Schwabmünchner Allgemeine

Üppig singen, üppig essen

Wenn erst mal eine seiner unwiderste­hlichen Opern-ouvertüren in Gang kommt, hält es kaum einen auf dem Sitz. Vor 150 Jahren starb der Komponist, der neben Stimmakrob­atik eine weitere Leidenscha­ft pflegte

- VON STEFAN DOSCH

Wer in seinem Leben beinahe 40 Opernparti­turen zustande gebracht hat, der wird sich wohl in den Ruhestand verabschie­den dürfen, nicht wahr? Ja – und doch mutet das seltsam an, wenn gerade mal Ende 30 ist und mit „Wilhelm Tell“soeben erst eines seiner tollsten Stücke vorgelegt hat. Doch es ist dabei geblieben: Gioachino Rossini hat von da an keine Note mehr für die Opernbühne geschriebe­n, und das, obwohl ihm noch vier Jahrzehnte beschieden waren – bevor ihn am 13. November 1868, heute vor 150 Jahren, der Tod infolge einer Darmerkran­kung ereilte.

Aber es ist auch so genügend Rossini-musik vorhanden. Musik, die noch heute ebenso von den Stühlen reißt wie damals in der Glanzzeit. In den Zehner-, Zwanzigerj­ahren des 19. Jahrhunder­ts befand sich halb Europa im Taumel vor den Klängen des Italieners – in Paris nicht anders als in London oder Wien. Woran aber liegt es, dass man als musikempfä­nglicher Mensch nicht auskommt vor diesem Rossini?

Nehmen wir als Beispiel sein bekanntest­es Werk, den „Barbier von Sevilla“. Und davon gleich die Ouvertüre – sammelt sich doch hier wie unter einem Brennglas so vieles von dem, was Rossinis Unsterblic­hkeit ausmacht. Die Musik hebt erst einmal in langsamer Gangart an, natürlich – anders geht’s bei Rossini

er

kaum – mit einer schwelgeri­schen Melodie. Dann aber, im zweiten Teil der Ouvertüre, ist auf einmal deutlich mehr Tempo im Spiel, wieder eine dieser Ohrwurmmel­odien, doch jetzt über einem markanten, eingängige­n Rhythmus. Und dann schließlic­h, was regelrecht zur Marke wurde, das „Rossini-crescendo“: Wieder und wieder wird ein Thema wiederholt, und jedes Mal treten im Orchester neue Instrument­e hinzu, alles wird lauter und schneller – bis es, ja, in einer Art musikalisc­hem Schwips kulminiert. Fast unmöglich, dieses Prickeln beim Hören nicht selbst in Arm und Bein zu spüren!

Rossinis Musik ist heutzutage ein Synonym fürs Spritzig-komödianti­sche. Dabei hat der 1792 in Pesaro geborene Meister zu seinen Lebzeiten nicht bloß Beifall für seine Buf- fo-opern erhalten, sondern auch für seine – im 20. Jahrhunder­t lange in Vergessenh­eit geratenen – Vertonunge­n ernster Stoffe. Musikalisc­h hat das für ihn keinen Unterschie­d gemacht, wofür der „Barbier von Sevilla“noch einmal ein schönes Beispiel bietet. Denn die besagte Ouvertüre zu der Buffa, in der wir Heutigen schon all die in der Aufführung folgenden komischen Verstricku­ngen bildhaft vor Augen se- diese Ouvertüre hat der Komponist zuvor schon für zwei andere Opern verwendet – mit jeweils dramatisch­en Stoffen! Niemanden scheint das damals gestört zu haben. Rossini, Schnellsch­reiber aus äußerem Zwang, war auch ein begnadeter Kopist in eigener Sache.

In anderer Hinsicht dagegen war er pingelig. Wie zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts die weiblichen und die männlichen Gesangsdiv­en mit dem ihnen anvertraut­en Material der Komponiste­n verfuhren, wie sie durch selbsterfu­ndene Verzierung­sgirlanden ihre Arien aufhübsche­n zu müssen meinten, das stieß Rossini übel auf. Weshalb er damit begann, die Verzierung­en – ein unverzicht­barer Bestandtei­l des Belcanto, des „schönen Gesangs“in der italienisc­hen Oper jener Zeit – nach seinen Vorstellun­gen selbst zu notieren und sie damit den Interprete­n verhen, bindlich vorzuschre­iben. Verzichten wollte er auf den Zierat auf keinen Fall. Rossini-verächter, und gerade aus deutschen Landen, haben das später als Beleg dafür genommen, dass dem Skribenten der „Italieneri­n in Algier“oder der „Cenerentol­a“bloß an hochfliege­ndem Vokalzaube­r, nicht aber an gehaltvoll­em Ausdruck gelegen sei.

Ein Vorurteil, das sich lange gehalten hat. Was maßgeblich auch daran lag, dass ab der Mitte des 19. Jahrhunder­ts der Typus des Rossini-sängers, also der sich mit Leichtigke­it in hohen Registern bewegenden „geläufigen Gurgel“, zu verschwind­en begann zugunsten deutlich schwererer Soprane und Tenöre. Erst in den letzten Dekaden des 20. Jahrhunder­ts sind die für Rossini idealen leichteren Stimmen auf die Bühne zurückgeke­hrt und damit die Fähigkeit vorzuführe­n, dass Ziergesang sehr wohl ein Ausdruckst­räger zu sein vermag.

Vielleicht hat Rossini in den 1820er Jahren gespürt, dass die Zeit reif war für Neues – auf dem Gebiet der italienisc­h-romantisch­en Oper eines Bellini und Donizetti, wenig später eines Verdi. Da in Paris 1830 die Juli-revolution stattgefun­den und sein Gönner Karl X. abgedankt hatte, zog er sich für etliche Jahre nach Bologna zurück, wo er eines seiner berühmtest­en nicht-dramatisch­en Stücke schrieb, das „Stabat Mater“. 1855 aber kam er an der Seite seiner zweiten Frau zurück nach Paris, nunmehr für den Rest seines Lebens. Seine dortigen Soiréen galten als gesuchte Gesellscha­ftsereigni­sse, und das nicht zuletzt, weil der Maestro eine exquisite Tafel pflegte.

An Rossinis Liebe zur Küche – „Der Gaumen ist unbestechl­icher als das Ohr“, soll er gesagt haben –, ranken sich Legenden empor. Tatsache ist, dass er sich aus der Heimat regelmäßig Gorgonzola, Mortadella und Balsamicoe­ssig liefern ließ. Ob er sich aber selbst die Küchenschü­rze um den Leib band, dürfte eher unwahrsche­inlich sein, beschäftig­te der wohlhabend­e Komponist doch einen eigenen Koch. Und so wird er auch jenes Gericht kaum selber angerichte­t haben, das ihm zu Ehren den Namen „Tournedos Rossini“erhielt: Rindsfilet mit einer Scheibe Gänsestopf­leber darüber und schwarzen Trüffeln obenauf. Wer mag, kann in dieser Üppigkeit das fleischlic­he Äquivalent zu Rossinis ausladende­n Gesangsver­zierungen entdecken. Buon appetito!

Eine Musik für jede Gelegenhei­t

 ?? Foto: picture alliance/leemage ?? Gioachino Rossini Mitte der 1850er Jahre, porträtier­t vom berühmten Fotografen Nadar.
Foto: picture alliance/leemage Gioachino Rossini Mitte der 1850er Jahre, porträtier­t vom berühmten Fotografen Nadar.

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