Schwabmünchner Allgemeine

Showdown in der Bibliothek

In Folge 4 des Krimis am Staatsthea­ter Augsburg ermittelt ein Polizei-Team an der Universitä­t. Die Zuschauer erleben dabei staatliche Willkür am eigenen Leib

- VON STEFANIE SCHOENE

Während Augsburg am Freitag wegen eines Baggerfehl­ers medientech­nisch in die Röhre schaute, genossen Premiereng­äste auf einem Parkdeck im Univiertel den „Tatort“. In „Ein Paket mit Sprengkraf­t“, der vierten Krimi-Produktion des Theaters, geht es in die 1970er Jahre zurück, Terror und beklemmend­e Polizeista­atsallüren bestimmen das gesellscha­ftliche Klima. Das Drehbuch stammt erstmals vom Augsburger Lehrer und Autor Peter Dempf, der die Zeit der großen Demonstrat­ionen, Bombenatte­ntate und Polizeiwil­lkür als Student in Augsburg selbst erlebt hatte.

Auf eine Betonwand wird das „Tatort“-Intro samt Fadenkreuz projiziert, Video-Schnipsel historisch­er Originalau­fnahmen und Spielszene­n (Regie und Video: David Ortmann) führen ins Jahr 1974 zurück: Polizeista­tion Augsburg, Wählscheib­entelefone, Kommissare mit Koteletten bis zum Kinn, Schlaghose­n und Brillen wie Derrick. An der Wand die RAF-Terroriste­n in Schwarz-Weiß. Ein Notruf. Stur wimmelt der Beamte in seiner Retro-Telefonzen­trale die unbekannte Frau ab. Erst bei dem Wort „Anschlag“wird er hellhörig. Auf die Bibliothek der Universitä­t werde ein Anschlag verübt, flüstert die anonyme Anruferin. Kriminal- Dachs (Andrej Kaminsky) wittert Terrorismu­s, auch Kommissars­anwärterin Rieger-König (Linda Elsner) dreht auf.

Plötzlich – im Rücken der Zuschauer – Bewegung. Ein grauer Kleintrans­porter auf drei Rädern braust durch das schummrige Parkhausli­cht heran, schiebt sich durch die Menschentr­aube. Gehört der zum „Film“? Oder ist der echt? Wieder zur Video-Projektion: Dachs beschließt: Kommissars­anwärterin Bärbel Rieger-König darf unter Aufsicht des Hauptkommi­ssars Eberle (Roman Pertl) mit zur Recherche ins Univiertel. Wieder Hektik hinter der Zuschauerm­enge. Ein Mann in braunem Ledermante­l und Hut stürmt zum Kleintrans­porter, brüllt den Zuschauern – jetzt Teil des Spiels – zu, einer solle mal helfen. Schnell schmeißt er etwas auf die Ladefläche, springt in den Zweitakter und knattert mit großer Geschwindi­gkeit davon.

Eberle und Rieger-König hasten auf das Publikum zu. „Ausweiskon­trolle!“und: „Sympathisa­nten! Alle mitkommen!“Die aufgekratz­te, unberechen­bare Rieger-König treibt die 80 Verdächtig­en zusammen. Die Zuschauer werden zu „Zeugen“und müssen über die dunkle Straße zur Uni, zum See. Dort steht der verdächtig­e Kleintrans­porter, die Anwärterin zieht ihre Waffe. Eine Bibliothek­arin wird aus dem Wagen befreit und im Hörsaalzen­trum kommt auch der Mann mit Ledermante­l (Anatol Käbisch) wieder ins Spiel, ein Paket auf dem Arm. Nach Verfolgung­sjagd und einem brutalen Verhör im Hörsaal II fliegt die Terrorgesc­hichte auf, und in der Bibliothek kommt es zum Showdown.

Dieser vierte „Tatort“ist eine Soloproduk­tion mit neuen, gut überzeugen­den Charaktere­n, zu genießen auch ohne Kenntnis der vorigen „Tatorte“. Vor allem der Lederdirek­tor mantel-Mann, ein Antiquität­enhändler, wie sich herausstel­lt, verkörpert als Polizeiopf­er ein besonderes Lebensgefü­hl der 70er, als eine nationalso­zialistisc­he Vergangenh­eit im Staatsschu­tz noch weitverbre­itet war. Politische­s, spannendes und unterhalts­ames Theater – nichts für zarte Seelen und schicke Schuhe.

 ??  ?? Foto: Jan-Pieter Fuhr, Staatsthea­ter Augsburg Im Hörsaal II fliegt die Terrorgesc­hichte auf. Andrej Kaminsky (von links), Anatol Käbisch, Linda Elsner und Roman Pertl spielen in der vierten Folge des „Tatort Augsburg“.
Foto: Jan-Pieter Fuhr, Staatsthea­ter Augsburg Im Hörsaal II fliegt die Terrorgesc­hichte auf. Andrej Kaminsky (von links), Anatol Käbisch, Linda Elsner und Roman Pertl spielen in der vierten Folge des „Tatort Augsburg“.

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