Sechs Jahre lang das eigene Kind missbraucht
Zwölfjährige gesteht Mutter in einer dramatischen Szene, was ihr der Vater angetan hat. Lange Haftstrafe gefordert
Jenen Tag im April wird Claudia M, 30, (Name geändert) nicht mehr vergessen. Von einer Sekunde auf die andere wurde sie mit voller Wucht mit einer Wahrheit konfrontiert, die sie in ein tiefes Loch fallen ließ, die ihr Leben völlig veränderte. „In diesem Augenblick ist meine Welt stehen geblieben“, erinnert sie sich jetzt im Gerichtssaal und beginnt zu weinen. Damals hatte sich ihre Tochter Isabell, 12, (Name geändert) nach einem harmlosen Streit heulend in ihr Zimmer zurückgezogen. Ihrer kleinen Schwester sagte sie: „Ich bringe mich jetzt um.“Dann stürmte das Mädchen in die Küche, riss eine Schublade auf und griff nach einem Messer. Claudia M. rang ihre Tochter zu Boden, nahm ihr das Messer ab. Als die Mutter insistierte, was denn los sei, verriet Isabell ein schlimmes Geheimnis, das sie lange mit sich herumgetragen hatte: „Papa hat was gemacht.“Über sechs Jahre hinweg, so beichtete ihre Tochter, habe ihr Vater sie sexuell missbraucht. Noch am selben Tag nahm die Polizei den 35-Jährigen an seinem Arbeitsplatz fest. Er sitzt seitdem in Haft.
Über 100 Einzelfälle des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes und Schutzbefohlenen hat Staatsanwältin Stephanie Zembruski in ihrer Anklage vor der Jugendkammer unter Vorsitz von Lenart Hoesch aufgelistet. Nach Außen hin scheint in der Familie M. alles in Ordnung zu sein. Der Vater kümmert sich besonders viel um Isabell, fährt mit ihr in den Urlaub, zum Baden, in den Zoo. Für Ehefrau Claudia war er „ein ganz normaler Vater“. Die Mutter ahnt nicht, warum ihr Mann gerade der ältesten Tochter so zugetan ist. Die sexuellen Übergriffe, so gesteht der Angeklagte (Verteidiger: Stefan Mittelbach) denn auch, beginnen Ende September 2011 während eines Urlaubs in einer Pension in Österreich. „Willst Du etwas lernen“, fragt der Vater Isabell. Sie bejaht. Dann zeigt ihr der Mann Pornovideos, fasst ihr ans Geschlechtsteil. Die Intensität der sexuellen Handlungen nimmt zu. Fast jede Woche muss das Kind fortan dem Vater zu willen sein, teils unter Schmerzen. Es geschieht an diversen Badeseen im Raum Augsburg, auf Feldwegen im Auto, in einem Gartenhaus, selbst im eigenen Haus, wenn die Mutter und die Geschwister abwesend sind. Als Isabell nicht mehr mitmachen will, droht der Angeklagte, er werde andere Männer holen, mit denen sie schlafen müsse. Nachdem sich ihre Tochter an jenem Apriltag offenbart hatte, ruft Claudia M. die Polizei. Isabell hat zuvor zugestimmt. Sie habe gesehen, wie ihrer Tochter „1000 Steine vom Herzen gefallen“seien, sagt die Mutter als Zeugin, die sich derzeit vom Angeklagten scheiden lässt. Während ihr „Noch-ehemann“die Hände vors Gesicht hält, klagt sie ihn bitter an: „Wie kann ein Mensch sein eigenes Fleisch und Blut jahrelang missbrauchen? Darauf habe ich noch keine Antwort bekommen.“Der Angeklagte sagt wenig später bei einer Befragung durch das Gericht, er wisse selbst nicht, warum er das seiner Tochter angetan habe. Weil der Vater ein Geständnis abgelegt hat, muss Isabell, vertreten von Anwältin Marion Zech, nicht vor Gericht aussagen. Die Schülerin ist schwer traumatisiert. Für den Gutachter Dr. Oliver Kistner sind sexuelle Gefühle eines Erwachsenen für ein sechsjähriges Kind zwar krankhaft, der Angeklagte sei trotzdem voll schuldfähig. Er habe in seiner Tochter „leicht ein wehrloses Opfer gefunden“, sich das Kind ohne Gewalt gefügig gemacht, das Abhängigkeitsverhältnis ausgenutzt und mit den Taten sein Selbstwertgefühl stabilisiert.
Der Angeklagte muss mit einer hohen Strafe rechnen. Staatsanwältin Zembruski forderte neun Jahre und zehn Monate Gefängnis, Verteidiger Stefan Mittelbach hält acht Jahre Haft für angemessen. In seinem letzten Wort sagte der 35-Jährige, es tue ihm leid, er werde jede Strafe akzeptieren. Das Urteil wird am Donnerstag, 13.30 Uhr, erwartet.