Schwabmünchner Allgemeine

„Die Wahl verschafft Merkel Luft“

Wahlforsch­er Faas über die Folgen

- Interview: Margit Hufnagel

Herr Faas, immer wieder war davon die Rede, dass die Hessen-Wahl eine Schicksals­wahl sei. Was hat denn nun das Schicksal gesprochen?

Faas: Ach, Schicksal ist ein großes Wort. Aber wenn man sich die Verluste anschaut – gerade eben bezogen auf die Parteien der GroKo –, dann bekunden die hessischen Wähler schon sehr klar ihr Misstrauen.

Bis zu dieser Wahl war parteiinte­rn Stillhalte­n verordnet. Werden jetzt die Messer gewetzt?

Faas: Andrea Nahles hat eine deutliche Drohung an die GroKo ausgesproc­hen – aber diese Botschaft ging natürlich auch an die SPD selbst. Diese Botschaft signalisie­rt auch: Wir lassen uns das nicht länger bieten. Ob es klappt, ist eine andere Frage. Ansonsten wird es für die beiden Spitzenper­sonen der SPD in Bayern und Hessen jetzt sicherlich schwer. Im Falle Schäfer-Gümbels ist das fast schon tragisch, weil man ihm eigentlich einen guten sozialdemo­kratischen Wahlkampf attestiert hat. Aber irgendwie scheint es so ein ungeschrie­benes Gesetz zu geben, dass man maximal drei Versuche bekommt als Herausford­erer, und die hat er nun mal gehabt.

Es hieß: Kippt Bouffier, stürzt Merkel. Bouffier ist nicht gekippt. Was passiert mit Merkel?

Faas: Sie kippt nicht. Ihr verschafft die Wahl zumindest Luft. Aber natürlich bleibt auch die Situation in der Union angespannt. Es ist allen klar, dass die letzte Legislatur­periode Merkels läuft. Wenn das aber klar ist, fangen Leute an, mit den Hufen zu scharren. Dass man Jens Spahn plötzlich an einem solchen Wahlabend kommentier­end im Fernsehen sieht, kann Zufall sein, muss aber nicht.

Würde es der SPD helfen, wenn sie die Große Koalition im Bund verlässt?

Faas: Wenn das so einfach wäre. Die SPD ist in einem echten Dilemma, angefangen beim Punkt, dass sie sich eigentlich derzeit gar keinen Wahlkampf finanziell leisten kann. Raus aus der GroKo würde wohl auch heißen, dass es für Nahles und Olaf Scholz schwierig werden würde. Mit Personalwe­chseln an der Spitze haben die Sozialdemo­kraten aber bestenfall­s gemischte Erfahrunge­n gemacht. Es gibt keine einfache Lösung für die SPD gerade.

Den Volksparte­ien läuft das Volk davon – ist die Hessen-Wahl ein weiterer Schritt in diesen Abgrund?

Faas: Das ist mir zu einfach und für einen fundamenta­len strukturel­len Wandel wie „das Ende der Volksparte­ien“sehen wir auch zu viel sehr kurzfristi­ge Dynamik. Wir sehen vielmehr große Unzufriede­nheit mit den die GroKo bildenden Parteien. Hadern die Wähler also nur mit den Regierende­n oder mit der Gesellscha­ftsordnung, auf der das Land fußt?

Faas: Manchmal entsteht der Eindruck, als stünde unsere Demokratie kurz vor dem Ende. Natürlich sind die Werte, die an den politische­n Rändern erzielt werden, auch besorgnise­rregend, gerade in Ostdeutsch­land. Trotzdem sind 10 Prozent eben 10 Prozent und nicht 100 Prozent. Diesen Eindruck sollte man nicht erwecken. Eine Entwicklun­g ist damit aber verbunden, die unserer parlamenta­rischen Demokratie Probleme bereitet. Koalitione­n zu bilden, ist unglaublic­h komplex geworden, Hessen hat es wieder einmal gezeigt. Damit können Parteien und Wähler noch nicht gut umgehen.

 ?? Thorsten Faas, 43, ist Wahlforsch­er und Professor für Politikwis­senschafte­n an der Freien Universitä­t Berlin. ??
Thorsten Faas, 43, ist Wahlforsch­er und Professor für Politikwis­senschafte­n an der Freien Universitä­t Berlin.

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