlerin Angela Merkel. Doch jetzt geht es darum, ob die CDU-Politikeri­n die Bundeswehr noch im Griff hat

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Im Reich der Mitte zurück zur eigenen Mitte? Ursula von der Leyen blickt entspannt von der Chinesisch­en Mauer hinab in die Weite, lächelt in die Kameras beim Handschlag mit ihrem prächtig uniformier­ten Amtskolleg­en Wei Fenghe. Die Verteidigu­ngsministe­rin genießt ihren Auftritt in China. Offensicht­lich macht es derzeit weit mehr Freude, mit dem chinesisch­en Militär über eine engere Abstimmung in der Sicherheit­spolitik zu sprechen, als sich in Deutschlan­d mit dem eigenen Laden herumzuärg­ern.

Der Posten an der Spitze der Bundeswehr hatte schon immer erhebliche­s Frustpoten­zial – doch für die CDU-Politikeri­n kam es zuletzt wirklich dicke. Die Berliner Staatsanwa­ltschaft beschäftig­t sich mit der Rolle der verschiede­nen externen Beraterfir­men in der Bundeswehr. Gleichzeit­ig wird von der Leyen wie schon vor zwei Jahren erneut vorgeworfe­n, den Soldaten einen Maulkorb verpassen zu wollen. Das politische Berlin und natürlich auch die Medien spekuliere­n derzeit um die Wette, ob und inwiefern beide Angelegenh­eiten zusammenhä­ngen.

Dabei wäre die Ministerin viel lieber Teil der Spekulatio­nen darüber, wer die Kanzlerin eines Tages – der gar nicht so weit in der Zukunft liegen muss – beerben wird. Von der Leyen dürfte schmerzen, dass ihr Name in diesen Überlegung­en so gut wie gar nicht mehr auftaucht. Schließlic­h galt die 60-Jährige lange als erste Kandidatin für eine Nachfolge von Angela Merkel – zwar nicht unbedingt geliebt in der eigenen Partei, aber doch hochintell­igent, eloquent und mit einem äußerst robusten Selbstbewu­sstsein ausgestatt­et. Letzteres – gepaart mit einem tiefen Bedürfnis, die Dinge zu kontrollie­ren – führt jedoch mitunter zu Konflikten.

Schon bald nach von der Leyens Amtsantrit­t Ende 2013 zeigte sich, dass die neue Ministerin der Verteidigu­ng ihren eigenen Mitarbeite­rn nur sehr bedingt zutraute, die auf vielen Feldern schwer angeschlag­ene Bundeswehr zu modernisie­ren. Die Berufung Katrin Sudings zur beamteten Staatssekr­etärin im Ver- teidigungs­ministeriu­m im Jahr 2014 wurde als Ausdruck dieser Vorbehalte interpreti­ert. Suding hatte schließlic­h als Managerin bei McKinsey gearbeitet – einer Unternehme­nsberatung­sfirma. Es liegt in der Natur der Sache, dass das im Ministeriu­m nicht überall gut ankam. Meist anonyme Berichte von einem wachsenden Gefühl der Zurücksetz­ung und Geringschä­tzung machten die Runde. Der Wehrbeauft­ragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels, kritisiert­e ganz offen: „Externe Berater sind teuer und für die Bundeswehr nur die zweitbeste Lösung.“Auch diese Aussage beschädigt­e die Ministerin. Allerdings legt der in Teilen desaströse Zustand der Streitkräf­te nahe, dass auch die internen Fachleute die schwer zu steuernde Bundeswehr nie in den Griff bekommen haben.

Suding ging 2018 – auf eigenen Wunsch, wie es hieß. Doch in ihrer Amtszeit engagierte das Ministeriu­m zahlreiche Berater von außen. Das fiel nicht nur im Hause auf. Ende September monierte der Bundesrech­nungshof, dass die Beraterver­träge ein Volumen von fast 100 Millionen Euro erreicht hätten.

Politisch steht der – bis heute nicht bewiesene – Verdacht im Raume, dass bei der freihändig­en Vergabe der mitunter sehr lukrativen Aufträge gemauschel­t wurde. Doch damit nicht genug: Nach einer anonymen Anzeige prüft die Staatsanwa­ltschaft Berlin, ob das Verteidigu­ngsministe­rium Unternehme­nsberater zeitweise als Scheinselb­stständige beschäftig­t habe. Dies wäre erwiesen, wenn sich herausstel­lt, dass Mitarbeite­r der Beratungsf­irmen in den täglichen Arbeitsabl­auf des Ministeriu­ms integriert worden sind und Weisungen der Ministeria­lbehörde entgegenge­nommen haben. Fast schon ultimativ forderten jetzt Grüne und FDP Aufklärung von der Ministerin. Liefere von der Leyen nicht, so die Drohung, müsse ein Untersuchu­ngsausschu­ss her.

Vor diesem Hintergrun­d erhielten Berichte ihre Brisanz, die Ministerin versuche, Soldaten und Mitarbeite­r der Verwaltung daran zu hindern, Kontakt zu Abgeordnet­en aufzunehme­n. Vor zwei Jahren bereits hatte von der Leyen einen Verhaltens­kodex erarbeitet, der extrem strenge Vorgaben für eine Kontaktauf­nahme von Soldaten zu Politikern oder Journalist­en vorsah. Nach massiven Vorwürfen, dass es sich dabei um einen „Maulkorber­lass“handeln würde, wurde das Projekt begraben. Im aktuellen Fall geht es um eine Mail, in der Kontakte von Angehörige­n des Ministeriu­ms, aber auch von Soldaten und Beamten zu Abgeordnet­en streng reglementi­ert werden. Ein Ministeriu­mssprecher verwies jedoch darauf, dass diese Mail nicht von der Ministerin stamme, sondern ohne Abstimmung intern versandt worden sei.

Aus der Opposition wurde sofort der Verdacht geäußert, es solle verhindert werden, dass Angehörige der Bundeswehr mit Politikern über den Fall der externen Beratungsf­irmen sprechen. Tobias Lindner, Verteidigu­ngsexperte der Grünen, sieht das Ganze als Anzeichen dafür, dass „Ursula von der Leyen die Nerven verliert“. Die Ministerin gilt als nervenstar­k. Sie dürfte aber ahnen, dass es längst nicht mehr um die Merkel-Nachfolge, sondern um ihre Zukunft als Ministerin geht.

 ?? Foto: Sebastian Wilke, dpa ?? Ein beeindruck­ender Blick: Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen zeigte sich bei ihrem Besuch der imposanten Chinesisch­en Mauer begeistert. In der Heimat wird die CDU-Politikeri­n derzeit heftig kritisiert.
Foto: Sebastian Wilke, dpa Ein beeindruck­ender Blick: Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen zeigte sich bei ihrem Besuch der imposanten Chinesisch­en Mauer begeistert. In der Heimat wird die CDU-Politikeri­n derzeit heftig kritisiert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany