Eltern zwischen Halten und Loslassen
Doris Zahn, Diplom-Sozialpädagogin der St. Gregor Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, erklärt, dass eine wohldosierte Angst der Eltern etwas ganz Normales ist
Wenn die zweifache Mama Sandra abends mit ihrem Mann auf dem Sofa sitzt und den Tag Revue passieren lässt, merkt sie erst, wie sich ihre Gedanken um ihre Kinder im Laufe der Jahre verändert haben. Als die beiden Jungs noch klein waren, sorgten sie sich noch darum, ob sie wohl vom Klettergerüst purzeln könnten. Anschließend war es die Fahrt zur Schule mit dem Fahrrad, und nun würden sie am liebsten immer so lange aufbleiben, bis der 16- und der 18-Jährige wohlbehalten im Bett liegen.
Was Sandra und ihren Mann umtreibt, ist ganz normal, weiß Doris Zahn. Die Sozialpädagogin der St. Gregor Kinder-, Jugend- und Familienhilfe geht sogar noch einen Schritt weiter: „Die elterliche Angst ist nichts Schlechtes, sondern etwas Wertvolles.“Angst dient nämlich auch als Motor, um sich weiterzuentwickeln. Angst ist normal und natürlich, wenn sie als Respekt vor einer Herausforderung ausgelebt wird. Situations- und altersbedingt muss dann eruiert werden, ob die Situation mit den Fähigkeiten des Kindes oder des jungen Erwachsenen zu bewältigen ist.
Oft ist die Frage nach dem Umgang mit der elterlichen Angst auch eine Frage nach der Dosierung. Wichtige Fragen in diesem Zusammenhang sind etwa, wie alt das Kind ist, wie weit es in seiner Entwicklung ist und, welche Herausforderungen dem Kind bevorstehen. An dieser Stelle gibt Doris Zahn Eltern einen wichtigen Tipp: „Fragen Sie sich, was Ihr Kind von Ihnen braucht, um die Situation zu meistern.“
Denn die vordringlichste Aufgabe der Eltern besteht darin, ihren Kindern das nötige Rüstzeug mitzugeben, damit diese ihr Leben eigenverantwortlich gestalten können. Die stetige Herausforderung dabei ist es, eine gute Balance zwischen Halten und Loslassen zu finden, damit aus achtsamer Sorge keine lähmende Angst wird.
Diese elterliche Angst benennen und akzeptieren zu können, ist auch der Einstieg der Sozialpädagogin bei ihrem Vortrag. Auch thematisiert sie die Gefahr, dass die Angst der Eltern aus der Balance geraten könnte. Im Fachjargon wird dies bezeichnet als die „Angst vor der Angst“, sprich: Die Angst wird so mächtig, dass sie die aktive Teilhabe sowie wichtige Entwicklungsschritte hemmt oder gar verhindert. Dann ist die Angst der Eltern aus der Balance geraten. Auch gibt es den Fall, der genau andersrum geartet ist. „Es gibt auch Eltern mit zu wenig Angst“, verrät die Sozialpädagogin. Die Signalwirkung der Angst fehlt dann in weiten Teilen.
Die Angst der Eltern begleitet sie in gewissem Maße ihr ganzes Leben lang. Doris Zahn bemüht ein einfaches Bild, um zu erklären, welche Herausforderung Eltern beim Halten und Loslassen zu stemmen haben – nämlich das einer Hand. Es geht darum festzuhalten, zu halten, zu begleiten, zu führen, loszulassen und darauf zu vertrauen, dass Eltern ihren Kindern das rechte Rüstzeug für ein selbstbewusstes Leben mit an die Hand gegeben haben.