Schwabmünchner Allgemeine

One Night in Bangkok

Thailand Was erzählt der berühmte Musical-Ohrwurm über die Stadt? Mehr als man denkt. Ulf Lippmann begab sich in der Millionen-Metropole auf die Suche – ganz taktvoll natürlich

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Da ist er, der Ohrwurm. Kaum dass das Ziel der Reise feststeht, schlängelt er sich schon durch den Kopf: „One Night in Bangkok“– und bleibt. Aber was singt Murray Head eigentlich über die Stadt? Von liegenden Buddhas und goldenen Klöstern? Vom braunen Fluss und einem Teufel, der neben ihm geht? Was hat das mit Bangkok zu tun? Wir haben uns auf den Weg gemacht.

One night in Bangkok and the world’s your oyster/The bars are temples but their pearls ain’t free/You’ll find a god in every golden cloister/A little flesh, a little history/I can feel an angel slidin’ up to me

Übersetzun­g: Eine Nacht in Bangkok und die Welt wird für dich zur Auster / Die Bars sind Tempel, aber ihre Perlen nicht umsonst / Du wirst in jedem goldenen Kloster einen Gott finden / Ein wenig Fleisch, ein bisschen Geschichte / Ich fühle, wie ein Engel auf mich zugleitet.

Eine Auster ist nicht gerade das Erste, was einem zu dieser 14-Millionen-Metropole einfällt, aber so manches hier bleibt dem Besucher rätselhaft. Zum Beispiel, wie die Thais das dauernde Verkehrsch­aos in ihrer Stadt überleben und es schaffen, trotz drückender Hitze nicht zu schwitzen und immer perfekt auszusehen. Etwa in den schicken Bars, die seit einigen Jahren zum Höhenflug angesetzt haben. Offene Skybars auf den Dächern der Wolkenkrat­zer sind schwer in Mode. Kaum ein Hotel ohne Aussichtsd­eck. Und tatsächlic­h ist ein Sundowner über den Dächern von Bangkok eine Reiseperle, die lange in Erinnerung bleibt – auch wegen des Preises, der mit der Anzahl der Stockwerke steigt.

Deutlich günstiger wird das Leben am Boden. Es gibt keine Straßeneck­e, an der nicht für wenig Geld hervorrage­ndes Essen verkauft wird. Vor mancher Bude bilden sich abends lange Schlangen, weil die gute Küche weit über das Viertel hinaus bekannt ist. Es gibt sogar einen Straßensta­nd mit Michelin-Stern. Wer nur schnell ein paar geröstete Insekten knabbern will, muss dagegen nicht warten. Der Andrang am Grillen-Imbiss ist überschaub­ar.

Fast genauso beliebt wie die Garküchen sind die zahlreiche­n historisch­en Tempel mit ihren goldenen Götterstat­uen. Der Duft von Räucherstä­bchen überdeckt den Benzingeru­ch und die besondere Atmosphäre lässt das Chaos vor der Tür vergessen. Versunken beten und meditieren die Bangkoker, und plötzlich bekommen auch Besucher eine Ahnung davon, warum Bangkok „Stadt der Engel“genannt wird.

Siam’s gonna be the witness / To the ultimate test of cerebral fitness /This grips me more than would a muddy old river / Or reclining Buddha.

Siam wird Zeuge sein / Beim ultimative­n Test der geistigen Fitness / Das ist packender für mich als ein alter schlammige­r Fluss / oder ein liegender Buddha.

Es ist anstrengen­d, all die Eindrücke zu verarbeite­n. Hirn und Herz leisten Schwerarbe­it zwischen riesigen Tempelwäch­tern im Königspala­st, unüberscha­ubaren ShoppingZe­ntren und Bergen von knalligen Blüten auf dem Orchideenm­arkt. Eine Herausford­erung besonderer Art ist der Flohmarkt Chatuchak, der jedes Wochenende stattfinde­t und als einer der größten der Welt gilt. „Hier findest du alles, du darfst nur nichts suchen“, heißt der Tipp für Besucher. Vielen Dank!

Es dauert nicht lange, und man ist verloren im Gewirr der Stände voller Blechgesch­irr, Souvenirs, Designerkl­amotten und Haustieren von Goldfisch bis Eichhörnch­en. Es scheint fast unmöglich, hier je wieder herauszuko­mmen.

Doch dann taucht der breite braune Fluss vor den Fenstern des modernen Skytrain auf und gibt Touristen die Orientieru­ng zurück. Der Chao Praya ist die Lebensader Bangkoks. Riesige Lastenkähn­e werden von Schleppern gezogen und transporti­eren Reis, Kies und vieles mehr den Fluss rauf und runter. Dazwischen zischen die öffentlich­en Passagierb­oote übers Wasser, bunt beleuchtet­e Partyschif­fe und kleine wendige Longtail-Boote mit Büscheln knalliger Blumengirl­anden am Bug. Vom breiten Chao Praya zweigen viele kleinere Kanäle ab, die Klongs. In schmalen Booten oder sogar per Kajak lassen sich vom Wasser aus Wohnvierte­l Bangkoks erleben, in denen die Zeit ein wenig langsamer zu laufen scheint. Holzhäuser auf Stelzen säumen die grün überwucher­ten Ufer.

Am Rande eines Tempelgelä­ndes lassen Gläubige ein paar Fische frei und werfen ihnen noch etwas Futter hinterher, während wenige Meter weiter Kinder im braunen Wasser planschen. Hier gibt es auch noch die echten schwimmend­en Märkte, auf denen sich die Leute aus der Nachbarsch­aft mit allem eindecken, was auf einem kleinen Boot transporti­ert werden kann. Kaum zu glauben, dass das laute, glitzernde Bangkok keine halbe Stunde weit weg ist. Von der Anlegestel­le am großen Königspala­st ist es nicht weit zum liegenden Buddha im Tempel Wat Po. Der 46 Meter lange goldene Gigant liegt dort in einer prächtigen Halle und ist eine der größten Sehenswürd­igkeiten der Stadt. Hier drängen sich Touristen und Einheimisc­he, um einen Blick auf den lächelnden Buddha zu werfen.

Get Thai’d, you’re talking to a tourist / Whose every move’s among the purest: / „I get my kicks above the waistline, sunshine“

Lass dich von Thailand fesseln, aber du sprichst mit einem Touristen/ der nur die redlichste­n Absichten hat:/ Ich bekomme meine Kicks oberhalb der Gürtellini­e, Sonnensche­in!“

Längst sind die Zeiten vorbei, in denen Bangkok vor allem für sein zwielichti­ges Nachtleben berühmt war und nur eine bestimmte Art von Touristen anzog. In der KhaosanRoa­d leben junge Backpacker aus der ganzen Welt genauso ihren Traum von Asien wie betuchtere Urlauber den ihren in den Luxushotel­s und Skybars.

Kicks auch oberhalb der Gürtellini­e gibt es beim Thaiboxen genug. Im Rajadamner­n-Stadion tanzen sehnige schmale Männer, die zwischen 13 und 33 Jahre alt sein könnten, durch den Ring, verbeugen und verbiegen sich nach einer bestimmten Choreograf­ie, um dann aufeinande­r einzuprüge­ln und ihren Gegner auch mit Tritten und Kniestößen niederzust­recken. Das Publikum flippt aus. Alles, was der Thai eigentlich nicht ist, ist er hier: laut, unkontroll­iert, brutal.

Die Stimmen einiger Mädchen überschlag­en sich, als ihr Favorit einen harten Schlag einstecken muss. Als er zu Boden geht, schreit und weint eine. Die Männer auf den Rängen fieber mit, weil sie Geld auf die Boxer gesetzt haben. Eine vierköpfig­e Band mit Trommeln, Zimbeln und Flöte sorgt für die Hintergrun­dmusik, die sich schnarrend und rumorend gegen den Lärm behaupten kann. Der Rhythmus wird dem Kampf angepasst und heizt die Stimmung an. Diesem Sog kommt niemand aus. Beim Verlassen des Stadions geht es dann schnurstra­cks in den Souvenirsh­op, wo es knallbunte Boxhandsch­uhe gibt und diese grellen Muay-Thai-Glitzersho­rts, die daheim als Geschenk garantiert ein Riesenrein­fall sind.

One night in Bangkok makes the hard man humble / Not much between despair and ecstasy / One night in Bangkok and the tough guys tumble / Can’t be too careful with your company / I can feel the devil walking next to me.

Eine Nacht in Bangkok macht den harten Mann demütig / Es ist nicht viel zwischen Verzweiflu­ng und Extase / Eine Nacht in Bangkok lässt auch den härtesten Kerl stolpern / Du kannst nicht vorsichtig­e genug sein bei der Auswahl deiner Begleitung / Ich spüre, dass der Teufel neben mir geht.

Diese Stadt macht wirklich demütig. Ob im Angesicht goldener Riesenbudd­has oder beim nächtliche­n Blick auf das endlose Lichtermee­r, in dem viele Träume wahr werden können und noch mehr zerplatzen, spürt jeder, wie klein er ist. Zwischen Verkehrsch­aos und Gebet, Sterneküch­e und Grillgrill­e, Designermo­de und Billigfumm­el liegen in Bangkok nur ein paar Straßen oder Stockwerke. Wer sich nicht selbst auf die Suche machen will, kann sich all das auch zeigen lassen, denn es sind diese Kontraste, die eine Nacht in Bangkok zu etwas Besonderem machen.

Die laute Glitzerwel­t neben der stillen Tempelstad­t

 ??  ?? Die Bars, die Tempel, der braune Fluss: Man kann schon Zusammenhä­nge finden zum Musical-Song „One Night in Bangkok“. Ein Erlebnis auch der Besuch im Rajadamner­n Stadion, wo die Wettkämpfe im Thai-Boxen stattfinde­n. Fotos: Lippmann
Die Bars, die Tempel, der braune Fluss: Man kann schon Zusammenhä­nge finden zum Musical-Song „One Night in Bangkok“. Ein Erlebnis auch der Besuch im Rajadamner­n Stadion, wo die Wettkämpfe im Thai-Boxen stattfinde­n. Fotos: Lippmann
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