Üppig singen, üppig essen
Wenn erst mal eine seiner unwiderstehlichen Opern-ouvertüren in Gang kommt, hält es kaum einen auf dem Sitz. Vor 150 Jahren starb der Komponist, der neben Stimmakrobatik eine weitere Leidenschaft pflegte
Wer in seinem Leben beinahe 40 Opernpartituren zustande gebracht hat, der wird sich wohl in den Ruhestand verabschieden dürfen, nicht wahr? Ja – und doch mutet das seltsam an, wenn gerade mal Ende 30 ist und mit „Wilhelm Tell“soeben erst eines seiner tollsten Stücke vorgelegt hat. Doch es ist dabei geblieben: Gioachino Rossini hat von da an keine Note mehr für die Opernbühne geschrieben, und das, obwohl ihm noch vier Jahrzehnte beschieden waren – bevor ihn am 13. November 1868, heute vor 150 Jahren, der Tod infolge einer Darmerkrankung ereilte.
Aber es ist auch so genügend Rossini-musik vorhanden. Musik, die noch heute ebenso von den Stühlen reißt wie damals in der Glanzzeit. In den Zehner-, Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts befand sich halb Europa im Taumel vor den Klängen des Italieners – in Paris nicht anders als in London oder Wien. Woran aber liegt es, dass man als musikempfänglicher Mensch nicht auskommt vor diesem Rossini?
Nehmen wir als Beispiel sein bekanntestes Werk, den „Barbier von Sevilla“. Und davon gleich die Ouvertüre – sammelt sich doch hier wie unter einem Brennglas so vieles von dem, was Rossinis Unsterblichkeit ausmacht. Die Musik hebt erst einmal in langsamer Gangart an, natürlich – anders geht’s bei Rossini
er
kaum – mit einer schwelgerischen Melodie. Dann aber, im zweiten Teil der Ouvertüre, ist auf einmal deutlich mehr Tempo im Spiel, wieder eine dieser Ohrwurmmelodien, doch jetzt über einem markanten, eingängigen Rhythmus. Und dann schließlich, was regelrecht zur Marke wurde, das „Rossini-crescendo“: Wieder und wieder wird ein Thema wiederholt, und jedes Mal treten im Orchester neue Instrumente hinzu, alles wird lauter und schneller – bis es, ja, in einer Art musikalischem Schwips kulminiert. Fast unmöglich, dieses Prickeln beim Hören nicht selbst in Arm und Bein zu spüren!
Rossinis Musik ist heutzutage ein Synonym fürs Spritzig-komödiantische. Dabei hat der 1792 in Pesaro geborene Meister zu seinen Lebzeiten nicht bloß Beifall für seine Buf- fo-opern erhalten, sondern auch für seine – im 20. Jahrhundert lange in Vergessenheit geratenen – Vertonungen ernster Stoffe. Musikalisch hat das für ihn keinen Unterschied gemacht, wofür der „Barbier von Sevilla“noch einmal ein schönes Beispiel bietet. Denn die besagte Ouvertüre zu der Buffa, in der wir Heutigen schon all die in der Aufführung folgenden komischen Verstrickungen bildhaft vor Augen se- diese Ouvertüre hat der Komponist zuvor schon für zwei andere Opern verwendet – mit jeweils dramatischen Stoffen! Niemanden scheint das damals gestört zu haben. Rossini, Schnellschreiber aus äußerem Zwang, war auch ein begnadeter Kopist in eigener Sache.
In anderer Hinsicht dagegen war er pingelig. Wie zu Beginn des 19. Jahrhunderts die weiblichen und die männlichen Gesangsdiven mit dem ihnen anvertrauten Material der Komponisten verfuhren, wie sie durch selbsterfundene Verzierungsgirlanden ihre Arien aufhübschen zu müssen meinten, das stieß Rossini übel auf. Weshalb er damit begann, die Verzierungen – ein unverzichtbarer Bestandteil des Belcanto, des „schönen Gesangs“in der italienischen Oper jener Zeit – nach seinen Vorstellungen selbst zu notieren und sie damit den Interpreten verhen, bindlich vorzuschreiben. Verzichten wollte er auf den Zierat auf keinen Fall. Rossini-verächter, und gerade aus deutschen Landen, haben das später als Beleg dafür genommen, dass dem Skribenten der „Italienerin in Algier“oder der „Cenerentola“bloß an hochfliegendem Vokalzauber, nicht aber an gehaltvollem Ausdruck gelegen sei.
Ein Vorurteil, das sich lange gehalten hat. Was maßgeblich auch daran lag, dass ab der Mitte des 19. Jahrhunderts der Typus des Rossini-sängers, also der sich mit Leichtigkeit in hohen Registern bewegenden „geläufigen Gurgel“, zu verschwinden begann zugunsten deutlich schwererer Soprane und Tenöre. Erst in den letzten Dekaden des 20. Jahrhunderts sind die für Rossini idealen leichteren Stimmen auf die Bühne zurückgekehrt und damit die Fähigkeit vorzuführen, dass Ziergesang sehr wohl ein Ausdrucksträger zu sein vermag.
Vielleicht hat Rossini in den 1820er Jahren gespürt, dass die Zeit reif war für Neues – auf dem Gebiet der italienisch-romantischen Oper eines Bellini und Donizetti, wenig später eines Verdi. Da in Paris 1830 die Juli-revolution stattgefunden und sein Gönner Karl X. abgedankt hatte, zog er sich für etliche Jahre nach Bologna zurück, wo er eines seiner berühmtesten nicht-dramatischen Stücke schrieb, das „Stabat Mater“. 1855 aber kam er an der Seite seiner zweiten Frau zurück nach Paris, nunmehr für den Rest seines Lebens. Seine dortigen Soiréen galten als gesuchte Gesellschaftsereignisse, und das nicht zuletzt, weil der Maestro eine exquisite Tafel pflegte.
An Rossinis Liebe zur Küche – „Der Gaumen ist unbestechlicher als das Ohr“, soll er gesagt haben –, ranken sich Legenden empor. Tatsache ist, dass er sich aus der Heimat regelmäßig Gorgonzola, Mortadella und Balsamicoessig liefern ließ. Ob er sich aber selbst die Küchenschürze um den Leib band, dürfte eher unwahrscheinlich sein, beschäftigte der wohlhabende Komponist doch einen eigenen Koch. Und so wird er auch jenes Gericht kaum selber angerichtet haben, das ihm zu Ehren den Namen „Tournedos Rossini“erhielt: Rindsfilet mit einer Scheibe Gänsestopfleber darüber und schwarzen Trüffeln obenauf. Wer mag, kann in dieser Üppigkeit das fleischliche Äquivalent zu Rossinis ausladenden Gesangsverzierungen entdecken. Buon appetito!
Eine Musik für jede Gelegenheit