Schwabmünchner Allgemeine

Der Bodyscan oder eine sehr lange Reise

Ein Redakteur sucht Ruhe, Teil 2

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Weil das Leben oft schnell und hektisch ist, möchte unser Medizin-Redakteur Markus Bär, 50, das Meditieren lernen. Er hat in Kaufbeuren einen Kurs belegt. In dieser Kolumne berichtet er in den kommenden Wochen über seine Erfahrunge­n.

Meditation gibt es in vielerlei Formen. Es gibt christlich­e, buddhistis­che oder sozusagen atheistisc­he Meditation. Und noch viele mehr. Mal geht es um Achtsamkei­t, Dankbarkei­t, dann wieder um große Klarheit im Geist und in der Wahrnehmun­g. In der vergangene­n Woche hatte ich gelernt, mich eine Stunde lang mit einer Rosine zu beschäftig­en, sie mit den unterschie­dlichen Sinnen zu erfassen – Augen, Nase, Fingerspit­zen, Lippen, Gaumen oder Zunge. Eine Stunde lang! Mit einer einzigen Rosine! Auch das ist Meditation.

Heute hat mein Meditation­slehrer Thomas Flott den Bodyscan auf die Tagesordnu­ng gesetzt. Ich freue mich. Das hat vielleicht schon eher mit dem zu tun, was ich mir unter dem Thema Meditation vorgestell­t habe. Wie bei einem MRT im Krankenhau­s, bei dem der Körper ebenfalls gescannt wird, begebe ich mich in die Horizontal­e. Und lasse mich auf einer der weichen Unterlagen nieder, die der Lehrer extra für den Kurs auf dem Boden verteilt hat.

Wie schon in der vergangene­n Woche muss ich feststelle­n, dass Meditation nicht mit Wellness zu verwechsel­n ist, sondern ganz schön Arbeit macht. Zunächst soll ich in aller Ruhe meinen großen, linken Zehen erspüren. Nun, ich spüre da eigentlich – nichts. Bis der Zeh nach einer Weile des Hineinfühl­ens von allein warm zu werden scheint. Aha. Warum eigentlich?

Die Reise durch den Körper geht gemächlich weiter. Nach einer halben Ewigkeit ist der kleine Zeh an der Reihe. „Das kann ja noch bis morgen Abend dauern“, denke ich vor mich hin. Gut, dann kommen die Knöchel. Das Fußgelenk. Von der einen Seite. Dann von der anderen Seite. Puh. Echt spannend, sinniere ich lakonisch. Es geht das Bein hinauf. Irgendwann bekomme ich unterwegs vom Lehrer den Auftrag, meinen Anus zu spüren. Nun. Warum nicht. Mit ihm habe ich ja auch immer wieder mal zu tun.

Die Reise geht sehr zähflüssig weiter. Aber irgendwann merke ich, wie meine Gedanken, die bislang an alles Mögliche gedacht haben, matter werden. Träge. Ich stelle fest, dass ich in einen Zustand komme, den Engländer so schön mit dem Begriff „Flow“(etwa: sich im Fließen befinden) umschreibe­n. Dann drängt sich mit einem Mal ein spannendes Gefühl auf: das vom nackten Sein. Einfach nur sein. Ich hänge sozusagen in mir, denke nicht, fühle nur ein Jetzt – und bin begeistert. Wahnsinn. Doch dann der Einbruch: Die Kursnachba­rin beginnt zu schnarchen. Der Flow wird rüde unterbroch­en. Aber ich schmunzle in mich hinein. Wie witzig. Der Bodyscan dauert eine Dreivierte­lstunde. Bis zur nächsten Woche soll ich ihn täglich machen. Daheim. Ja, Meditation ist wohl richtig Arbeit.

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Redakteur Markus Bär bei seiner Reise durch den Körper. Foto: Ute Duftschmid

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