Droht dem Landgericht eine Beschwerde-Welle?
Darf ein Liebespaar gemeinsam über Angeklagte urteilen? Darüber wird nicht nur in Augsburg debattiert. Nun will erstmals ein Verteidiger ein Urteil der betroffenen Strafkammer prüfen lassen. Und ein bekannter Anwalt greift das Gericht an
Dürfen sich zwei Richter aus derselben Strafkammer lieben und als Paar gemeinsam über Angeklagte urteilen? Oder können sie dann nicht mehr neutral und unabhängig sein? Über diese Fragen wird seit einem Befangenheitsantrag zweier Strafverteidiger Anfang Oktober nicht nur in Augsburger Justizkreisen heftig debattiert. Jetzt wird klar: Längst geht es nicht mehr nur um diesen einen Prozess. Der Streit um das RichterLiebespaar könnte für das Landgericht Augsburg weitreichende Folgen haben.
Nun hat der erste Rechtsanwalt angekündigt, ein Urteil der betroffenen 10. Strafkammer speziell im Hinblick auf das Richter-Paar überprüfen zu lassen. Und weitere dürften folgen. Droht dem Landgericht Augsburg wegen der umstrittenen Besetzung der Kammer eine ganze Welle von Beschwerden?
Am 2. Februar dieses Jahres wurde der ehemalige Kämmerer von Landsberg, Manfred Schilcher, von der 10. Strafkammer des Landgerichts zu einer Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt. Die Stadt hatte mit riskanten Zinstauschgeschäften Millionenverluste gemacht. Diese „Derivataffäre“kostete den Oberbürgermeister und den Kämmerer das Amt. Schilcher wurde wegen Untreue verurteilt. Die zwei Richter, die sich nun zu ihrer Beziehung bekannt haben, waren beide an der Entscheidung beteiligt.
Doch das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Revision beim Bundesgerichtshof ist eingelegt. Rechtsanwalt Joachim Feller überlegt nun, wie er die umstrittene Personalkonstellation rechtlich in Karlsruhe überprüfen lassen kann. Juristisch ist das nicht einfach, weil laut Strafprozessordnung nach dem letzten Wort des Angeklagten keine Möglichkeit mehr für einen Befangenheitsantrag besteht. Doch Verteidiger Feller argumentiert: „Wir wussten ja nichts von der Beziehung. Wenn wir es gewusst hätten, hätten wir sofort einen Befangenheitsantrag gestellt.“Mit derselben Argu- mentation könnten weitere Anwälte Urteile der 10. Strafkammer im Nachhinein angreifen.
Wie berichtet, arbeitet in der betroffenen Wirtschafts-Strafkammer gemeinsam ein Richter-Paar. Die Juristen haben Anfang Oktober auf Anfrage zweier Verteidiger öffentlich in einem Steuerhinterziehungsprozess eine Liebesbeziehung eingeräumt. Sie wohnen auch zusammen. Das Paar selbst sieht das unproblematisch. Das Präsidium des Landgerichts wusste nach Angaben von Gerichtspräsident Herbert Veh von der Beziehung, als es die Besetzung der 10. Strafkammer in einem neuen Geschäftsverteilungsplan zum 1. Juni 2018 änderte. Einige Monate zuvor war die Richterin auch bereits Mitglied jener Strafkammer.
Die Verteidiger des angeklagten Schrotthändlers, Adam Ahmed und Sven Gaudernack, wehren sich gegen diese Personalkonstellation. In mehreren Befangenheitsanträgen gegen das Paar, den Vorsitzenden Richter und teils auch die ganze Kammer haben sie kritisiert, dass die richterliche Unabhängigkeit der beiden betroffenen Juristen und deren professionelle Distanz in Gefahr sei, wenn sie gemeinsam in denselben Verfahren entscheiden. Alle Befangenheitsanträge wurden bislang zurückgewiesen. Die Begründung lautete vereinfacht ausgedrückt: Nur weil die beiden Richter ein Paar sind, bedeutet das nicht, dass sie nicht neutral und unparteiisch urteilen können.
Juristen diskutieren inzwischen landauf, landab über diesen Fall. Wie er endet, wird sich voraussichtlich erst beim Bundesgerichtshof zeigen. Rechtsanwalt Ahmed hat bereits angekündigt, gegen ein Urteil in Revision gehen zu wollen. Das bayerische Justizministerium will sich zu dem Fall nicht äußern. Zu einer möglichen Befangenheit ohnehin nicht. „Wir respektieren die richterliche Unabhängigkeit“, sagt ein Sprecher. Und zu der umstrittenen Besetzung der Strafkammer? „Die Aufstellung des Geschäftsverteilungsplans ist ureigene Aufgabe des Präsidiums des Landgerichts Augsburg“, heißt es da. Volle Rückendeckung hätte auch anders klingen können. Mittlerweile gibt es auch grundsätzliche Kritik aus Rechtsanwaltskreisen am Landgericht Augsburg. Der bekannte Strafverteidiger Gerhard Strate aus Hamburg, hält Augsburg für ein „besonderes Pflaster“. Er kritisiert unter anderem die Höhe der verhängten Strafen. „Augsburg ist auch für bayerische Verhältnisse ziemlich heftig, was das Strafmaß angeht“, sagt er unserer Redaktion. Freisprüche gebe es fast nie, milde Urteile seien selten. Er selbst habe in zwei Fällen „nicht nachvollziehbare Haftentscheidungen“des Landgerichts Augsburg beim Bundesverfassungsgericht aufheben lassen müssen, berichtet Strate, der unter anderem den VW-Patriarchen Ferdinand Piëch, den Unternehmer Carsten Maschmeyer und Justizopfer Gustl Mollath vertreten hat. Ein Liebespaar auf der Richterbank hält Strate nicht generell für befangen. Eine mögliche Befangenheit der in Augsburg arbeitenden Richter rühre seiner Meinung nach eher daher, dass man sich dort „der Staatsräson in besonderer Weise verpflichtet“fühle.