Es lebe der Sportverein
SV, SSV und SpVgg – steckt der klassische Sportverein in der Krise? Wie kann er gegen Konkurrenz im digitalen Zeitalter bestehen? Und welche Rolle spielt das Ehrenamt? / Serie (1)
Landkreis Augsburg Der Sportverein gilt noch immer als der Kitt der Gesellschaft: Er verbindet Engagement und Geselligkeit mit Sport und Kampfgeist. Wir beleuchten in unserer Themenwoche, welche Rolle diese Vereine für uns spielen – und weshalb manch einer in der Krise steckt.
Zweimal im Jahr zieht der Bayerische Landessportverband (BLSV) Bilanz. Dann listet er alle Vereine auf. In dieser Tabelle stehen traditionelle Sportarten neben jenen, die exotisch anmuten. Neun Kegelvereine gibt es im Landkreis, je vier für Ju-Jutsu und Luftsport. American Football und Aikido stehen auf der Liste, ebenso wie Fußballklubs und Turnvereine. Die Vielfalt nimmt zu – aber die Gesamtzahl der Mitglieder steigt nicht.
Im digitalen Zeitalter wächst die Konkurrenz. „Die Kinder sitzen immer häufiger vor dem Computer, E-Sports gewinnen an Bedeutung“, sagt Loni Becht, die stellvertretende Vorsitzende des BLSV-Bezirks Schwaben. Zudem stünden die Kinder unter Stress: Ganztagsschule und Leistungsdruck – da werde die Zeit knapp. Eben deshalb fehle vielen Sportvereinen der Nachwuchs, sagt Becht. Angebote für den Mannschaftssport werden eingestellt, manche Teams sichern ihr Überleben, indem sie Spielgemeinschaften mit dem Nachbarverein eingehen.
Doch was hilft dagegen? „Ein moderner Verein muss aktuell sein und Trendsportarten aufgreifen“, sagt Becht. Mit einem Programm, das verschiedene Bedürfnisse bedient, könne man neue Mitglieder werben. „Außerdem muss der Verein ansprechende Trainingsstätten bieten. Also kein altes, muffiges Gebäude wie zum Beispiel die Augsburger Schulturnhallen.“Ja – Sportklubs verzeichnen immer noch Zuwächse bei Kindern und Jugendlichen, und auch Senioren zeigen Interesse am Sport. Doch für ältere Menschen fehle oft das passende Angebot, sagt Becht. „Sie werden noch zu wenig gefördert.“
ATP – ein Alterstrainingsprogramm für Menschen ab 60 Jahren – bietet der TSV Schwabmünchen, Bechts Heimatverein. Sie betont: „Es muss nicht immer Leistungssport sein.“Im Alter genüge es schon, jeden Tag 20 Minuten zu gehen.
„Eine Lücke klafft auch bei den 24- bis 35-Jährigen. Vor allem bei den Frauen“, sagt Becht. Die würden sich in dieser Lebensphase der Familie widmen, den Kindern oder auch dem Beruf. Parallele Programme könnten helfen: Das Kind beim Fußball, die Mutter zeitgleich bei der Gymnastik. Doch um so ein Angebot zu stemmen, braucht es Menschen, die Verantwortung übernehmen. Es gebe genug Leute, die sich zum Übungsleiter oder Trainer ausbilden lassen, sagt Becht. „Doch nach der Prüfung verschwinden sie urplötzlich.“Schule oder Beruf verlangen dann wieder die volle Aufmerksamkeit. „Die Bereitschaft, sich für einen geringen Obulus – oder gar keinen – Woche für Woche in die Sporthalle zu stellen, die ist gering“, sagt Becht.
Als eine Hürde für ehrenamtliches Engagement entpuppt sich auch die neue Datenschutzverordnung. Vor allem für kleine Vereine sei der hohe Aufwand nur schwer zu stemmen. „Mitteilungen, Nachrichten, Bildmaterial – es herrscht große Unsicherheit. Aber: Wir kommen nicht drum herum“, sagt Becht.
Auch Johann Karle ist einer, der lange für den Sport geworben hat. Bis vor wenigen Tagen war er noch Präsident des SSV Anhausen. Hinter ihm und seinem Verein liegt eine lange Suche nach einem neuen Vereinschef. Karle erinnert sich: Schon im März 2017 habe er bekannt gegeben, dass er nicht mehr kandidieren werde. Nach zwölf Jahren als Präsident des Sportvereins wollte er sich zurückziehen. Die Vorstandsmitglieder machten sich auf die Suche, doch nur ein einziger Interessent ließ sich finden. „Aber der hat gesagt: Alleine mach ich es nicht“, sagt Karle. Deshalb ließ sich der Altpräsident im März 2018 noch einmal überzeugen: Ein weiteres halbes Jahr im Amt, zumindest geschäftsführend, bis eine Ablösung in Sicht ist. Karle war sich seiner Verantwortung bewusst: „Ohne Führung ist so ein Verein nicht handlungsfähig. Man kann nichts unterschreiben, nichts verbindlich vereinbaren.“Der Schatzmeister hatte schließlich die Idee: Er schlug vor, etwas an den Grundfesten des Vereins zu ändern, an der Satzung. Die Last der alleinigen Vereinsführung sollte nun auf drei Schultern, auf drei Präsidenten verteilt werden.
So suchte und fand der SSV Anhausen eine Lösung mit Netz und doppeltem Boden. Zwei Mitglieder waren schnell gefunden, der dritte hat sich vier Wochen vor der Sitzung überzeugen lassen. Karle findet es gut, dass es zu einer starken Verjüngung kam. Der jüngste der drei neuen Präsidenten ist gerade einmal 22 Jahre alt. „Das Happy End hat etwas Zeit gebraucht. Was wir gelernt haben? Die Aufgaben wesentlich besser zu verteilen“, sagt Karle.
Um eine Nachfolgeregelung muss sich auch der TSV Gersthofen bemühen. Bei den Wahlen 2020 wird Hinrich Habenicht nicht mehr antreten. Seit geraumer Zeit schon sucht der 74-Jährige, der seit 2014 an der Spitze des mit knapp 4000 Mitgliedern größten Sportvereins im Landkreis steht, einen Nachfolger. „Die Jugend ist nur noch schwer für solche Dinge zu begeistern“, sagt der Rentner. Doch nicht nur aus Zeitgründen sagen Interessenten ab. „Zuletzt habe ich Absagen erhalten, weil die Ehefrau dagegen war“, schmunzelt Habenicht. Eine Lösung könnte ein hauptamtlicher Geschäftsführer sein. Doch dem TSV-Präsidenten ist klar: „So ein Mann kostet zwischen 60 000 und 80 000 Euro im Jahr. Da müsste man die Beiträge erhöhen. Dann wäre das Geschrei groß.“
Viele, so Habenicht, würden ein Ehrenamt einzig und allein aus persönlicher Herausforderung annehmen. „Diese Einstellung kommt von innen. Wenn man die nicht hat, dann macht man’s auch nicht“, sagt er. Das Wort „Ehrenamt“kann er nicht mehr hören, weil es von der Politik völlig falsch interpretiert werde: „Warum gibt es kein Gesetz, das die persönliche, finanzielle Verantwortung von den Ehrenamtlichen wegnimmt?“Dann würde es vielleicht wieder Interessenten geben, und es müssten nicht über 15000 Vereine geschlossen werden, wie in der Bundesrepublik in den vergangenen zehn Jahren geschehen. Tendenz steigend.
Lesen Sie morgen Teil zwei unserer Serie: „Zumba in Willmatshofen“– Wie auch kleine Sportvereine auf dem Land neue Wege gehen.