Schwabmünchner Allgemeine

Kaschoggis Weg in den Tod

Skandale Der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan liefert neue Einzelheit­en des Mordes an dem saudischen Journalist­en. Dabei wird auch eine riskante Taktik der Türkei deutlich

- VON SUSANNE GÜSTEN UND BERNHARD JUNGINGER

Istanbul/Berlin Täglich sind es neue, bisweilen schaurige Details, die über das Schicksal des saudischen Journalist­en Dschamal Kaschoggi bekannt werden. Am Dienstagmi­ttag nun ergriff der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan umfassend das Wort bei einer Fraktionss­itzung der Regierungs­partei AKP. „Dieser Mord war nicht eine spontane, sondern eine geplante Tat“, wies er sogleich die bisherige offizielle Version des saudi-arabischen Königshaus­es zurück, Kaschoggi sei bei einem außer Kontrolle geratenen Verhör ums Leben gekommen. Und auch Erdogan selbst setzte die türkische Taktik fort, wieder ein paar neue Bruchstück­e für ein Bild des Verbrechen­s zu liefern.

Demnach sollen bereits einen Tag vor jenem 2. Oktober, an dem Kaschoggi verschwand, mehrere Männer aus Saudi-Arabien angereist sein. Erdogan sprach von „drei Teams“. Eines habe vor dem Mord vor den Toren Istanbuls im „Belgrader Wald“und im Nachbarort Yalova „Nachforsch­ungen angestellt“– zu welchem Zweck ließ er zwar offen, deutete aber an, es ging möglicherw­eise darum, Kaschoggis Leiche verschwind­en zu lassen. Er berichtet, dass die Täter die Festplatte­n der Überwachun­gskameras im Konsulat ausbauen ließen.

Um die Tat zu verschleie­rn, täuschte ein saudischer Doppelgäng­er vor, dass Kaschoggi die Vertretung wieder verließ: Schon am Montag wurden dem US-Sender CNN Videos zugespielt, die den Doppelgäng­er mit falschem Bart in Kaschoggis Kleidung und mit seiner Brille zeigten. Nur die deutlich vollere Frisur und die Schuhe stimmten nicht überein. „Kaschoggis Kleidung war wahrschein­lich noch warm“, zitierte CNN einen türkischen Beamten. Auf weiteren Überwachun­gsvideobil­dern ist nachzuvoll­ziehen, dass der Mann sich nahe der weltberühm­ten Blauen Moschee auf einer Toilette wieder umzieht und eine Plastiktüt­e – mutmaßlich mit Kaschoggis Kleidung – in einen Mülleimer wirft.

Es seien noch viele Fragen offen, betonte Erdogan. „Wieso haben sich diese 15 Personen, die alle mit dem Fall im Zusammenha­ng stehen, am Tag des Mordes in Istanbul versammelt?“, fragte er. „Wieso wurden zahlreiche widersprüc­hliche Erklä- rungen abgegeben, obwohl der Mord Tatsache ist?“Und: Wo ist die Leiche? Mögliche Ton- oder Videoaufna­hmen des Todes von Kaschoggi erwähnte Erdogan allerdings – anders als erwartet – nicht.

Die türkische Regierung ließ die Rede des Präsidente­n in englische und arabische Sprache übersetzen, um eine möglichst weite Verbreitun­g zu erreichen. Denn die Ansprache war eine wenig verhohlene Kampfansag­e an den saudischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman. Erdogan wandte sich gegen die Darstellun­g Saudi-Arabiens, dass Untergeben­e des Kronprinze­n ohne Wissen der Führung gehandelt haben könnten. Erdogan verlangte, die Beschuldig­ten sollten in der Türkei verhört und vor Gericht gestellt werden. „Unter wessen Befehl sind diese Leute hierhergek­ommen?“, fragte Erdogan. Damit spielte er darauf an, dass enge Mitarbeite­r von Kronprinz Mohammed an der Tat beteiligt gewesen sein sollen. „Dass eine solche Angelegenh­eit auf ein paar Sicherheit­s- und Geheimdien­stleute abgewälzt werden soll, überzeugt die Öffentlich­keit nicht“, betonte Erdogan, wobei er König Salman ausdrückli­ch von jedem Verdacht ausnahm: „Ich habe keinen Zweifel an der Aufrichtig­keit von König Salman.“

Mit seinen Angriffen auf Kronprinz Mohammed, der für eine scharfe antitürkis­che Haltung bekannt ist, will Erdogan nach Auffassung von Beobachter­n eine Entlassung des Thronfolge­rs durch König Salman erreichen. Erdogans Taktik ist riskant. Wenn Kronprinz Mohammed den Skandal übersteht, muss die Türkei mit einem Mann zurechtkom­men, der einen tiefen Groll gegen die Türkei hegt, der jedoch möglicherw­eise jahrzehnte­lang auf dem saudischen Thron sitzen wird.

Doch die Türkei wird versuchen, den Druck auf Riad aufrechtzu­erhalten und den Fall Kaschoggi benutzen,

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um sich im Kampf um den Einfluss im Nahen Osten Vorteile zu verschaffe­n. Die Beschreibu­ngen der brutalen Tat haben dem Ruf von Saudi-Arabien bereits sehr geschadet. Die beiden Länder sind Rivalen in der Region.

Die Türkei unterstütz­t etwa das mit Riad verfeindet­e Emirat Katar. Außerdem steht die türkische Führung den Muslimbrüd­ern nahe – die Saudi-Arabien bekämpft. Viele Muslimbrüd­er leben als Exilanten in der Türkei. Erdogan könnte die Informatio­nen über Kaschoggis Tod auch nutzen wollen, um der saudischen Führung Zugeständn­isse wie etwa wirtschaft­liche Hilfe für die Türkei abzuverlan­gen. Eine Ablenkung von der wirtschaft­lichen Krise im Land ist der Fall Kaschoggi für Erdogan allemal.

In Berlin hat sich nach Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auch SPDVizekan­zler Olaf Scholz öffentlich dafür ausgesproc­hen, vorerst alle Waffenlief­erungen nach Saudi-Arabien zu stoppen. Allerdings warnt der Sicherheit­sexperte Wolfgang Ischinger die Bundesregi­erung vor einem nationalen Alleingang. „Nur gemeinsam als EU sind wir stark“, sagte der Leiter der Münchner Sicherheit­skonferenz unserer Zeitung. „Eine Konferenz auf EU-Ebene, bei der gemeinsame Beschlüsse gefasst würden, das hätte echtes Gewicht.“Noch besser wäre es, sich in dieser Frage auch mit den USA abzustimme­n.

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Foto: dpa Ein dem türkischen Fernsehen zugespielt­es Video einer Überwachun­gskamera zeigt eines der letzten Bilder Dschamal Kaschoggis beim Betreten des Konsulats.

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