Rettungskräfte lernen, sich zu wehren
Pöbler, Betrunkene oder renitente Patienten erschweren die Arbeit von Einsatzkräften immer mehr. Die Retter wollen sich gegen diese Gewalt behaupten können. Das hat auch etwas mit der Stimme zu tun
Gleich zweimal wurde die Polizei zu Einbrüchen in Haunstetten gerufen. Im Zeitraum zwischen Donnerstag und Samstag brach ein unbekannter Täter in ein Reihenhaus in der Egerländer Straße (im Bereich der 50er Hausnummern) ein, indem er sich über die Terrassentür Zutritt verschaffte und diese aufhebelte. Anschließend wurden mehrere Schränke und Schubladen geöffnet und durchwühlt. Ob und was genau entwendet wurde, steht bislang noch nicht fest. Der Sachschaden beläuft sich auf rund 500 Euro. Im selben Zeitraum bekam auch ein Haus in der Freudenthalstraße (im Bereich der 10er Hausnummern) unliebsamen Besuch. Auch hier wurde die Terrassentüre aufgehebelt, um in das Anwesen zu gelangen und anschließend Schränke und Behältnisse zu durchsuchen. Nach derzeitigem Erkenntnisstand wurden neben Bargeld im oberen dreistelligen Eurobereich auch Schmuckgegenstände entwendet. Der angerichtete Sachschaden beläuft sich auf mehrere hundert Euro. (att) „Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass unsere Uniform den Menschen einen gewissen Respekt abverlangt.“Natascha Schuschei fährt für die Malteser in Augsburg Rettungsdienst. Auch sie hat schon erlebt, dass der nötige Respekt gegenüber den Rettungskräften nicht immer erbracht wird. An diesem Samstagnachmittag beschäftigt sie sich mit 15 weiteren Helfern deshalb mit einem unangenehmen Thema: der zunehmenden Gewalt gegen Angehörige der Rettungsdienste. Und der geeigneten Reaktion auf Pöbler, Betrunkene und renitente Patienten. Auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft der Augsburger Hilfsorganisationen und des Polizeisportvereins lernen die ehrenamtlichen und hauptberuflichen Retter beim Projekt „Gemeinsam gegen Gewalt“das richtige Verhalten in einer Gewaltsituation.
Die Vorstellung, seinem Gegenüber an den Kopf zu fassen, ist für Natascha Schuschei unangenehm. „Der Kopf ist eine sensible Stelle, da möchte ich nicht hinlangen.“Selbst, wenn sie damit einen Angriff stoppen könnte. „Kann ich ihm nicht auf den Fuß treten? Das verwirrt ihn bestimmt genauso“, fragt sie Trainer Florian Brandhuber. Er ist Spezialist für Selbstverteidigung im Rettungsdienst, leitet beim Post SV die Jiu-Jitsu-Abteilung und trainiert im Polizeisportverein Judo.
Den Kurs hat er in drei Aspekte unterteilt: Angelehnt an eine Ampel steht Grün für „Prävention“, Gelb für „Selbstbehauptung“und Rot für „Selbstverteidigung“. Für die Rettungskräfte stehen die beiden ersten Aspekte im Vordergrund – zu einem Kampf soll es schließlich möglichst nicht kommen. Doch wenn alles schief geht, hat er auch handfeste Lösungen parat, wie die „Lichtschalter-Technik“, bei der durch kurze Stöße auf Brust und Stirn der Gegner solange aus dem Konzept gebracht werden soll, dass man sich aus dem Kampf lösen und weglaufen kann. Auch eine unauffällige „Kampfhaltung“mit dem Namen „Thinking Man“, also „denkender Mann“, lernen sie kennen. Wie der sprichwörtliche „Denker“, die eine Hand am Kinn und die andere vor der Brust sieht man harmlos aus, kann aber im Ernstfall Gesicht und Körper schützen.
Ein Großteil der 13 Frauen und drei Männer, die an dem Kurs teilnehmen, haben bereits Erfahrungen mit Gewalt und Beleidigung während ihrer Arbeit gemacht. Selbst die Mitglieder des Kriseninterventionsteams sind davon nicht gefeit, wie Stefanie Drewes berichtet. „Wenn wir beispielsweise Angehörige von Unfallopfern betreuen, kommen wir immer wieder in Situationen, wo Menschen akut belastet sind“, sagt sie.
Die Folge können Wutausbrüche sein. Oder sie befänden sich plötzlich mitten in einem eskalierenden Geschehen wieder, wie nach einem Verkehrsunfall, bei dem die eine Partei plötzlich wie wild auf die andere losstürmt. Bei einem Einsatz in einer Privatwohnung habe ihr der Inhaber gedroht, seine sechs Hunde auf sie loszulassen. „So etwas möchte ich nicht mehr erleben“, bekräftigt Drewes. Deshalb interessiert sie vor allem, wie sie Angriffe schon im Vorfeld erkennen kann – und mit welchen Mitteln sie die Parteien wieder beruhigen kann.
Um nicht ahnungslos in eine gefährliche Situation zu geraten, gibt es den „Cooper Color Code“, eine fünfstufige Gefahrenskala aus dem militärischen Bereich, nach der man das eigene Verhalten richten kann, erklärt Brandhuber. „Weiß“bedeutet völlige Arglosigkeit, bei der man einem Angriff hilflos ausgeliefert ist. Ein typisches Beispiel sind Menschen, die mit Augen aufs Handy geheftet durch die Stadt laufen. „Gelb“bedeutet entspannte Wachsamkeit – der Zustand, in dem sich die Retter normalerweise befinden sollten.
Weiter geht es zu „Orange“, einer abstrakten Gefahr und dann zu „Rot“, wenn die Situation eskaliert. „Mit der richtigen Wahrnehmung kann man vielen Dingen aus dem Weg gehen“, so der Trainer. Die Stimme ist ein wichtiges Werkzeug, um sich Respekt zu verschaffen. Unter den Rettern fällt es einigen schwer, einen Angreifer mit einem geschmetterten „Nein!“zu stoppen. „Wir sind dazu erzogen, nicht laut zu schreien“, weiß der Trainer.
Dass die Übungen wirkungsvoll sind, berichtet Annette Rausch, die für die DLRG und das Rote Kreuz im Einsatz ist. Für sie ist der Kurs eine Wiederholung. „Ich musste mich nach dem ersten Kurs gegen einen Übergriff verteidigen – und war froh zu wissen, was ich tun muss.“In der Ausbildung zum Retter komme der Selbstschutz nicht vor, bedauert sie: „Dabei ist es wichtig, bei den jungen Kollegen das Selbstbewusstsein zu fördern.“