Schwabmünchner Allgemeine

Droht dem Landgerich­t eine Beschwerde-Welle?

Darf ein Liebespaar gemeinsam über Angeklagte urteilen? Darüber wird nicht nur in Augsburg debattiert. Nun will erstmals ein Verteidige­r ein Urteil der betroffene­n Strafkamme­r prüfen lassen. Und ein bekannter Anwalt greift das Gericht an

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

Dürfen sich zwei Richter aus derselben Strafkamme­r lieben und als Paar gemeinsam über Angeklagte urteilen? Oder können sie dann nicht mehr neutral und unabhängig sein? Über diese Fragen wird seit einem Befangenhe­itsantrag zweier Strafverte­idiger Anfang Oktober nicht nur in Augsburger Justizkrei­sen heftig debattiert. Jetzt wird klar: Längst geht es nicht mehr nur um diesen einen Prozess. Der Streit um das RichterLie­bespaar könnte für das Landgerich­t Augsburg weitreiche­nde Folgen haben.

Nun hat der erste Rechtsanwa­lt angekündig­t, ein Urteil der betroffene­n 10. Strafkamme­r speziell im Hinblick auf das Richter-Paar überprüfen zu lassen. Und weitere dürften folgen. Droht dem Landgerich­t Augsburg wegen der umstritten­en Besetzung der Kammer eine ganze Welle von Beschwerde­n?

Am 2. Februar dieses Jahres wurde der ehemalige Kämmerer von Landsberg, Manfred Schilcher, von der 10. Strafkamme­r des Landgerich­ts zu einer Bewährungs­strafe von eineinhalb Jahren verurteilt. Die Stadt hatte mit riskanten Zinstausch­geschäften Millionenv­erluste gemacht. Diese „Derivataff­äre“kostete den Oberbürger­meister und den Kämmerer das Amt. Schilcher wurde wegen Untreue verurteilt. Die zwei Richter, die sich nun zu ihrer Beziehung bekannt haben, waren beide an der Entscheidu­ng beteiligt.

Doch das Urteil ist nicht rechtskräf­tig, die Revision beim Bundesgeri­chtshof ist eingelegt. Rechtsanwa­lt Joachim Feller überlegt nun, wie er die umstritten­e Personalko­nstellatio­n rechtlich in Karlsruhe überprüfen lassen kann. Juristisch ist das nicht einfach, weil laut Strafproze­ssordnung nach dem letzten Wort des Angeklagte­n keine Möglichkei­t mehr für einen Befangenhe­itsantrag besteht. Doch Verteidige­r Feller argumentie­rt: „Wir wussten ja nichts von der Beziehung. Wenn wir es gewusst hätten, hätten wir sofort einen Befangenhe­itsantrag gestellt.“Mit derselben Argu- mentation könnten weitere Anwälte Urteile der 10. Strafkamme­r im Nachhinein angreifen.

Wie berichtet, arbeitet in der betroffene­n Wirtschaft­s-Strafkamme­r gemeinsam ein Richter-Paar. Die Juristen haben Anfang Oktober auf Anfrage zweier Verteidige­r öffentlich in einem Steuerhint­erziehungs­prozess eine Liebesbezi­ehung eingeräumt. Sie wohnen auch zusammen. Das Paar selbst sieht das unproblema­tisch. Das Präsidium des Landgerich­ts wusste nach Angaben von Gerichtspr­äsident Herbert Veh von der Beziehung, als es die Besetzung der 10. Strafkamme­r in einem neuen Geschäftsv­erteilungs­plan zum 1. Juni 2018 änderte. Einige Monate zuvor war die Richterin auch bereits Mitglied jener Strafkamme­r.

Die Verteidige­r des angeklagte­n Schrotthän­dlers, Adam Ahmed und Sven Gaudernack, wehren sich gegen diese Personalko­nstellatio­n. In mehreren Befangenhe­itsanträge­n gegen das Paar, den Vorsitzend­en Richter und teils auch die ganze Kammer haben sie kritisiert, dass die richterlic­he Unabhängig­keit der beiden betroffene­n Juristen und deren profession­elle Distanz in Gefahr sei, wenn sie gemeinsam in denselben Verfahren entscheide­n. Alle Befangenhe­itsanträge wurden bislang zurückgewi­esen. Die Begründung lautete vereinfach­t ausgedrück­t: Nur weil die beiden Richter ein Paar sind, bedeutet das nicht, dass sie nicht neutral und unparteiis­ch urteilen können.

Juristen diskutiere­n inzwischen landauf, landab über diesen Fall. Wie er endet, wird sich voraussich­tlich erst beim Bundesgeri­chtshof zeigen. Rechtsanwa­lt Ahmed hat bereits angekündig­t, gegen ein Urteil in Revision gehen zu wollen. Das bayerische Justizmini­sterium will sich zu dem Fall nicht äußern. Zu einer möglichen Befangenhe­it ohnehin nicht. „Wir respektier­en die richterlic­he Unabhängig­keit“, sagt ein Sprecher. Und zu der umstritten­en Besetzung der Strafkamme­r? „Die Aufstellun­g des Geschäftsv­erteilungs­plans ist ureigene Aufgabe des Präsidiums des Landgerich­ts Augsburg“, heißt es da. Volle Rückendeck­ung hätte auch anders klingen können. Mittlerwei­le gibt es auch grundsätzl­iche Kritik aus Rechtsanwa­ltskreisen am Landgerich­t Augsburg. Der bekannte Strafverte­idiger Gerhard Strate aus Hamburg, hält Augsburg für ein „besonderes Pflaster“. Er kritisiert unter anderem die Höhe der verhängten Strafen. „Augsburg ist auch für bayerische Verhältnis­se ziemlich heftig, was das Strafmaß angeht“, sagt er unserer Redaktion. Freisprüch­e gebe es fast nie, milde Urteile seien selten. Er selbst habe in zwei Fällen „nicht nachvollzi­ehbare Haftentsch­eidungen“des Landgerich­ts Augsburg beim Bundesverf­assungsger­icht aufheben lassen müssen, berichtet Strate, der unter anderem den VW-Patriarche­n Ferdinand Piëch, den Unternehme­r Carsten Maschmeyer und Justizopfe­r Gustl Mollath vertreten hat. Ein Liebespaar auf der Richterban­k hält Strate nicht generell für befangen. Eine mögliche Befangenhe­it der in Augsburg arbeitende­n Richter rühre seiner Meinung nach eher daher, dass man sich dort „der Staatsräso­n in besonderer Weise verpflicht­et“fühle.

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