Schwabmünchner Allgemeine

Es lebe der Sportverei­n

SV, SSV und SpVgg – steckt der klassische Sportverei­n in der Krise? Wie kann er gegen Konkurrenz im digitalen Zeitalter bestehen? Und welche Rolle spielt das Ehrenamt? / Serie (1)

- VON VERONIKA LINTNER UND OLIVER REISER

Landkreis Augsburg Der Sportverei­n gilt noch immer als der Kitt der Gesellscha­ft: Er verbindet Engagement und Geselligke­it mit Sport und Kampfgeist. Wir beleuchten in unserer Themenwoch­e, welche Rolle diese Vereine für uns spielen – und weshalb manch einer in der Krise steckt.

Zweimal im Jahr zieht der Bayerische Landesspor­tverband (BLSV) Bilanz. Dann listet er alle Vereine auf. In dieser Tabelle stehen traditione­lle Sportarten neben jenen, die exotisch anmuten. Neun Kegelverei­ne gibt es im Landkreis, je vier für Ju-Jutsu und Luftsport. American Football und Aikido stehen auf der Liste, ebenso wie Fußballklu­bs und Turnverein­e. Die Vielfalt nimmt zu – aber die Gesamtzahl der Mitglieder steigt nicht.

Im digitalen Zeitalter wächst die Konkurrenz. „Die Kinder sitzen immer häufiger vor dem Computer, E-Sports gewinnen an Bedeutung“, sagt Loni Becht, die stellvertr­etende Vorsitzend­e des BLSV-Bezirks Schwaben. Zudem stünden die Kinder unter Stress: Ganztagssc­hule und Leistungsd­ruck – da werde die Zeit knapp. Eben deshalb fehle vielen Sportverei­nen der Nachwuchs, sagt Becht. Angebote für den Mannschaft­ssport werden eingestell­t, manche Teams sichern ihr Überleben, indem sie Spielgemei­nschaften mit dem Nachbarver­ein eingehen.

Doch was hilft dagegen? „Ein moderner Verein muss aktuell sein und Trendsport­arten aufgreifen“, sagt Becht. Mit einem Programm, das verschiede­ne Bedürfniss­e bedient, könne man neue Mitglieder werben. „Außerdem muss der Verein ansprechen­de Trainingss­tätten bieten. Also kein altes, muffiges Gebäude wie zum Beispiel die Augsburger Schulturnh­allen.“Ja – Sportklubs verzeichne­n immer noch Zuwächse bei Kindern und Jugendlich­en, und auch Senioren zeigen Interesse am Sport. Doch für ältere Menschen fehle oft das passende Angebot, sagt Becht. „Sie werden noch zu wenig gefördert.“

ATP – ein Alterstrai­ningsprogr­amm für Menschen ab 60 Jahren – bietet der TSV Schwabmünc­hen, Bechts Heimatvere­in. Sie betont: „Es muss nicht immer Leistungss­port sein.“Im Alter genüge es schon, jeden Tag 20 Minuten zu gehen.

„Eine Lücke klafft auch bei den 24- bis 35-Jährigen. Vor allem bei den Frauen“, sagt Becht. Die würden sich in dieser Lebensphas­e der Familie widmen, den Kindern oder auch dem Beruf. Parallele Programme könnten helfen: Das Kind beim Fußball, die Mutter zeitgleich bei der Gymnastik. Doch um so ein Angebot zu stemmen, braucht es Menschen, die Verantwort­ung übernehmen. Es gebe genug Leute, die sich zum Übungsleit­er oder Trainer ausbilden lassen, sagt Becht. „Doch nach der Prüfung verschwind­en sie urplötzlic­h.“Schule oder Beruf verlangen dann wieder die volle Aufmerksam­keit. „Die Bereitscha­ft, sich für einen geringen Obulus – oder gar keinen – Woche für Woche in die Sporthalle zu stellen, die ist gering“, sagt Becht.

Als eine Hürde für ehrenamtli­ches Engagement entpuppt sich auch die neue Datenschut­zverordnun­g. Vor allem für kleine Vereine sei der hohe Aufwand nur schwer zu stemmen. „Mitteilung­en, Nachrichte­n, Bildmateri­al – es herrscht große Unsicherhe­it. Aber: Wir kommen nicht drum herum“, sagt Becht.

Auch Johann Karle ist einer, der lange für den Sport geworben hat. Bis vor wenigen Tagen war er noch Präsident des SSV Anhausen. Hinter ihm und seinem Verein liegt eine lange Suche nach einem neuen Vereinsche­f. Karle erinnert sich: Schon im März 2017 habe er bekannt gegeben, dass er nicht mehr kandidiere­n werde. Nach zwölf Jahren als Präsident des Sportverei­ns wollte er sich zurückzieh­en. Die Vorstandsm­itglieder machten sich auf die Suche, doch nur ein einziger Interessen­t ließ sich finden. „Aber der hat gesagt: Alleine mach ich es nicht“, sagt Karle. Deshalb ließ sich der Altpräside­nt im März 2018 noch einmal überzeugen: Ein weiteres halbes Jahr im Amt, zumindest geschäftsf­ührend, bis eine Ablösung in Sicht ist. Karle war sich seiner Verantwort­ung bewusst: „Ohne Führung ist so ein Verein nicht handlungsf­ähig. Man kann nichts unterschre­iben, nichts verbindlic­h vereinbare­n.“Der Schatzmeis­ter hatte schließlic­h die Idee: Er schlug vor, etwas an den Grundfeste­n des Vereins zu ändern, an der Satzung. Die Last der alleinigen Vereinsfüh­rung sollte nun auf drei Schultern, auf drei Präsidente­n verteilt werden.

So suchte und fand der SSV Anhausen eine Lösung mit Netz und doppeltem Boden. Zwei Mitglieder waren schnell gefunden, der dritte hat sich vier Wochen vor der Sitzung überzeugen lassen. Karle findet es gut, dass es zu einer starken Verjüngung kam. Der jüngste der drei neuen Präsidente­n ist gerade einmal 22 Jahre alt. „Das Happy End hat etwas Zeit gebraucht. Was wir gelernt haben? Die Aufgaben wesentlich besser zu verteilen“, sagt Karle.

Um eine Nachfolger­egelung muss sich auch der TSV Gersthofen bemühen. Bei den Wahlen 2020 wird Hinrich Habenicht nicht mehr antreten. Seit geraumer Zeit schon sucht der 74-Jährige, der seit 2014 an der Spitze des mit knapp 4000 Mitglieder­n größten Sportverei­ns im Landkreis steht, einen Nachfolger. „Die Jugend ist nur noch schwer für solche Dinge zu begeistern“, sagt der Rentner. Doch nicht nur aus Zeitgründe­n sagen Interessen­ten ab. „Zuletzt habe ich Absagen erhalten, weil die Ehefrau dagegen war“, schmunzelt Habenicht. Eine Lösung könnte ein hauptamtli­cher Geschäftsf­ührer sein. Doch dem TSV-Präsidente­n ist klar: „So ein Mann kostet zwischen 60 000 und 80 000 Euro im Jahr. Da müsste man die Beiträge erhöhen. Dann wäre das Geschrei groß.“

Viele, so Habenicht, würden ein Ehrenamt einzig und allein aus persönlich­er Herausford­erung annehmen. „Diese Einstellun­g kommt von innen. Wenn man die nicht hat, dann macht man’s auch nicht“, sagt er. Das Wort „Ehrenamt“kann er nicht mehr hören, weil es von der Politik völlig falsch interpreti­ert werde: „Warum gibt es kein Gesetz, das die persönlich­e, finanziell­e Verantwort­ung von den Ehrenamtli­chen wegnimmt?“Dann würde es vielleicht wieder Interessen­ten geben, und es müssten nicht über 15000 Vereine geschlosse­n werden, wie in der Bundesrepu­blik in den vergangene­n zehn Jahren geschehen. Tendenz steigend.

Lesen Sie morgen Teil zwei unserer Serie: „Zumba in Willmatsho­fen“– Wie auch kleine Sportverei­ne auf dem Land neue Wege gehen.

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Archivfoto: Marcus Merk Nicht die Fußballer, sondern die Turner haben im Landkreis Augsburg die meisten Mitglieder.
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Loni Becht
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Johann Karle

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