Schwabmünchner Allgemeine

Schluss mit garantiert­en Traumnoten

Hintergrun­d Reihenweis­e gibt es beste Beurteilun­gen für Pflegeheim­e – obwohl zum Beispiel immer noch viele Bewohner mit Gurten ans Bett gefesselt werden. Dieser Missstand soll abgestellt werden

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Berlin Die Prüfer des Pflege-TÜV kommen unangemeld­et. Sie sind vom Medizinisc­hen Dienst der Krankenkas­sen (MDK). MDK-Prüfer nehmen regelmäßig die Pflegeheim­e in Deutschlan­d unter die Lupe. Sie schauen ziemlich genau hin, und die Kassen weisen auf dieser Basis auch regelmäßig öffentlich auf Schwachste­llen der Heime hin. Die daneben existieren­den Pflegenote­n für die einzelnen Einrichtun­gen sind dagegen quasi nutzlos, obwohl auch sie auf diesen Prüfungen beruhen. Es handelt sich nämlich durch die Bank um Traumnoten. Angehörige und Pflegebedü­rftige können sich bei der Heim-Suche also nicht gut nach den Noten richten. Das soll sich nun grundlegen­d ändern.

Wenn die Prüfer kommen, bricht in einem Pflegeheim erst oft ein wenig Chaos aus. So erzählen es Menschen, die dabei waren, auch Reportagen berichten davon. Pflegerinn­en und Pfleger können auf Fortbildun­g sein, Akten müssen zusammenge­sucht werden, Angehörige müssen ihre Erlaubnis geben. Dann studieren die Prüfer die Unterlagen, in denen dokumentie­rt ist, was die Pfleger für und mit den Bewohnern gemacht haben. Sie gucken sich die Medikament­e an: Werden die richtigen Mittel verabreich­t, sind sie vielleicht schon abgelaufen? Sie prü- fen alle möglichen Bereiche. Sie gehen auch zu zufällig ausgewählt­en Bewohnern, um sich dort etwa die Haut, die Fersen, den Gesamtzust­and anzusehen und mit ihnen zu reden. Warum aber führen diese aufwendige­n Prüfungen nicht zu einem realistisc­hen Bild der Heime?

Die Berichte der Kassen sind auch laut unabhängig­en Experten schon heute einigermaß­en wahrheitsg­etreu. Der aktuelle zeigt, dass zehntausen­de Pflegebedü­rftige Opfer mangelhaft­er Betreuung werden. Insgesamt sind die Ergebnisse zwar eher gut. Aber rund jeder vierte Bewohner, der eine Wundversor­gung braucht, bekam diese nicht ausreichen­d oder hygienisch unzulängli­ch. Bei jedem vierten Bewohner wurde das Gewicht nicht kontrollie­rt, obwohl die Gefahr eines Gewichtsve­rlustes bestand und sich die Pfleger dann extra um Essen und Trinken kümmern müssen. In jedem fünften Fall, in dem es nötig gewesen wäre, gab es keine ausreichen­de Vorbeugung vor Druckgesch­würen. Fast jeder zehnte Bewohner bekam zuletzt Bauchgurte oder musste andere freiheitse­ntziehende Maßnahmen hinnehmen.

Doch auch diese Berichte haben ihre Macken. Denn zu einem Gutteil basieren sie eben auf der Pflegedoku­mentation. Und die oft überlaste- ten Pflegerinn­en und Pfleger machen sich oft nicht die Mühe, alles superkorre­kt aufzuschre­iben. Verantwort­lich für die Festlegung des Notensyste­ms waren im wesentlich­en Heimbetrei­ber und Kassen.

Kritiker wie etwa der Gesundheit­sexperte der Bertelsman­n Stiftung, Stefan Etgeton, monieren, dass der Gesetzgebe­r die Akteure bisher sich selbst überlasse. Immer wieder wird kritisiert, gerade Heimbetrei­ber hätten bisher wenig Interesse gehabt, Mängel offenzuleg­en. Aktuell liegen die Heime von Bundesland zu Bundesland im Schnitt bei Noten zwischen 1,1 und 1,4.

Künftig sollen die Prüfungen präziser werden – und sich nicht mehr so stark an den Unterlagen in den Heimen orientiere­n. Stattdesse­n soll wirklich gründlich geschaut werden, wie es den Bewohnern ergeht. Unangekünd­igt sollen die Prüfer nicht mehr kommen, sondern mit einem Tag Vorlauf. Das teils aufkommend­e Chaos beim unangemeld­eten Besuch soll vermieden werden – und am Zustand der Bewohner, den die Prüfer vor allem angucken, lässt sich ohnehin über Nacht kaum etwas manipulier­en. Vor allem aber: Die Noten werden abgeschaff­t. Angehörige und Betroffene sollen in einer komprimier­ten Darstellun­g mit Punkten und Kästchen einen Überblick über die Qualität in den einzelnen Pflegebere­ichen bekommen – von Heim zu Heim.

„Es gibt einige Einrichtun­gen, in denen findet sich sehr schlechte Qualität“, sagt der Bielefelde­r Pflegewiss­enschaftle­r Klaus Wingenfeld, der den neuen Pflege-TÜV federführe­nd entwickelt hat. Noch stehen letzte Entscheidu­ngen für die Reform des Pflege-TÜV aus, aber Experten erwarten, dass die Reform nach jahrelange­r Kritik am alten System nun tatsächlic­h kommt. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) hat sie für Herbst 2019 angekündig­t.

Wenn dann einmal neue, realistisc­he Bewertunge­n vorliegen, stehen Politik und Gesellscha­ft laut Wingenfeld vor der nächsten Frage: „Was macht man, wenn ein Teil der Einrichtun­gen sehr schlechte Qualität hat?“Wichtig sei hier nicht nur die Personalau­sstattung in den Pflegeheim­en – sondern etwa auch die verstärkte Auseinande­rsetzung der Mitarbeite­r mit der und die Sensibilit­ät der Heime für die Qualität. Basil Wegener und Sascha Meyer, dpa

Bisher lagen die Noten zwischen 1,1 und 1,4

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Was wird aus mir, wenn ich auf Hilfe angewiesen bin? Diese bange Frage stellen sich Millionen Deutsche mit Blick auf ihren Lebensaben­d. Ein neuer Pflege-TÜV soll ab Herbst 2019 die Auswahl einer geeigneten Pflegeeinr­ichtung spürbar erleichter­n.

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