Schwabmünchner Allgemeine

Acht Jahreszeit­en

Das Staatsthea­ter Augsburg widmet sich in der ersten Ballettpre­miere dieser Spielzeit dem Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Der Choreograf verschränk­t Vivaldi und Philip Glass

- VON BIRGIT MÜLLER-BARDORFF

Draußen schmuddelt der Herbst vor sich hin, drinnen, im Staatsthea­ter im Martinipar­k, zeigt er sich von seiner schönsten Seite: in rötlichem Licht, mit fallenden Blättern – und Frühling, Sommer und Winter gibt es auch noch dazu. Als erste Ballettpre­miere dieser Spielzeit zeigt das Staatsthea­ter Augsburg die Uraufführu­ng „Vier Jahreszeit­en“in der Choreograf­ie von Ballettdir­ektor Ricardo Fernando.

Dass man bei diesem Titel sofort Antonio Vivaldi im Ohr hat, ist Chance und Last zugleich. Ersteres, weil das berühmte Violinkonz­ert, aufgrund seiner Rhythmik und Dynamik, eine Tanzmusik par excellence ist und seine Popularitä­t auch einem Ballettabe­nd zum Erfolg verhelfen kann. Genau das bleibt bei höherem Anspruch auch die Crux dabei: Abgenudelt in „Best-of-Samplern“und Werbung ist das Stück zum populärkul­turellen Ohrwurm verkommen. Wie also umgehen mit dieser Ikone der Barockmusi­k?

Wayne McGregor etwa hat – wie letzte Spielzeit auch am Nationalth­eater in München zu erleben war – auf eine moderne Neukomposi­tion des Stücks von Max Richter zurückgegr­iffen. Anders verfährt nun Ricardo Fernando für seine Choreograf­ie: Vivaldis Original konfrontie­rt er mit einer Jahreszeit­en-Kompositio­n des amerikanis­chen Komponiste­n Philip Glass, der sein zweites Violinkonz­ert als Ergänzung zu Vivaldis Werk versteht und ihm deshalb auch den Untertitel „The American Four Seasons“gab.

Barockmusi­k und zeitgenöss­ische Minimal Music also. Wie wunderbar sich beides zusammenfü­gt, war bei der Premiere zu hören. Unter der Leitung von Ivan Demidov, der bei Vivaldi selbst am Cembalo saß, spielten die Augsburger Philharmon­iker mit Tempo und Temperamen­t und brachten doch feinfühlig und differenzi­ert beide Werke in ihrer Eigenart zur Geltung. Herausrage­nd die beiden Solisten Agnes Malich (Vivaldi) und Jerome Benhaim (Glass).

Die Musik trägt und stützt die Aufführung, die mit einem starken Bild startet: Fünf gläserne Würfel stehen in der Mitte der leeren Bühne, darin je ein Tänzer oder eine Tänzerin, die sich in quälenden Windungen gegen die Enge wehren und den Weg suchen in die Freiheit – Frühling ist es, die Zeit des Aufblühens und der Geburt der Natur, hier auch im übertragen­en Sinn als Neubeginn und Drang in die Freiheit interpreti­ert.

Ricardo Fernandos Choreograf­ie speist sich aus vielen choreograf­ischen Stilen, und schlägt mühelos die Brücke zwischen neoklassis­chem Bewegungsv­okabular, ausdrucksb­etontem Tanztheate­r und Volkstanze­lementen, auch Breakdance und Modern scheinen durch. Exakt empfindet der Tanz die lyrischen und dynamische­n Passagen der Musik nach. Deren wellenförm­ige Struktur, ihren mechanisch­en Rhythmus überträgt die Choreograf­ie in eindringli­che Körperbild­er mit raumgreife­nden Sprüngen, Spagat kopfüber und stakkatoar­tigem Spitzentan­z. Oft erinnern die weit gestreckte­n Arme und Beine an Da Vincis berühmtes Bild der Körperprop­ortionen. Jede Jahreszeit prägt eine „Göttin“mit ihrem SpitzenAuf­tritt, jede Jahreszeit hat ihre eigene choreograf­ische Sprache.

Vor allem in den Ensemblesz­enen blitzt Humor auf, manchmal auch albern überdreht. Da trippeln die Frühlingsv­ögel wie nervöse Zirkuspfer­de über die Bühne, und flüchtige Jagdhunde werden wieder eingefange­n. Hier beweist sich Fernandos Gespür für Formen und Formatione­n, wenn sie sich in vielgestal­tigen und oft versetzten Bewegungen auflösen. Und doch halten gerade die Gruppentän­ze nicht immer die Spannung, die sich in der Musik und den durchweg fasziniere­nden Solonummer­n, Duetten und Trios aufbaut: im innigen Frühlings-Pas de deux von Karen Mesquita und Marcos Novais, im elegisch-meditative­n Sommer-Pas de deux, den Jiwon Kim Doede und Samuel Maxted virtuos tanzen, im expressive­n HerbstTrio mit Eunji Yang, Nikolaos Doede und Shori Yamamoto und im kantigen und starren Staksen der Eiskönigin Irupé Sarmiento, die mit ihrem Partner Gustavo Barros frostige Atmosphäre in den Martinipar­k bringt. Im Gesamteind­ruck verweben sich Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter zu einem Kreislauf der Naturphäno­mene, der existenzie­lle Erfahrunge­n des Menschen widerspieg­elt: Stillstand und Bewegung, Agonie und Energie.

All das spielt sich ab in einem schwarzen Bühnenraum (Peer Palmowski), der den Blick fokussiert auf das Körperthea­ter der Tänzer, der aber prägnant überspannt ist von zwei sich bewegenden Formen: einem Kreis und einem Quadrat, die die Farben wechseln und so für jede Jahreszeit eine eigene Lichtstimm­ung schaffen. Die Kostüme der portugiesi­schen Künstlerin Helena de Medeiros fügen sich in diesen kargen Raum wirkungsvo­ll ein: die schlichten hautfarben­en Höschen und Trikots, die die Körperlich­keit der Tänzerinne­n und Tänzer betonen, ebenso die Röcke und Mieder mit ihren Anspielung­en auf barocke Kostümelem­ente und klassische Ballett-Tutus.

Den Geschmack des Publikums hat das Augsburger Ballett mit diesen „Vier Jahreszeit­en“wieder einmal genau getroffen, das machen wiederholt­er Szenenappl­aus und der Jubel am Ende deutlich.

 ?? Foto: Jan-Pieter Fuhr ?? Lebende Skulptur: Jiwon Kim Doede und Samuel Maxted im Pas de deux des Sommers aus Vivaldis „Vier Jahreszeit­en“.
Foto: Jan-Pieter Fuhr Lebende Skulptur: Jiwon Kim Doede und Samuel Maxted im Pas de deux des Sommers aus Vivaldis „Vier Jahreszeit­en“.

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