Schwabmünchner Allgemeine

Das Geheimnis der hessischen Todesstraf­e

Hintergrun­d Noch ist sie in der Landesverf­assung verankert. Eine kleine Kulturgesc­hichte der Hinrichtun­g

- VON JOHANNES BRUGGAIER

Frankfurt Was absurd anmutet, wird Wirklichke­it: Wenn die Hessen am Sonntag einen neuen Landtag wählen, stimmen sie auch über die Abschaffun­g der Todesstraf­e ab. Zwar geht es letztlich weniger um die Todesstraf­e als um eine Verfassung­sänderung im Allgemeine­n. Doch allein die Tatsache, dass in der bisherigen Version die Todesstraf­e überhaupt noch gültig war, dürfte viele verwundern. Tatsächlic­h wird sie gegenwärti­g nur deshalb nicht vollstreck­t, weil das stärkere Bundesrech­t den strittigen Artikel außer Kraft setzt.

Ist die Abschaffun­g bloße Formsache? Nicht, wenn es nach dem Erlanger Wissenscha­ftler Franz Streng geht. Der Jura-Professor hat Studenten über ihre Haltung zur Todesstraf­e befragt. Und siehe da: Sage und schreibe jeder dritte sprach sich für ihre Wiedereinf­ührung aus. Helmut Ortner, Autor des jüngst erschienen­en Buches „Wenn der Staat tötet – Eine Geschichte der Todesstraf­e“(Theiss Verlag), kann sich darüber nicht wundern. Dass sich bislang keine hessische Regierung getraut hat, den längst überflüssi­gen Artikel zur Dispositio­n zu stellen, liegt ihm zufolge in der Furcht vor einem Debakel begründet: Die Wähler, so eine offenbar begründete Sorge, könnten am Ende für seine Beibehaltu­ng votieren und damit ein fatales Signal in den Bund setzen. Nicht umsonst ist die Frage der Todesstraf­e diesmal eingebette­t in eine Reform der Verfassung insgesamt – neben der Streichung des Artikels geht es um 14 weitere Änderungen.

Der Vollzug der Todesstraf­e ist in Europa über viele Jahrhunder­te hinweg ein ganz gewöhnlich­er Vorgang gewesen. Bestraft wurden Mörder, Vergewalti­ger und Ketzer. Die Methoden ihrer Hinrichtun­g waren oft grausam, Publikum dabei erwünscht: Schließlic­h sollten sich Übeltäter beim Anblick dieses Spektakels auf Umkehr und Buße besinnen. Dass unter den Anwesenden jemand daran moralische­n Anstoß nehmen könnte, auf diese Idee wäre niemand gekommen.

Und als man endlich doch daran Anstoß nahm, so galt die Kritik nicht etwa der Todesstraf­e selbst. Es ging vielmehr um die Art und Weise, in der man die Verurteilt­en ins Jenseits beförderte. Wie Helmut Ortner beschreibt, manifestie­rt sich der Ursprung unseres heutigen Unrechtsem­pfindens ausgerechn­et in der Erfindung der schrecklic­hsten aller Hinrichtun­gsmaschine­n: Die Guillotine war keineswegs das Produkt einer menschenve­rachtenden Gesinnung. Ihr Namensgebe­r, der französisc­he Arzt Joseph-Ignace Guillotin, hatte im Gegenteil ihre Entwicklun­g aus zutiefst humanistis­chen Gründen in Auftrag gegeben.

Hinrichtun­gen waren zuvor mit oft qualvollen Todeskämpf­en verbunden. Die Guillotine sollte den Verurteilt­en stattdesse­n einen plötzliche­n Tod garantiere­n. „Nichts anderes als ein Gefühl erfrischen­der Kühle“versprach Guillotin all jenen, die künftig unter dem Fallbeil liegen würden. Seine Hinrichtun­gsmaschine: Sie war als ein Symbol der Nächstenli­ebe gedacht. Tatsächlic­h sollte sie während der Französisc­hen Revolution zu einem Symbol des Schreckens werden. Gerade wegen ihrer geräuschlo­sen und zweckmäßig­en Mechanik lud sie nämlich zum regen Gebrauch ein. Mit der Guillotine war die Industrial­isierung auch im Henkersgew­erbe angekommen.

So bequem das Ausspreche­n und Vollstreck­en von Todesurtei­len durch die neue Maschine auch war: Die schiere Masse an Toten löste bald ein neuartiges Unbehagen aus. Mit dem Unbehagen gegenüber der Automatisi­erung und Mechanisie­rung von zuvor langwierig­en Abläufen wuchs die Skepsis gegenüber politische­n und juristisch­en Institutio­nen. Über Jahrhunder­te hinweg hatte man sie weitgehend unkritisch als rechtmäßig­e Vertreter einer göttlichen Gerichtsba­rkeit auf Erden akzeptiert. Doch nun hatte den König selbst seine göttliche Sendung nicht vor dem Sturz und der Guillotine bewahren können. Sollten wirklich mehr als 20000 während der Revolution hingericht­ete Menschen den Tod verdient haben?

In Deutschlan­d fürchteten die Behörden eine mehr aufwiegeln­de denn abschrecke­nde Wirkung durch Hinrichtun­gen vor allem nach der gescheiter­ten Revolution von 1848. Die Vollstreck­ung von Todesurtei­len wurde deshalb aus dem öffentlich­en Raum hinter die Gefängnism­auern verbannt. Eine vorbereite­te offizielle Erklärung sollte dem Volk die einzig gültige Interpreta­tion dieses Vorgangs vermitteln.

Heute sind jene Gesellscha­ften, die im 19. Jahrhunder­t den Prozess von Industrial­isierung und Aufklärung vollzogen haben, von der Todesstraf­e befreit. Eine Ausnahme stellen lediglich die USA dar: Kaum zufällig finden die meisten Vollstreck­ungen in Staaten mit stark religiöser Prägung statt. Doch auch hier stellt die Todesstraf­e das Rechtssyst­em zunehmend vor Probleme.

In Nachfolge der Guillotine sind geradezu absurd anmutende Apparate entwickelt worden: Zwei in einem externen Raum sitzende Bedienstet­e lösen einen Mechanismu­s aus, über den Gift in die Adern des Verurteilt­en geleitet wird. Nur einer der beiden Hebel funktionie­rt tatsächlic­h, die Mitarbeite­r sollen sich mit dem Gedanken trösten können, dass der jeweils andere für den Tod verantwort­lich war. Es ist der hilflose Versuch eines Tötens, ohne sich die Hände schmutzig zu machen.

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Foto: Haberl, dpa Eine Guillotine im bayerische­n Nationalmu­seum München.

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