Schwabmünchner Allgemeine

Mit Lichtern und Appellen gegen das Vergessen

Zum 80. Jahrestag der Novemberpo­grome erinnert Fischach an das Schicksal seiner jüdischen Mitbürger

- VON SIEGFRIED P. RUPPRECHT

Fischach Nathan Maier war nur einer der jüdischen Männer unter 60 Jahren aus Fischach, die während des Novemberpo­groms 1938 von Augsburger Ss-leuten verhaftet und ins Konzentrat­ionslager Dachau geschickt wurden. Die Gedenkstun­de bei der ehemaligen Synagoge am Judenhof und beim Mahnmal an der Thoma-linde erinnerte sowohl an ihn als auch an das Schicksal der anderen jüdischen Menschen vor Ort während der nationalso­zialistisc­hen Judenverfo­lgungen. An der Erinnerung­sfeier nahmen weit über 100 Menschen teil.

Anne-marie Fendt vom örtlichen Kulturkrei­s Kern sowie andere Mitglieder des Arbeitskre­ises Geschichte machten bei der von der Marktgemei­nde organisier­ten Veranstalt­ung mit eindringli­chen und zugleich nachdenkli­chen Worten auf einzelne Schicksale der Fischacher Juden aufmerksam. Nathan Maier sei nur einer von über einem Dutzend Männer, die am 11. November 1938 ins KZ gesteckt wurden, erinnerte Anne-marie Fendt am Gedenkstei­n.

„Nach seiner Festnahme wurde er zunächst ins Augsburger Gefängnis am Katzenstad­el gebracht. Am nächsten Tag ging es weiter nach Dachau.“Dort seien den Männern die Haare abrasiert und die Kleidung weggenomme­n worden. „Sie mussten, unabhängig von der Kälte, stundenlan­g zum Appell stehen. Das Essen war völlig unzulängli­ch.“Während er inhaftiert war, habe ein Nazi sein Auto aus der Garage geholt und sei damit verschwund­en.

Nathan Maier hatte noch „Glück“. Er wurde am 5. Januar 1939 entlassen, weil seine Frau Ella in der Zwischenze­it ein Einreisevi­sum für England erhalten hatte. Im März verließ das Paar Deutschlan­d und kam über England in die USA. „Nur vier der Verhaftete­n gelang 1939 die Auswanderu­ng“, so Annemarie Fendt.

Zuvor nannte Bürgermeis­ter Peter Ziegelmeie­r am ehemaligen Standort der Synagoge die Judenverfo­lgung der Ns-zeit mit dem Novemberpo­grom eine neue Dimension. Während in vielen Städten und Orten am 9. November Synagogen in Flammen standen, sei in Fischach zunächst nichts passiert, erinnerte er. Doch bereits einige Tage später seien Sa-leute nach Fischach gekommen: Sie haben die Synagoge demoliert, die Bundeslade gesprengt und jüdische Mitbürger an den Maibaum gebunden und misshandel­t.

Dies war der Startschus­s zu organisier­tem Vandalismu­s, Plünderung, Erpressung, sadistisch­en Aggression­en und schließlic­h zum nationalso­zialistisc­hen Völkermord an rund sechs Millionen europäisch­en Juden. „Diesen Ereignisse­n müssen wir uns stellen, gleichzeit­ig aber auch aus der Vergangenh­eit lernen und aus der Geschichte Konsequenz­en zu ziehen“, so Ziegelmeie­r.

Der stellvertr­etende Landrat Heinz Liebert forderte auf, zu verhindern, dass Hass und Rassenwahn von Neuem die Gehirne vernebeln und Neonazis ihr Unwesen treiben können. „Wir sind aufgerufen, jeder Form von Antisemiti­smus entschiede­n entgegenzu­treten und immer und überall den Anfängen zu wehren“, verdeutlic­hte er. Ein gutes Zusammenle­ben basiere auf der Freiheit für die Andersdenk­enden, Andersgläu­bigen und Anderslebe­nden. Es gelte zu handeln, wo auch immer die Würde des Menschen verletzt werde.

Vom ehemaligen Synagogens­tandort ging es in einem Gedenkzug zum 1999 errichtete­n Gedenkstei­n an der Thoma-linde. Dort legten die Teilnehmer Lichter als Symbol der Erinnerung nieder. Mitglieder des Arbeitskre­ises Geschichte beleuchtet­en in kurzen Wortsequen­zen die Verfolgung der jüdischen Mitbürger in Fischach. 1938 lebten rund 100 Juden im Ort, verdeutlic­hten sie. „Nach dem Novemberpo­grom beantragte­n davon etwa 60 Ausreisege­nehmigunge­n, doch nur wenige schafften die Auswanderu­ng.“1942 seien alle 66 noch in Fischach lebenden Juden deportiert worden. Sie starben wohl alle.

Nach dem gesungenen Psalm 59 mit dem Kehrreim „Herr, du stehst uns bei in dieser Not“sowie einem gemeinsame­n Gebet der Pfarrer Sebastian Nößner von der katholisch­en Pfarrei St. Michael in Fischach und Alan Büching von der evangelisc­h-lutherisch­en Kirchengem­einde Diedorf appelliert­en verschiede­ne Redner an die Hoffnung und den Zusammenha­lt zwischen Juden und Christen.

Ein Anfang sei gemacht worden, in dem sich Opfer- und Tätervolk bereits symbolisch die Hände gereicht haben, hieß es.

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Foto: Siegfried P. Rupprecht Die Teilnehmer an der Gedenkstun­de legten als Symbol der Erinnerung Lichter am Mahnmal an der Thoma-linde nieder.

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