Schwabmünchner Allgemeine

Taumelt die Koalition am Abgrund?

Die Wahlkämpfe­r in Hessen geben dem Dauerstrei­t in Berlin die Schuld am Absturz. Sowohl SPD als auch CDU versuchen, Ruhe zu bewahren. Ob das gelingt, ist mehr als fraglich

- VON BERNHARD JUNGINGER

Bei der SPD im WillyBrand­t-Haus findet erst gar keine Feier statt an diesem kalten Sonntagabe­nd. Die Parteispit­ze hat die traditions­reichen Wahlpartys zu den Landtagswa­hlen erst vor kurzem komplett gestrichen, aus Kostengrün­den, wie es offiziell hieß. Inoffiziel­l soll Parteichef­in Andrea Nahles die peinlichen Bilder nach Niederlage­n gefürchtet haben, die schon ihrem Vorgänger Martin Schulz so geschadet haben. Um eine Einschätzu­ng des Wahlergebn­isses kommt Andrea Nahles aber nach der Hessen-Wahl nicht herum. Das Trostlose ist fast schon zur Routine geworden. „Zu den Verlusten der SPD in Hessen hat die Bundespoli­tik erheblich beigetrage­n“, sagt Nahles. Der Zustand der Regierung sei „nicht akzeptabel“.

Die Koalitions­partner CDU und CSU müssten ihre inhaltlich­en und personelle­n Konflikte in der Großen Koalition schnell lösen, fordert Nahles. Aber auch die SPD müsse klären, wofür sie jenseits der Regierungs­politik inhaltlich stehe. Daher wird sie im Vorstand an diesem Montag einen Vorschlag für einen Koalitions­fahrplan bis zur Halbzeitbi­lanz im Herbst 2019 machen – dann will die SPD ohnehin beraten, ob sie in der Koalition bleibt. Ihr „Es muss sich in der SPD etwas ändern.“

Für die Parteilink­e Hilde Mattheis ist klar, was genau sich ändern muss: „Wir müssen raus aus der Großen Koalition, und zwar ohne Wenn und Aber.“Inhaltlich könne sich die Partei nur in der Opposition neu aufstellen. „Unsere Rechtsvers­chiebung ist nicht als Fortschrit­t wahrgenomm­en worden, sondern als gefährlich­e inhaltlich­e Unschärfe.“Das „Forum Demokratis­che Linke“, dem Mattheis vorsteht, richte deshalb die klare Forderung an die Parteispit­ze, aus der Großen Koalition auszutrete­n. Klar ist nach dem neuerliche­n Wahldebake­l also: Für die SPD gehen die stürmische­n Zeiten weiter. Und nicht nur für die.

Marineblau­es Sakko, gebügeltes Hemd, gestreifte Krawatte – der Senior mit dem vollen weißen Haar, der im Konrad-Adenauer-Haus eine Portion Frankfurte­r Würstchen verspeist, ist ein Bilderbuch-Konservati­ver. Doch mit der CDU, seiner Partei, ist er nicht mehr zufrieden. Vor allem gegen die Vorsitzend­e richtet sich sein Groll. „Angela Merkel versteht nicht mehr, was die Leute umtreibt. Ob beim DieselSkan­dal, in der Flüchtling­spolitik oder in der Bildung – wer am Volk vorbeiregi­ert, ist eben irgendwann keine Volksparte­i mehr“, sagt er.

Es sind bange Fragen, die ihn und die anderen Besucher der Wahlparty in der CDU-Bundeszent­rale umtreiben: Was bedeutet das Wahlergebn­is von Hessen für die Bundespoli­tik, für die Große Koalition, für Bundeskanz­lerin und Parteichef­in Angela Merkel? Die Hoffnung, an die sich alle klammern wie Ertrinkend­e an den berühmten Strohhalm: Wie für die CSU in Bayern zwei Wochen zuvor werden sich die allerschli­mmsten Befürchtun­gen nicht bewahrheit­en. Könnte Bouffier die Staatskanz­lei in Wiesbaden tatsächlic­h für die CDU retten, würde er Merkel zumindest kurzfristi­g wohl etwas Luft verschaffe­n.

Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r spricht von „einem schmerzhaf­ten Ergebnis für die CDU, die viele Stimmen eingebüßt hat“. Doch es sei gelungen, eine rot-rot-grüne Mehrheit zu verhindern, und die CDU sei klar stärkste Kraft geworden. Doch die CDU als Bundespart­ei könne weder mit dem Ergebnis in Hessen noch in den bundesweit schwachen Umfragewer­ten zufrieden sein. Es liegt mit Sicherheit auch am Erscheinun­gsbild der Großen Koalition, das von Streit geprägt sei. „Wir müssen besser werden“, sagt Kramp-Karrenbaue­r. Auf Fragen nach möglichen Konsequenz­en für Kanzlerin Angela Merkel sagt sie, dass diese beim Parteitag wieder als Vorsitzend­e antreFazit: ten werde. Der Applaus für KrampKarre­nbauer, er fällt schwach aus, Stimmung will bei der Wahlparty nicht aufkommen. Die parteiinte­rne Kritik an der Kanzlerin und der Ruf nach Erneuerung dürften sich kaum verflüchti­gen.

Bei den Grünen herrscht dagegen ausgelasse­ne Freude: Ein gewaltiges Plus im Vergleich zu den Wahlen vor fünf Jahren, auf Augenhöhe mit der SPD. Alles sieht nach einer weiteren Regierungs­beteiligun­g aus. Bundesvors­itzender Robert Habeck: „Wir sind immer bereit, Verantwort­ung zu übernehmen.“Ob Zweiter oder Dritter, das sei nicht entscheide­nd. Die Wahl zeige auch, dass es eine Tendenz weg von mehr Stimmen für rechtere Parteien gebe. „Wir freuen uns, dass in den letzten Monaten ein Trend gedreht wurde, dass man meinte, Wahlen immer nur am rechten Rand gewinnen zu können.“

Die Linke feiert den klaren Wiedereinz­ug in den Landtag. Bundesvors­itzende Katja Kipping sieht im Wahlergebn­is eine Reaktion auf die Bundespoli­tik. Es handle sich um eine „Denkzettel­wahl“für die GroKo, sagt sie. Bei der FDP bleiben die ganz großen Gefühle aus, auch wenn die Partei doch noch für eine Jamaika-Regierung gebraucht werden könnte. Es ist ein Erfolg, aber kein rauschende­r.

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Foto: Tobias Schwarz, dpa SPD-Chefin Andrea Nahles muss wieder allein im Willy-Brandt-Haus ein schlechtes Ergebnis kommentier­en.

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