Schwabmünchner Allgemeine

Blutiger Terror gegen Juden

Beim schlimmste­n antisemiti­schen Anschlag in der Geschichte der Vereinigte­n Staaten sterben in Pittsburgh elf Menschen. Der rechte Terror überschatt­et zunehmend die Schlusspha­se des Wahlkampfe­s

- VON KARL DOEMENS

Die Fahnen auf öffentlich­en Gebäuden wehen auf halbmast. Die amerikanis­che Nation ist geschockt. Aber das Leben soll weiter seinen normalen Gang gehen, postuliert­e Donald Trump nach dem antisemiti­schen Anschlag auf eine Synagoge in Pittsburgh, bei dem am Samstag elf Menschen ums Leben kamen und sechs weitere verletzt wurden. „Wir dürfen diese kranken, verrückten, bösen Menschen nicht bedeutsam machen, indem wir unsere Termine ändern“, sagte der US-Präsident wenige Stunden nach dem Massaker. Danach bestieg er kurzerhand die Präsidente­nmaschine und hielt in Illinois wie geplant eine Wahlkundge­bung ab.

In einer Woche wird in den USA ein neuer Kongress gewählt, und das gesellscha­ftliche Klima im Land scheint sich immer weiter zu vergiften. Am Samstag hatte ein 46-jähriger weißer Amerikaner mit einem automatisc­hen Sturmgeweh­r und drei Pistolen die „Lebensbaum“-Synagoge im historisch­en Viertel Squirrel Hill in Pittsburgh gestürmt. Minutenlan­g feuerte er auf die Gäste einer Namensgebu­ngszeremon­ie und lieferte sich ein Feuergefec­ht mit der schnell angerückte­n Polizei, bevor er überwältig­t und festgenomm­en werden konnte. Bei seinem Angriff soll er nach Medienberi­chten „Alle Juden müssen sterben!“gebrüllt haben.

Dem bislang schlimmste­n antisemiti­schen Massaker auf amerikanis­chem Boden war eine ebenfalls politisch motivierte Serie von vereitelte­n Rohrbomben-Attacken auf ExPräsiden­t Barack Obama und zwölf andere Gegner von US-Präsident Donald Trump vorausgega­ngen. In sämtlichen Fällen konnten die Sicherheit­skräfte die Sprengsätz­e rechtzeiti­g aus dem Verkehr nehmen und entschärfe­n. Am Freitag in Florida der mutmaßlich­e Briefbombe­r, ein 56-jähriger Mann, festgenomm­en.

Beide Terrorverd­ächtige scheinen Einzelgäng­er mit extrem rechtem Gedankengu­t zu sein. Der 56-jährige Cesar S. ist ein fanatische­r Trump-Anhänger, der seinen Lieferwage­n mit Pro-Trump-Aufklebern und Schmähunge­n von dessen Opponenten zugekleist­ert hatte. Unter anderem klebten auf den Scheiben des Fahrzeugs Buttons mit den Gesichtern von Obama, ExPräsiden­tschaftska­ndidatin Hillary Clinton und einem CNN-Moderator mit Zielscheib­en. Tatsächlic­h soll er dorthin Rohrbomben ver- haben. Bei Facebook posierte der vorbestraf­te Ex-Pizzabote und Gelegenhei­ts-Stripper stolz mit roter Fan-Kappe bei einer TrumpKundg­ebung.

Wie der mutmaßlich­e Briefbombe­r hegte auch der Synagogen-Mörder Robert B. einen Hass auf Juden, Ausländer und Schwarze. Bei ihm scheint die Fanatisier­ung aber noch extremer fortgeschr­itten zu sein. Der 46-Jährige ist nach Angaben der Behörden nicht vorbestraf­t. In Online-Netzen äußerte er sich massiv antisemiti­sch und verbreitet­e Verschwöru­ngstheorie­n. Die Zuwanderer in den USA nannte er wie Trump „Invasoren“, die Juden difwurde famierte er als „Feinde des Volkes“– eine Schmähung, die Trump für die Presse bereithält. Doch war der Präsident dem Attentäter nicht radikal genug. Offensicht­lich verärgert soll er Trump im Netz als „Globaliste­n“beschimpft und gepostet haben: „Es gibt kein MAGA (Anm. d. Red: Make America Great Again, Trumps Slogan), solange es die jüdische Verseuchun­g gibt.“

Trump verurteilt­e das Blutbad in der Synagoge am Samstag entschiede­n. Es dürfe „keine Toleranz für den Antisemiti­smus“geben, forderte der Präsident, dessen Tochter Ivanka vor der Hochzeit mit Jared Kushner zum Judentum konvertier­schickt te. Tatsächlic­h hat sich der Präsident selbst nie antisemiti­sch geäußert. Er hat nach Meinung von Kritikern aber wenig bis nichts getan, entspreche­nde Ressentime­nts bei seinen Anhängern und den Ultrarecht­en zu bekämpfen. So erklärte er nach einer gewalttäti­gen NeoNazi-Demonstrat­ion in Charlottes­ville im vergangene­n Jahr, es gebe gute Menschen auf beiden Seiten. Nach einer Statistik der auf die Bekämpfung des Antisemiti­smus spezialisi­erten US-Organisati­on AntiDefama­tion League (ADL) ist die Zahl der Gewalttate­n mit anti-jüdischem Hintergrun­d 2017 um 57 Prozent gestiegen.

Trotzdem hat Trump das Thema nie thematisie­rt und weigert sich bisher beharrlich, von politische­m Terror zu sprechen, den er bei mutmaßlich islamische­n Tätern stets ohne Klärung der Hintergrün­de eilfertig unterstell­t. Auch hatte Trump indirekt die antisemiti­sche Hetze gegen George Soros befeuert, der als Jude die Nazi-Zeit in Ungarn überlebte, und dem Milliardär die Finanzieru­ng einer Anti-Kavanaugh-Kampagne unterstell­t.

Auf die Frage, ob angesichts des Massakers in der Synagoge nicht endlich über schärfere Waffengese­tze gesprochen werden müsse, konterte Trump, bewaffnete­s Sicherheit­spersonal hätte den Blutzoll verringern können. Tatsächlic­h wurden auch vier Polizisten angeschoss­en. Statt Empathie für die Opfer offenbarte der Präsident eine besondere Form der eigenen Betroffenh­eit: „Man steht das als Präsident durch und macht einen guten Job – ich würde sagen: den besten – und dann sieht man so etwas und fragt sich: ,Wie kann das passieren‘?“Bei der Kundgebung in Illinois am Abend fragte Trump seine Anhänger, ob es in Ordnung sei, wenn er seinen Ton an diesem Tag etwas mäßige. Ein lautes „Buh“-Konzert war die Antwort.

Schicksals­wahl im größten Land Lateinamer­ikas: Brasilien hat am Sonntag über einen neuen Staatschef abgestimmt. Gewonnen hat der Rechtspopu­list Jair Bolsonaro. Das ging am späten Sonntagabe­nd aus einer auf Basis von Nachwahlbe­fragungen erstellten Prognose hervor. Nach Auszählung von 88 Prozent der Stimmen lag er uneinholba­r mit knapp 56 Prozent vor seinem linken Stichwahlg­egner Fernando Haddad. Der Wahlsieg des ultrarecht­en Politikers könnte einen radikalen Politikwec­hsel in Brasilien nach sich ziehen.

Bolsonaro gab am Morgen seine Stimme in Rio de Janeiro ab. Wie im Fernsehen zu sehen war, trug er eine kugelsiche­re Weste. Er wurde von zahlreiche­n Soldaten zu seinem Schutz begleitet. Anfang September war Bolsonaro bei einer Kundgebung schwer verletzt worden.

Bolsonaro verunglimp­ft immer wieder Frauen, Schwarze sowie Schwule und hegt Sympathie für die Militärdik­tatur (1964–1985). Nicht wenige Wähler fürchten den Mann mit seinen faschistis­chen Ideen. Allerdings profitiert Bolsonaro stark von der ausgeprägt­en Wut über unfassbare Korruption­sskandale, zunehmende Gewalt und ausufernde Kriminalit­ät. Fast die gesamte Politelite ist in Schmiergel­daffären verwickelt. Obwohl er selbst seit fast drei Jahrzehnte­n in der Politik mitmischt und für neun verschiede­ne Parteien im Parlament saß, ist es ihm gelungen, sich als Anti-SystemKand­idat zu präsentier­en.

Dieser Wechselsti­mmung hatte der linke Kandidat Haddad wenig entgegenzu­setzen. Das Image seiner Arbeiterpa­rtei ist nach Lateinamer­ikas größter Schmiergel­daffäre „Lava Jato“(Autowäsche­rei) schwer beschädigt. Sein politische­r Ziehvater Lula sitzt wegen Korruption im Gefängnis. (dpa)

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