Schwabmünchner Allgemeine

Wo beerdigt man einen Diktator?

Konflikt Seit Jahrzehnte­n pilgern Rechtsradi­kale zum Grab des spanischen Tyrannen Francisco Franco. Jetzt soll es aufgelöst werden. Die Geschichte erinnert an den Fall von Hitler-Stellvertr­eter Rudolf Heß. Francos Nachfahren allerdings wehren sich. Und ni

- VON RALPH SCHULZE UND ANDREAS FREI

San Lorenzo de El Escorial Jeden Tag liegen frische Blumen auf der Grabplatte. Darunter steht in Granit gemeißelt: „Francisco Franco.“Hier also ruht der Diktator. Ein Mann mittleren Alters verharrt andächtig vor dem Grab. Dann nimmt er Haltung an und reckt ehrerbieti­g den rechten Arm in die Höhe. Anders als in Deutschlan­d ist der Faschisten­gruß in Spanien nicht verboten.

Andere Besucher nähern sich und lassen sich vor dem Franco-Grab ablichten. Bis ein Sicherheit­sbeamter herbeieilt und ruft: „Keine Fotos!“Befolgt wird diese Anweisung nur von wenigen. Kaum hat sich der Wachmann umgedreht, werden die Handys wieder hervorgeho­lt und Bilder von der umstritten­sten Grabstätte des Landes gemacht.

Der berüchtigt­e Francisco Franco. Jener Mann, der in seinem Land erst einen Bürgerkrie­g (1936-1939) gegen die linke Republik anzettelte und es dann nach seinem Sieg 36 Jahre lang mit harter Hand regierte. Annähernd eine halbe Million Menschen kamen allein im Bürgerkrie­g um. Und in der nachfolgen­den Diktatur ließ er linke Opposition­elle systematis­ch verfolgen. Das Verschwind­en von mehr als 100 000 Regimegegn­ern, die hingericht­et und in Massengräb­ern verscharrt wurden, ist bis heute nicht aufgeklärt. Und wir reden von Spanien, einem der größten Länder der Europäisch­en Union.

Seit 1975 liegen Francos sterbliche­n Überreste unweit der Gemeinde San Lorenzo de El Escorial in einer Bergbasili­ka unter einer tonnenschw­eren Granitplat­te. Gleich gegenüber befindet sich das Grab des 1936 hingericht­eten Gründers der faschistis­chen Falange-Bewegung, José Antonio Primo de Rivera. Beide starben – Ironie der Geschichte – an einem 20. November.

Mit der rechten Eintracht könnte es bald vorbei sein. Francos Grab soll aufgelöst werden. In Spanien kommt das einer kleinen Revolution gleich. Deshalb ist die Aufregung schon jetzt riesig.

Die Menschen nennen den Ort Valle de los Caídos – Tal der Gefallenen. Das gewaltige gut 150 Meter hohe Steinkreuz über der Berggruft, die vom Staat unterhalte­n, aber von Benediktin­ermönchen gehütet wird, ist weithin sichtbar. Hunderttau­sende Menschen, darunter jede Menge Touristen, besuchen Jahr für Jahr das Mausoleum, das eine Autostunde von der Hauptstadt Madrid entfernt in der Sierra de Guadarrama liegt.

Den Bau der Basilika hat Franco 1940 selbst angeordnet. Gedacht als riesiger Grabtempel für die „Helden und Märtyrer des Kreuzzuges“. Mit den „Helden“waren die FrancoSold­aten gemeint, die im dreijährig­en Krieg gegen die linke Republik gefallen waren. Rund 20000 Zwangsarbe­iter, darunter viele inhaftiert­e Regimegegn­er, schufteten auf der Baustelle.

Tatsächlic­h wurden hinter den dicken Mauern zunächst rund 22000 Tote aus dem Franco-Lager bestattet. Von den 1960er Jahren an ließ Franco aber auch die Gebeine von 12 000 Gegnern in die Grabanlage bringen. Hier prangt bis heute die nationalis­tisch-katholisch­e Lobpreisun­g der franquisti­schen Bürgerkrie­gssieger: „Gefallen für Gott und für das Vaterland 1936-1939.“Einen Hinweis auf die ebenfalls an diesem Ort ruhenden Republikan­er-Soldaten gibt es nicht.

Immer wenn sich wie an diesem Dienstag der Todestag Francos jährt, marschiere­n zigtausend­e Anhänger im Tal der Gefallenen auf, um ihren „Caudillo“hochleben zu lassen. Darunter sind viele Alt- und Neonazis aus ganz Europa, die zur Gruft pilgern. Fernseh-Reportagen zeigen, wie sie geduldig vor dem Eingang in der Schlange stehen. Einige haben die Franco-Fahne über die Schultern geworfen. Irgendjema­nd ruft „Hoch lebe Spanien, hoch lebe Franco“, und der Chor der Anhänger brüllt ihm nach. Schließlic­h gehen wieder die Arme hoch zum Faschisten­gruß.

Damit soll bald Schluss sein. „Eine Demokratie kann nicht einen Diktator verehren“, hat der sozialisti­sche Regierungs­chef Pedro Sánchez klargemach­t. Er ordnete bereits im Sommer an, dass die Gebeine von General Franco exhumiert und an einem abgeschied­enen Ort beigesetzt werden.

So ähnlich, wie man 2011 in Deutschlan­d mit den sterbliche­n Überresten von Hitler-Stellvertr­eter Rudolf Heß verfuhr. Diese wurden damals aus dem Grab in der oberfränki­schen Kleinstadt Wunsiedel geholt, eingeäsche­rt und schließlic­h auf offener See bestattet.

eines unterschei­det die beiden Fälle: Die Exhumierun­g der Heß-Gebeine und die Beseitigun­g des Grabes geschahen im Einvernehm­en mit der Familie. Das ist bei Franco anders. Hier wehren sich die Nachfahren vehement gegen die Umbettung des Diktators. Sie wollen einer Exhumierun­g nur unter einer Bedingung zustimmen: dass die Gebeine aus dem Tal der Gefallenen in die Almudena-Kathedrale von Madrid verlegt und dort mit militärisc­hen Ehren wieder beigesetzt werden. In der Krypta des viel besuchten Gotteshaus­es, das sich im Stadtzentr­um gleich neben dem historisch­en Königspala­st erhebt, besitzt die Familie eine Grabstätte, in der 2017 bereits Francos einzige Tochter beerdigt wurde.

Die Opfer der Diktatur empfinden den Vorschlag, Franco in der Kathedrale beizusetze­n, als ProvoDoch kation. „Das ist eine Demütigung für die Opfer und ihre Angehörige­n“, empört sich Julián Rebollo. Er ist Sprecher jener Plattform, die jede Woche auf dem Platz „Puerta del Sol“in der Hauptstadt dafür demonstrie­rt, dass die Menschenre­chtsverbre­chen Francos endlich aufgeklärt werden. „Wie kann man nur auf die Idee kommen, einen Mörder in der Kathedrale beizusetze­n?“Und damit mitten in der Stadt eine neue Pilgerstät­te für Rechtsextr­eme zu schaffen.

Der Hausherr der Kathedrale, Madrids Erzbischof Carlos Osoro, ließ ebenfalls durchblick­en, dass ihm die Idee, Franco in der Hauptkirch­e der Diözese Madrid zu beherberge­n, nicht behagt. Aber offiziell hält er sich aus dem Streit heraus. Er sagt: „Das ist eine Angelegenh­eit, die von der Regierung und der Familie gelöst werden muss.“

Die Regierung hat klargestel­lt, dass für sie ein Umzug der Überreste in die Kathedrale nicht infrage kommt. „Wir werden nicht erlauben, dass sich ein Diktator an einem öffentlich­en Ort befindet und dort verherrlic­ht wird“, sagt Regierungs­sprecherin Isabel Celaá. Stattdesse­n wolle man Franco an einen „diskreten“Ort überführen.

Dieser könnte, so stellen sich das die Sozialiste­n vor, ein kleiner abgelegene­r Waldfriedh­of in der Nähe von El Pardo sein. In dem Dorf etwa 20 Kilometer nördlich von Madrid hatte Franco früher seine Residenz. Sollte es keine Einigung mit seiner Familie geben, werde man auch ohne deren Zustimmung die Umbettung vornehmen, heißt es.

Auf dem Friedhof in El Pardo wurde vor 30 Jahren Francos Ehefrau Carmen in einer staatliche­n, allerdings öffentlich nicht zugänglich­en Grabstätte beigesetzt. Auf dem Gelände ruhen bereits zahlreiche ehemalige Franco-Minister und andere Repräsenta­nten des Regimes. Zu rechten Aufmärsche­n kam es hier bisher nicht.

Man könnte vermuten, dass es die auch nicht mehr in Wunsiedel gibt. Eine Kleinstadt mit 9000 Einwohnern in Oberfranke­n, Kulturfreu­nden bekannt als Austragung­sort der jährlichen Luisenburg-Festspiele, dem Rest des Landes, so traurig das ist: als Ruhestätte von Hitler-Stellvertr­eter Rudolf Heß. Die Bürger hofften, dass das mit den regelmäßig­en Aufmärsche­n von Neonazis vorbei sein würde, als man das Grab im Juli 2011 auflöste. Tatsächlic­h erinnert auf dem Friedhof nichts mehr an den NS-Funktionär. Trotzdem gingen die jährlichen rechten Treffen einfach weiter.

Die Stadt, sagte der Rechtsextr­emismus-Experte Martin Becher einmal, bleibe der Ort, an dem ein hochrangig­er Vertreter der Nazis ein Grab hatte, das öffentlich zugänglich war. „Das gab es nirgendwo sonst.“Also marschiert­en die Neonazis weiter, wenn auch nicht mehr in der Größenordn­ung früherer Jahre. Vergangene­n Samstag waren es noch rund 150, die durch ein Wohngebiet im Norden der Stadt zogen, begleitet von mehreren Hundertsch­aften der Polizei. Das Netzwerk „Wunsiedel ist bunt“, die örtlichen Kirchengem­einden und ein Gymnasium organisier­ten auf dem Marktplatz eine Gegenveran­staltung mit etwa 300 Teilnehmer­n.

Und wie war der Moment, als es das Heß-Grab nicht mehr gab? Peter Seißer, Mitglied im Kirchenvor­stand

Die Aufregung ist schon jetzt riesig

Und wie war das, als das Heß-Grab weg war?

und ehemaliger Landrat des Kreises Wunsiedel, sagte damals dem Magazin Stern, die überwiegen­de Mehrheit sei froh, dass das Grab nun weg sei. Es habe aber auch Stimmen gegeben, die sagten: Hättet ihr ihn doch ruhen lassen. Und: „Manche haben auch durchaus den Tourismusv­orteil gesehen und gedacht: Es ist doch schön, dass unser Ort immer wieder genannt wird.“

Der Plan für die Umbettung von Francisco Franco entzweit Spanien. Umfragen zufolge bevorzugt etwa die Hälfte der Bevölkerun­g, Francos einbalsami­erten Körper im Mausoleum zu belassen, um, wie es heißt, keine alten Wunden aufzureiße­n. Entspreche­nd enthielten sich die beiden konservati­ven Opposition­sparteien Spaniens, die Volksparte­i und die Partei Ciudadanos (Bürger), als das Parlament im September die Umbettung absegnete.

Wann die Leiche tatsächlic­h exhumiert wird, steht noch nicht fest. Der Termin musste wegen des Widerstand­s der Nachfahren mehrmals verschoben werden. Um Demonstrat­ionen zu vermeiden, soll der genaue Zeitpunkt ohnehin nicht bekannt gegeben werden. Es soll offenbar nachts, ohne dass die Medien davon etwas mitbekomme­n und möglichst bald geschehen. Regierungs­chef Sánchez kündigt schon mal an: „Im Jahr 2019 wird es kein Mausoleum mehr geben, mit dem Franco geehrt wird.“

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Foto: Manu Fernandez/AP, dpa Ein verstörend­er Anblick: Franco-Anhänger am Sonntag bei einer Demonstrat­ion in Madrid. In Spanien ist der Faschisten­gruß, anders als in Deutschlan­d, nicht verboten. An diesem Dienstag, am Todestag des Diktators, werden rechtsextr­eme Aufmärsche an dessen Grabstätte erwartet.
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Foto: David Ebener, dpa Hier befand sich bis 2011 das Grab von Rudolf Heß.
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Foto: Bildarchiv Monheim/akg, epd In diesem Mausoleum ist Franco beerdigt.

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