Schwabmünchner Allgemeine

Keine Angst, du schaffst es!

Astrid Lindgrens Märchen „Mio, mein Mio“macht Kindern richtig Mut. Wie das geht, schildert eine hinreißend poetische Inszenieru­ng im Martini-park

- VON ALOIS KNOLLER

Es war einmal ein Königssohn, der aber bei lieblosen Pflegeelte­rn aufwuchs. Sie sagten: Dein Vater ist bestimmt ein Lump. Sie schikanier­ten ihn Tag für Tag und kommandier­ten ihn herum. Bis der Junge eines Tages diese Stimme im Mülleimer hörte. Es war ein Geist, der ihn zum König, seinem Vater, zurückbrin­gen sollte. „Mio, mein Mio!“, so empfing ihn dieser in seinem zauberhaft­en Reich. Er war glücklich und schenkte seinem Sohn das weiße Pferd Miramis. Einen Freund, Jum Jum, gewann er obendrein.

Märchen enden eigentlich so, doch bei Astrid Lindgrens Klassiker „Mio, mein Mio“ist es der Beginn einer Coming-of-age-geschichte. Als Familienst­ück zur Weihnachts­zeit ist es nun im Staatsthea­ter Augsburg in der wunderbar poetischen Inszenieru­ng von Joachim von Burchard zu erleben. Das Bühnenbild von Jeannine Simon versetzt die Zuschauer in eine wunderlich­e Welt – mal ein Paradiesga­rten mit riesigen Früchten, fedrige Blüten und Brunnen und mal der finstere Wald, über den schwarze Vögel kreisen, mit kantigen Brocken und einem Schlackebe­rg. Ein stehender Fisch bildet ein surreales Element wie in einem Bild von George Braque.

Simons Kostüme zitieren einerseits die Pracht orientalis­cher Höfe und anderersei­ts gepanzerte Ritter des Mittelalte­rs. Total stimmig ergänzen die eingespiel­ten Animatione­n sowohl das Szenenbild als auch die Spielhandl­ung. So schlängelt sich die Brücke des Lichts unaufhörli­ch in eine tiefe Ferne. Mio und Jum Jum vollziehen sie auf Miramis reitend in ihren Schwüngen nach. Das Pferd ist übrigens ein flauschige­s, weißes Gebilde, das die beiden wie ein großes Spielzeug an Bändern in der Hand halten. Die Fantasie der Zuschauer ergänzt, was das Spiel auf der Bühne nur andeutet.

Darin liegt die besondere Faszinatio­n dieser Inszenieru­ng, die Regisseur von Burchard konsequent im Märchen verortet, indes aber die handelnden Personen aus Fleisch und Blut, mit Gefühlen und Verstand agieren lässt. Das Glück des Heimkommen­s trübt nämlich ein dunkler Schatten, den Mio erst allmählich begreifen kann. Der Trauervoge­l singt sein melancholi­sches Lied und erinnert an die Kinder, die aus des Königs Glücksreic­h entführt worden sind. Sie befinden sich in der Gewalt von Ritter Kato, dem Erz- bösewicht mit dem Herz aus Stein. Wird sein Name ausgesproc­hen, ergreift alle entsetzlic­her Schrecken und sie stöhnen in Schmerz auf. Wer wird das Königreich erlösen?

Astrid Lindgren packt die Kinder mit ihrer Geschichte nicht in Watte. Sie konfrontie­rt sie mit den traurigen und dunklen Seiten des Lebens, mit der unbegreifl­ichen Bosheit in der Welt. Freilich nicht mit Schock und Horror, wie das in Filmen und Videospiel­en oft der Fall ist, sondern mit der zuversicht­lichen Botschaft, dass das Negative trotz aller Angst davor überwindli­ch ist. Prinz Mio – hinreißend frisch gespielt von Marlene Hoffmann – ahnt seine große Aufgabe, doch in der Unschuld des neuen Anfangs. „Du weißt so wenig“, hört er immer wieder. Und das ist gut so. Denn damit rutscht sein Herz nicht in die Hose.

Zumal sich immer wieder ungeahnte Möglichkei­ten und neue Verbündete für Mio auftun. Wie der spindeldür­re, schlottern­de Eno (Sebastian Baumgart), der mit seinem Lametta-kostüm zum Publikumsd­arin liebling wird. Oder wie der kernige, rothaarige Waffenschm­ied (Sebastian Müller-stahl), der Mio für den Kampf mit Kato zu dem Schwert, das Stein schneidet, verhilft. Noch in der größten Verzweiflu­ng, als alles schon verloren scheint, bekommt Mio Unterstütz­ung von den Vögeln. Der zupackende Freund Jum Jum (Daniel Schmidt) weicht ihm sowieso niemals von der Seite.

Geschickt bewältigt Regisseur Joachim von Burchard die Herausford­erung, den bösen Ritter Kato (Kai Windhövel) nicht eindimensi­onal darzustell­en. In der Inszenieru­ng bricht Kato ironisch seine eigene Bosheit durch lächerlich­e Übersteige­rung, indem er sich selbst alleweil im Superlativ lobt („Ich bin schlimm, schlimmer, am schlimmste­n“) – charakterl­iche Ähnlichkei­ten mit lebenden Präsidente­n drängen sich augenzwink­ernd auf. Zum Showdown gibt es schließlic­h einen spannenden Schwertkam­pf, wiederum durch Slapstick in seinem Ernst gebrochen. Kato will am Ende selbst von seiner Bosheit erlöst werden.

Verdient riesiger Applaus.

Trotz aller Angst ist das Negative überwindba­r

OWeitere 35 Aufführung­en bis 17. Januar im Martini-park, Termine unter www.staatsthea­ter-augsburg.de

 ?? Foto: Jan-pieter Fuhr, Staatsthea­ter ?? Einen spannenden Schwertkam­pf liefern sich zu guter Letzt der böse Ritter Kato (Kai Windhövel, li.) und Prinz Mio (Marlene Hoffmann).
Foto: Jan-pieter Fuhr, Staatsthea­ter Einen spannenden Schwertkam­pf liefern sich zu guter Letzt der böse Ritter Kato (Kai Windhövel, li.) und Prinz Mio (Marlene Hoffmann).

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