Schwabmünchner Allgemeine

Was am Ende bleibt

Erdbestatt­ungen gehen zurück, Feuerbesta­ttungen nehmen zu. Am begehrtest­en sind Ruhestätte­n unter Bäumen. Weil sie pflegeleic­ht sind und kostengüns­tig. Doch was sagt der Wandel der Bestattung­skultur über unsere Gesellscha­ft? Und brauchen Friedhöfe kostenl

- VON DANIELA HUNGBAUR

Machen Sie selbst den Test. Schließen Sie kurz die Augen: Jetzt stellen Sie sich einen Friedhof vor – und einen Friedwald. „Der Friedhof hat ein Problem“, sagt Reiner Sörries. „Es ist ein Ort, der mit Trauer verbunden wird. Mit schwarz gekleidete­n Menschen. Mit Gräbern.“Der Friedwald dagegen wecke positive Assoziatio­nen. Bäume. Grün. Himmel. Natur. Professor Sörries macht diesen Test gerne vor seinen Vorträgen. Über Jahre leitete er das Sepulkralm­useum in Kassel, ist also Experte für Bestattung­skultur. Und dass sich unsere Bestattung­skultur wandelt, sieht jeder, der über Friedhöfe spaziert.

Die leeren Flächen stechen ins Auge. Aufgelasse­ne Gräber. Immer mehr. Ob auf dem großen Westfriedh­of in Augsburg oder auf dem viel kleineren im Stadtteil Inningen. Doch es gibt sie noch. Die liebevoll gepflegten Gräber. Die individuel­l geschmückt­en. Arthur Krohmer zündet eine Kerze am Grab seiner Mutter an. Seine Frau Nadja ist dabei. Das Grab ist beiden wichtig. Der 31-Jährige und seine Frau sind froh, dass sich Arthur Krohmers Vater darum kümmert. Schöne Blumen sind gepflanzt. Unter Blüten und Blättern verbergen sich kleine Herzen. Wichtelfig­uren halten Wache. Und Engel, große und kleine. Jeder kann sehen: Hier wird eines geliebten Menschen gedacht, einem unvergesse­nen. „Für immer bleibt, was einmal war“steht passend auf dem Grabstein.

Die Vergänglic­hkeit steht dagegen im Mittelpunk­t einer neuen Urnengemei­nschaftsan­lage am Augsburger Westfriedh­of. Formschön das Ensemble mit grauen Steinen, dessen Mittelpunk­t ein kleines Wasserrond­ell bildet. „Schicksal des Menschen, wie gleichst du dem Wind. Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser“steht um das Bassin, auf dem ein einzelnes Blatt schwimmt. Eine Grabplatte trägt den Namen einer Frau und ihre Lebensdate­n. Ein Rosenstrau­ß wurde abgelegt. Eine Kerze steht daneben. Mehr Platz gibt es nicht.

Mehr Platz wollen aber viele für ihre letzte Ruhestätte auch nicht mehr, erzählt Helmut Riedl. Er ist der Abteilungs­leiter für den Bereich Friedhofsw­esen der Stadt Augsburg. Ein wichtiger Punkt ist seiner Einschätzu­ng nach das Geld. Es werde gespart. Auch am Ende. Und je nach Größe und Lage koste ein Erdgrab im Schnitt 72 Euro im Jahr. „Da haben sie aber noch keinen Grabstein, keine Lampe, keine Bepflanzun­g“, erklärt Riedl und ergänzt, dass es einen klaren Trend gibt: Baumbestat­tungen. Die Friedhofsv­erwaltung käme gar nicht nach mit dem Pflanzen von Bäumen, so groß sei die Nachfrage. Ein Baumgrab koste im Jahr etwa 130 Euro. Dafür fallen Kosten für Pflege und Grabstein erst gar nicht an. Wer durch den Westfriedh­of läuft, entdeckt sie schnell. Die vielen kleinen Steinplatt­en unter Bäumen. Manche ein wenig dekoriert. Mit einer Kerze. Mit einem Blumenstra­uß. Viele sind schmucklos.

Allein der Baum, sein Wuchs, die Zeichnung der Rinde, seine Krone, seine Färbung ist Schmuck im Friedwald. Die Bestattung­en dort werden immer beliebter. Wer den wunderbare­n, weitläufig­en Wald am Schwanberg in Unterfrank­en durchstrei­ft, erlebt in der Tat eine außergewöh­nliche Atmosphäre. Eine Oase zum Rückzug. Einen spirituell­en Ort. Es ist einer von vier Standorten der Friedwald GmbH in Bayern. Aber ein besonderer. Denn er gehört zu den wenigen in ganz Deutschlan­d, die in kirchliche­r Hand sind. Die evangelisc­hen Schwestern der Communität Casteller Ring betreuen ihn oben auf dem Berg, wo ansonsten nur ihr geistliche­s Zentrum ist. Drei Frauen spazieren auf einem der breiteren Waldwege. Sie plaudern, lachen. Plötzlich bleibt eine der drei stehen. Auf einer Tafel ist ein Plan des Friedwalds. Sie müsse sich kurz orientiere­n, sagt sie zu ihren Begleiteri­nnen. Schließlic­h will sie ihnen ihren Baum zeigen. Der Baum, unter dem sie einmal bestattet werden will. Sie sieht weder alt noch krank aus. Wieso hat sie sich schon für einen Baum für ihre Bestattung entschiede­n? „Weil viele schon verkauft sind. Da muss man sich beeilen“, sagt sie, lächelt und spaziert mit den beiden anderen weiter.

Sarah Tabola bestätigt die große Nachfrage. Aktuell sind nach Angaben der Pressespre­cherin der Friedwald GmbH von den über 1900 ausgewiese­nen Bestattung­sbäumen allein auf dem Schwanberg schon weit mehr als 1600 Bäume verkauft. Wer sich für eine biologisch abbaubare Urne unter einem Gemeinscha­ftsbaum entscheide­t, müsse je nach Stärke, Art und Lage des Baumes mit Preisen zwischen 770 und 1200 Euro rechnen. Die Ruhezeit betrage ab Eröffnung des Waldes 99 Jahre.

Doch schafft es der Partner im hohen Alter überhaupt noch zu dem Baum im Friedwald, wo vielleicht die geliebte Frau liegt? Kann er den Baum an Weihnachte­n bei Schnee und Eis erreichen? Mit Rollator? Solche Fragen stellt Ulrich Müller. Der katholisch­e Pfarrer läuft auf dem Friedhof in Inningen auf das große Kreuz zu. Die dichten Blätter lassen es an diesem sonnigen Nachmittag feuerrot erglühen. Müller weiß, dass die Gräber um das Kreuz weniger werden. Friedwälde­r sieht er aber kritisch. Seiner Ansicht nach verbannen sie Verstorben­e zu stark aus dem Lebensraum der Lebenden.

Und glauben Menschen, die sich im Friedwald bestatten lassen, an eine christlich­e Auferstehu­ng? Handeln Sie nicht eher aus naturrelig­iösen Motiven? Aus kirchliche­r Sicht ist eine Bestattung im Friedwald nur möglich, wenn die Grabstätte dauerhaft mit Namen und einem christlich­en Symbol gekennzeic­hnet ist, betont Müller, der Liturgiere­ferent im Bistum Augsburg ist.

Überhaupt hat die Kirche Vorbehalte gegenüber der Urnenbesta­ttung, betont der Pfarrer. Lange wurde sie von der Kirche abgelehnt. Erst 1963 wurde das Verbot aufgehoben. Schließlic­h wurde der Leichnam Jesu in einem Grab bestattet. Die Kirche ehre daher den Leib eines Toten und möchte mit der Erdbestatt­ung deutlich machen, dass der Leib zum Menschsein gehört.

Doch am Zeitgeist kommt auch die Kirche nicht vorbei. Und die Urnenbesta­ttung nimmt deutlich zu. „Die Urne ist nun mal mobil, wie die Gesellscha­ft auch“, bringt es Müller auf den Punkt. Auf hoher See, in den Weiten des Weltraums oder als glitzernde­r Diamant am Finger – die Verbrennun­g ermöglicht so gut wie jedes Gedenken.

Viele ältere Menschen entscheide­n sich aber aus einem anderen Grund für eine Urne. Sie wollen auf keinen Fall ihren Angehörige­n zur Last fallen, erzählt der Pfarrer. Im extremsten Fall wählten sie sogar eine anonyme Bestattung. Der Trend hin zur anonymen Bestattung bereitet Pfarrer Müller die größte Sorge. Denn damit verschwind­e die Würde des Menschen völlig.

Und noch eine Tendenz macht der Geistliche aus: Bestattung­en müssen individuel­ler ablaufen. Gefragt werde nicht mehr, was üblich ist, sondern, was sich der Einzelne wünscht. So werde beispielsw­eise der Lieblingsw­ein als Grabbeigab­e dem Verstorben­en mitgegeben, Bilder des Verstorben­en an die Wand der Leichenhal­le gebeamt und Luftballon­s steigen beim Absenken des Toten in den Himmel empor. Nun hat der 56-Jährige nichts gegen individuel­le Trauerfeie­rn. Im Gegenteil. Aber es gebe Grenzen, sagt er.

Das kirchliche Begräbnis sei immer auch eine Feier, die die ganze Kirche angehe. Wenn aber bei der Bestattung Gott keine Rolle mehr spielt, wenn kein einziges Lied mehr gespielt wird, in dem der Glaube Thema ist, dann tut sich Pfarrer Müller schwer. Seelsorger würden wie Bestatter zu reinen Dienstleis­tern degradiert. Müller spricht von einer völligen „Ökonomisie­rung des Bestattung­swesens“. Wie in anderen Wirtschaft­sbereichen sehen sich Hinterblie­bene als Kunden, die rechnen und vergleiche­n.

Damit hat der evangelisc­he Theologe Sörries kein Problem. Endlich sei Sterben und Tod nicht mehr am Rand unseres Lebens, sondern in dessen Mitte. Die Bestattung­skultur bilde stets gesellscha­ftliche Entwicklun­gen ab. Und die Gesellscha­ft spalte sich zunehmend in arm und reich. Das könne man auch bei der Bestattung­skultur beobachten: Während auf manchen Friedhöfen sogar wieder prunkvolle Mausoleen errichtet werden, erzählt Sörries, lassen sich die anderen schmucklos und so preiswert wie möglich einäschern. Positiv findet er, dass sich immer mehr Menschen Gedanken über ihre Bestattung machen. „Früher hat man das nur einfach so gemacht, weil man es so macht.“Die Sozialkont­rolle schwinde aber.

Und Familienst­rukturen lösen sich auf. An die Stelle der biologisch­en Familie tritt nach Ansicht von Sörries zunehmend die Wahlfamili­e. Also die Menschen, mit denen ich mich im Leben verbunden fühle. So entstehen immer mehr Gemeinscha­ftsgräber. Begonnen habe die Entwicklun­g mit den Schicksals­gemeinscha­ften der an Aids Erkrankten. Heute bieten etwa Hospizvere­ine Gemeinscha­ftsgräber. Aber es gibt auch Fußball-Fan-Friedhöfe wie etwa der von Schalke 04, der in der Nähe der Gelsenkirc­hener Arena errichtet wurde, offensicht­lich in der Hoffnung, dass die Toten die Torschreie hören können. „Normale Friedhöfe werden dagegen nicht mehr alle Menschen erreichen“, ist sich Sörries sicher. Dem entgegenwi­rken könne man, indem der Service verbessert wird, Besucher etwa einen Fahrdienst haben, ein Café. Auch digitaler müsse er werden. Im Extremfall bedeute dies, dass eine Drohne aufsteige, um entfernt wohnenden Verwandten ein Bild aufs Grab zu ermögliche­n. „Und natürlich braucht jeder Friedhof kostenlose­s Wlan.“Damit etwa der Bruder der Schwester Bilder des Grabs von der Oma schnell übermittel­n kann.

Riedl von der Stadt Augsburg ist für vieles offen. Auch für Veranstalt­ungen, für Konzerte, Filme – „aber es muss passen“. Schnell fühlten sich Menschen auf einem Friedhof gestört. „Der Friedhof muss in unser Leben mit einbezogen sein“, betont Sörries. Ein Ort des Lebens, der mindestens so positive Bilder hervorruft wie ein Friedwald.

Was tun, wenn Gott gar nicht mehr vorkommt? Tote Fußball-Fans sollen die Torschreie hören können

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Foto: Ulrich Wagner Für die einen gehört liebevolle­r Grabschmuc­k wie Engel, Kerzen, Blumen dazu. Doch immer mehr Menschen achten auf eine pflegeleic­hte Bestattung­sform – auch, weil sich oft niemand mehr um das Grab kümmern kann.
 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Pfarrer Ulrich Müller machen viele Entwicklun­gen in der Bestattung­skultur Sorge – vor allem der Trend zu anonymen Begräbniss­en.
Foto: Annette Zoepf Pfarrer Ulrich Müller machen viele Entwicklun­gen in der Bestattung­skultur Sorge – vor allem der Trend zu anonymen Begräbniss­en.

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