Showdown in der Bibliothek
In Folge 4 des Krimis am Staatstheater Augsburg ermittelt ein Polizei-Team an der Universität. Die Zuschauer erleben dabei staatliche Willkür am eigenen Leib
Während Augsburg am Freitag wegen eines Baggerfehlers medientechnisch in die Röhre schaute, genossen Premierengäste auf einem Parkdeck im Univiertel den „Tatort“. In „Ein Paket mit Sprengkraft“, der vierten Krimi-Produktion des Theaters, geht es in die 1970er Jahre zurück, Terror und beklemmende Polizeistaatsallüren bestimmen das gesellschaftliche Klima. Das Drehbuch stammt erstmals vom Augsburger Lehrer und Autor Peter Dempf, der die Zeit der großen Demonstrationen, Bombenattentate und Polizeiwillkür als Student in Augsburg selbst erlebt hatte.
Auf eine Betonwand wird das „Tatort“-Intro samt Fadenkreuz projiziert, Video-Schnipsel historischer Originalaufnahmen und Spielszenen (Regie und Video: David Ortmann) führen ins Jahr 1974 zurück: Polizeistation Augsburg, Wählscheibentelefone, Kommissare mit Koteletten bis zum Kinn, Schlaghosen und Brillen wie Derrick. An der Wand die RAF-Terroristen in Schwarz-Weiß. Ein Notruf. Stur wimmelt der Beamte in seiner Retro-Telefonzentrale die unbekannte Frau ab. Erst bei dem Wort „Anschlag“wird er hellhörig. Auf die Bibliothek der Universität werde ein Anschlag verübt, flüstert die anonyme Anruferin. Kriminal- Dachs (Andrej Kaminsky) wittert Terrorismus, auch Kommissarsanwärterin Rieger-König (Linda Elsner) dreht auf.
Plötzlich – im Rücken der Zuschauer – Bewegung. Ein grauer Kleintransporter auf drei Rädern braust durch das schummrige Parkhauslicht heran, schiebt sich durch die Menschentraube. Gehört der zum „Film“? Oder ist der echt? Wieder zur Video-Projektion: Dachs beschließt: Kommissarsanwärterin Bärbel Rieger-König darf unter Aufsicht des Hauptkommissars Eberle (Roman Pertl) mit zur Recherche ins Univiertel. Wieder Hektik hinter der Zuschauermenge. Ein Mann in braunem Ledermantel und Hut stürmt zum Kleintransporter, brüllt den Zuschauern – jetzt Teil des Spiels – zu, einer solle mal helfen. Schnell schmeißt er etwas auf die Ladefläche, springt in den Zweitakter und knattert mit großer Geschwindigkeit davon.
Eberle und Rieger-König hasten auf das Publikum zu. „Ausweiskontrolle!“und: „Sympathisanten! Alle mitkommen!“Die aufgekratzte, unberechenbare Rieger-König treibt die 80 Verdächtigen zusammen. Die Zuschauer werden zu „Zeugen“und müssen über die dunkle Straße zur Uni, zum See. Dort steht der verdächtige Kleintransporter, die Anwärterin zieht ihre Waffe. Eine Bibliothekarin wird aus dem Wagen befreit und im Hörsaalzentrum kommt auch der Mann mit Ledermantel (Anatol Käbisch) wieder ins Spiel, ein Paket auf dem Arm. Nach Verfolgungsjagd und einem brutalen Verhör im Hörsaal II fliegt die Terrorgeschichte auf, und in der Bibliothek kommt es zum Showdown.
Dieser vierte „Tatort“ist eine Soloproduktion mit neuen, gut überzeugenden Charakteren, zu genießen auch ohne Kenntnis der vorigen „Tatorte“. Vor allem der Lederdirektor mantel-Mann, ein Antiquitätenhändler, wie sich herausstellt, verkörpert als Polizeiopfer ein besonderes Lebensgefühl der 70er, als eine nationalsozialistische Vergangenheit im Staatsschutz noch weitverbreitet war. Politisches, spannendes und unterhaltsames Theater – nichts für zarte Seelen und schicke Schuhe.