Bittere Pille
Die Wertach-Apotheke in Bobingen Siedlung schließt nach 39 Jahren. Warum das Aus dieser Institution nicht mehr vermeidbar war
Bobingen-Siedlung „Ein ,Weiter-so‘ konnte es einfach nicht geben“, sagt er. Man merkt Wolfgang Stingl, dem Betreiber der Wertach-Apotheke, an, dass ihm dieses Gespräch nicht leicht fällt. „Nach 39 Jahren zuzusperren, das tut mir in der Seele weh“, sagt Stingl. Aber eine Möglichkeit, wie er die Apotheke erhalten könnte, sieht er leider nicht mehr. Ihm ist klar, dass nach dem Weggang des praktischen Arztes und der Schließung der Bankfiliale, dies ein weiterer harter Schlag für die Einwohner des Stadtteils ist. Aber gerade die Tatsache, dass es in der Siedlung keine Arztpraxis mehr gibt, bedeute für eine Apotheke eine schwierige Lage. Lange habe er die Umsatzrückgänge, die daraus resultierten, kompensieren können. Aber sinkende Einwohnerzahlen und ein immer stärker werdender Konkurrenzdruck durch das Internet, machen ihm das nun nicht mehr länger möglich. Ein Anliegen ist es ihm, sich bei seinen treuen Stammkunden zu bedanken. „Ohne die hätten wir schon viel länger zusperren müssen“, sagt Stingl. Aber es wird immer schlimmer. Speziell bürokratische Auflagen und das Prozedere, das die Krankenkassen mittlerweile verlangten, verursache in einer klei- „Vor-Ort-Apotheke“einen Aufwand, der einfach nicht mehr zu leisten sei, führt er aus. Alleine die Software, mit der das Medikamentenmanagement und die Abrechnung mit den Krankenkassen erfolge, würde in seiner kleinen Apotheke mit monatlich 1000 Euro zu Buche schlagen. Den Zeitaufwand nicht mitgerechnet. Dazu käme die Konkurrenz durch das Internet. Hier sei aus seiner Sicht die Politik der vergangenen Jahre ein Grund für eine massive Wettbewerbsverzerrung. Viele wüssten zum Beispiel nicht, dass auf Medikamente in Deutschland der volle Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent angewandt wird. Internetapotheken, die im Ausland sitzen, zum Beispiel in Holland, bezahlen nur knapp die Hälfte. Auch fällt die Anwesenheitspflicht eines Apothekers weg. Er müsse in seiner Apotheke garantieren, dass zu den Öffnungszeiten immer ein Apotheker anwesend ist. Dies bedeute für ihn und seine Mitarbeiterin 50 bis 60 Stunden-Wochen.
Das sei für ihn, der er nun bald 69 Jahre alt ist, einfach nicht mehr zu machen. Auch seine langjährige Mitarbeiterin, die auch Apothekerin ist, hätte das Rentenalter längst erreicht und könne dieses immense Maß an Einsatz nicht mehr leisten. Hinzu kämen dann noch die Notdienste. Etwa 30 Mal im Jahr habe er 24-Stunden-Notdienste leisten müssen. Und das bei einer Aufwandsentschädigung, die es nicht erlaube, einen Mitarbeiter einzuset- zen. So habe er diese Notdienste aus finanziellen Gründen selber übernehmen müssen. „In jungen Jahren steckt man das leichter weg. Aber mit zunehmendem Alter fordert dies natürlich seinen Tribut. Irgendwann ist die Energie, die der Körper dafür zur Verfügung hat, aufgebraucht“, erklärt der Apotheker. Auch die Lebenszeit, die man zur Verfügung habe, sei begrenzt. Mit zunehmendem Alter mache sich diese Erkenntnis im Denken immer breiter und verlange nach Berücksichtigung. So sei es ihm einfach nicht mehr möglich, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Auch seine intensive Suche nach einem Nachfolger war nicht von Erfolg gekrönt. Dabei, so betont er, sei die Apothenen ke in einem absolut gesetzeskonformem Zustand und völlig auf der Höhe der Zeit. Sie könnte genauso weitergeführt werden. Sogar auf eine Ablöse des Inventars würde er verzichten. Aber trotz vieler Bemühungen sei es ihm nicht gelungen, eine Nachfolgeregelung präsentieren zu können. Ein bisschen enttäuscht sei er auch, dass von den Verantwortlichen der Stadt Bobingen wenig Interesse bekundet worden sei. Schon früh habe er sowohl bei der Stadt direkt, im Quartiersmanagement der Siedlung und bei einigen Stadträten auf seine Probleme aufmerksam gemacht: „Die Reaktion war gleich null.“Eine leichte Verbitterung klingt bei diesen Worten durch. Aber er sehe keine andere Möglichkeit. Er wünsche sich als jemand, der selbst in der Siedlung lebt, dass wenigstens der Supermarkt, das Schreibwarengeschäft und die Bäckerei weiterhin in dem Stadtteil überleben können. Aber auch hier habe es in den vergangenen Jahren bezüglich Umsatzvolumen und Kundenfrequenz Einbußen gegeben. Ob das Neubaugebiet im Norden des Stadtteils hier viel ändern wird, sei mit einigen Fragezeichen versehen. So bleibt nur zur Kenntnis zu nehmen, dass die Bobinger Siedlung ein weiteres Glied ihrer Infrastruktur und zugleich eine Institution verliert, die für viele Siedler über Jahre Teil ihres Lebens war. Denn auch dies gilt es festzuhalten. Wolfgang Stingl war nicht nur Geschäftsmann, sondern hatte immer ein offenes Ohr für die Nöte und Sorgen seiner Kunden, von denen viele über die Jahre hinweg auch zu Freunden wurden. So geht ein Stück Geschichte in diesem Teil von Bobingen für immer verloren. Nicht zuletzt auch deswegen, weil es innerhalb von fünf Jahren nicht gelungen ist, in einem Stadtteil, der mehr als 1700 Einwohner zählt, einen praktischen Arzt anzusiedeln. Nicht einmal für eine oder zwei Sprechstunden in der Woche.
Letztlich bleibt nur zu hoffen, dass dies nach Schließung der Filiale der Raiffeisenbank die letzte Hiobsbotschaft war, die auf die Siedler zukommt. Denn sonst werden die Bemühungen, das Quartier aufzuwerten, wahrscheinlich im Sande verlaufen.