Aus der schwedischen Provinz in die Wohnzimmer der Welt
Vor 60 Jahren eröffnete das erste Ikea-Möbelhaus. Der Andrang war so enorm, dass sich das Geschäft schon bald vergrößern musste. Heute gibt es alleine in Deutschland 53 Filialen. Doch auch Ikea muss sich modernisieren
Lehnstühle, Tische und Lampen so dekoriert, als befänden sie sich schon in einer Wohnung – nach diesem Prinzip sind Ikeas Möbelhäuser eingerichtet. Und das seit 60 Jahren. Ende Oktober 1958 öffnete im schwedischen Älmhult das erste Geschäft. Es war sensationell. Das moderne und mit klaren Linien in Weiß und Grau gehaltene Haus stand neben einem Acker und war schnell zu klein für den Andrang von Kunden aus ganz Schweden.
60 Jahre später gibt es die mittlerweile blau-gelben Ikea-Möbelhäuser in vielen Ländern der Welt. Der erste Ikea ist heute ein Museum – im wahrsten Sinne des Wortes. Besucher erfahren hier viel über die Meilensteine im Leben des im Januar 2018 gestorbenen Gründers Ingvar Kamprad und den nicht immer ganz geraden Weg vom Abhol-Möbelhaus zum Weltkonzern mit mehr als 150000 Mitarbeitern und Milliardenumsatz.
„Ikea geht es hervorragend“, sagt Martin Fassnacht, Handelsexperte der Wirtschaftshochschule WHU in Düsseldorf. Doch das 21. Jahrhundert stellt die Schweden vor Herausforderungen. „Sie müssen der digitalen Welt entgegengehen“, sagt er.
Schaut man zurück auf die IkeaGeschichte fällt auf: Auch wenn das Ikea-Bild vieler Kunden recht stabil ist – nett, schwedisch und immer mit ein paar Schrauben zu viel oder zu wenig in der Packung – das Unternehmen selbst wandelt sich. Heute ist es ein Einrichtungshaus mit Mitnahmemöbeln, Restaurant und Onlineshop. „Ikea passt sich in vielen Bereichen den Bedürfnissen der Kunden an“, sagt Ikeas Deutschlandchef Dennis Balslev. Heute könnten die Kunden nicht nur ins Geschäft gehen und die Möbel mitnehmen. Ikea gäbe es längst auch auf anderen Kanälen – Balslev spricht von Ikea als MultichannelAnbieter, der sich weiter ausbauen will.
Soll heißen: Ikea will da sein, wo die Kunden sind. In Deutschland sind das immer noch die 53 Möbelhäuser. Zwischen 70 und 80 Prozent der Kunden gehen nach Unternehmensangaben in einen Laden, bevor sie etwas kaufen. Und dennoch soll es in Deutschland vorerst keine größeren Neubauten geben. Neue Filialen dürfte es in Zukunft eher in den Zentren von Großstädten geben. Diese neuen Filialen werden anders aussehen als bisher, glaubt Branchenkenner Fassnacht. Weniger Möbel, direkte Wegführung statt Labyrinth, mehr Aktionsfläche, mehr Technik. Zum Beispiel im Bereich Virtual Reality. Schon jetzt lassen sich Ikea-Möbel per Smartphone-App in der eigenen Wohnung darstellen. „Das muss man auch stationär machen“, sagt er. Also zum Beispiel die neue Küche im Laden per Virtual-RealityBrille für Kunden sichtbar machen.
Auch im Netz muss sich viel bewegen, sagt Fassnacht. Im abgelaufenen Geschäftsjahr stammten 7,4 Prozent des Umsatzes in Deutschland aus dem Onlinehandel. „Da muss massiv investiert werden.“Nicht nur beim Umsatz, auch beim Nutzererlebnis. Die Konkurrenz sei hier schon schöner, einfacher und vor allem schneller.
Auch der Kontakt zum Kunden ist in einer Phase des Umbruchs. Der Katalog ist nach wie vor wichtig, ist aber dünner als in früheren Jahren. Gerade junge Kunden will Ikea stärker über deren Lieblingskanäle im Netz erreichen. Dabei den richtigen Ton zu treffen, sollen auch junge Mitarbeiter in den MarketingAbteilungen sicherstellen. „Entscheidend ist, dass sie jetzt verstanden haben, dass sie wirklich investieren müssen“, sagt Martin Fassnacht. Die Marke Ikea sei stark, jetzt gelte es, nicht uncool zu werden.
Doch nicht jede neue Entwicklung ist 60 Jahre nach Öffnung des ersten Möbelhauses in Älmhult auch digital – oder wirklich neu. Zum Beispiel mehr Serviceangebote, Beratung und Planungshilfe. Hier reagiert Ikea auf größere Nachfrage und experimentiert etwa mit einem speziellen Planungsstudio mitten im Londoner Stadtzentrum. Und auch die Mitarbeiter werden weitergebildet und sollen neben reinem Produktwissen den Kunden auch generelle Tipps zur Inneneinrichtung jenseits von Billy, Pax und Poäng geben können.
Ein Schritt zurück zu den Wurzeln, wie der Besucher im Museum in Älmhult lernt: Schon Ende der 50er Jahre machten in graue Wollkostüme gekleideten Berater ganz analog Planungsskizzen, wie die neuen Möbel in die Wohnung passen könnten. Die Grundrisse brachten die Kunden damals auf Millimeterpapier mit, das im Ikea-Katalog beilag. In Zukunft könnten die Maße vom Smartphone kommen, das neue Wohnzimmer entsteht dann vielleicht erst einmal virtuell.
Till Simon Nagel, dpa