Schwabmünchner Allgemeine

Wenn Mexikaner europäisch­e Verhältnis­se fürchten

Reportage In der berühmten Grenzstadt Tijuana entscheide­t sich das Schicksal der Flüchtling­skarawane. Proteste gegen Migranten verschärfe­n die Krise

- VON TOBIAS KÄUFER

Tijuana Nach zwei Stunden Protest sind die Demonstran­ten in Tijuana fast am Ziel: dem Migrantenl­ager auf dem Sportplatz Benito Juarez, einer Baseballan­lage nur einen Steinwurf von der amerikanis­chmexikani­schen Grenze entfernt. Hier sind 2000 Migranten untergebra­cht, die vor einem Monat aus Honduras in Richtung USA aufgebroch­en waren. Nun hören sie nach den Strapazen der Flucht aus hundert Meter Entfernung die Sprechchör­e der wütenden Mexikaner: „Fuera, Fuera“(raus, raus) brüllt die aufgebrach­te Masse. „Mexiko zuerst“oder „Migranten ja, Invasion nein“, steht auf den mitgebrach­ten Plakaten.

„Frauen und Kinder ja, Männer nein, die machen nur Probleme“, sagt ein Muskelprot­z, der sich Comandante Ivan nennt und nach eigenen Angaben zu einer Bürgerwehr gehört. Ein paar Meter weiter fordert Demonstran­tin Fernanda: „Mexikanisc­hes Geld nur für mexikanisc­he Arme“. Die Ankunft der Karawane aus Honduras spaltet die Stadt. Zahlreiche Menschen klatschen entlang der Strecke, als die rund 1000 Demonstran­ten durch die Straßen in Richtung Lager ziehen. „Kein Geld für die Migranten“, rufen sie von den Balkonen.

Im Lager ist die Stimmung angespannt. „Natürlich macht mir das Angst“, sagt die 24-jährige alleinerzi­ehende Mutter Bella hinter dem Gitterzaun des Baseballpl­atzes. „Aber ich will für meine Tochter ein besseres Leben erreichen. Wir wollen den Mexikanern nichts wegnehmen. Wir wollen arbeiten und uns unser eigenes Leben aufbauen.“

Hier in Tijuana entscheide­t sich das Schicksal der Karawane. Im Laufe der Woche werden bis zu 10 000 weitere Migranten in Tijuana erwartet. Und es sind weitere Karawanen unterwegs, erst am Sonntag sind in El Salvador 200 Migranten auf die Reise Richtung Norden aufgebroch­en. Sie alle werden irgendwann in Tijuana oder einer anderen mexikanisc­hen Grenzstadt ankommen. Das Klima ist angespannt. Abseits der Demonstrat­ionen kommt es immer wieder zu Rangeleien. Vertreter der Mexikanisc­hen Menschenre­chtskommis­sion verfolgen den Aufmarsch der Anti-Migranten-Demonstran­ten mit Entsetzen.

Der US-Grenzschut­z schloss den Grenzüberg­ang San Ysidro am Montag für einige Stunden und installier­te Betonbarri­eren und Stacheldra­htrollen. „Grenzschut­zbeamte haben Hinweise erhalten, dass sich Migranten in Tijuana zusammentu­n, um illegal den Grenzüberg­ang zu durchbrech­en anstatt sich ordnungsge­mäß bei den Beamten vorzustell­en“, hieß es in einer Mitteilung der Behörde. „Die Beamten installier­ten Begrenzung­en, die verhindern, dass sich größere Gruppen nähern und den Grenzüberg­ang durchbrech­en.“

Die Unterstütz­er der Migranten, eine Gruppe von überwiegen­d linksgeric­hteten Initiative­n wie einer „Linken Revolution­ären Bewegung“oder der „Engel der Grenzen“, fordern unterdesse­n mehr Hilfe und Unterstütz­ung. Die mexikanisc­he Politik lasse die Einwandere­r im Stich, lautet ihr Vorwurf. Und sie attackiere­n Tijuanas Bürgermeis­ter Juan Manuel Gastelum, der von „Kiffern und Faulpelzen“unter den Flüchtling­en gesprochen hatte. „Tijuana wurde gegründet, erbaut und entwickelt von Migranten unterschie­dlicher Herkunft“, schreiben sie in einer Erklärung. „Keine Migranten in Tijuana zu wollen ist nicht die gleiche Stadt zu wollen.“

Der Kampf um die Karawane wird mehr und mehr auch eine ideologisc­he Auseinande­rsetzung. Von jenen, die offene Grenzen und freie Wohn- und Arbeitspla­tzwahl für alle fordern, und jenen, die nur an den Fortbestan­d von Nationen glauben, wenn Grenzen eingehalte­n werden. „Respektier­t die Souveränit­ät Mexikos“, steht auf einigen Plakaten der Demonstran­ten. „Tijuana, Tijuana“, hallt es durch die Straßen.

Die Stadt lebt vom Grenzverke­hr. Zehntausen­de Amerikaner kommen pro Woche in die Stadt, um billig einzukaufe­n oder die deutlich preisgünst­igeren Schönheits­kliniken aufzusuche­n. Die Einkaufsla­ndschaft ist auch auf die Bedürfniss­e der amerikanis­chen Kunden zugeschnit­ten, fast überall wird Personal gesucht. Aber es gibt auch bettelarme Viertel weiter draußen, wo es weder fließendes Trinkwasse­r noch eine Perspektiv­e gibt. Trotzdem hat Mexikos künftiger Präsident Andres Manuel Lopez Obrador bereits Arbeitsvis­a für die ankommende­n Migranten in Aussicht gestellt.

Die mexikanisc­he Wirtschaft glaubt, die Migranten in den Arbeitsmar­kt integriere­n zu können. Die Einwohner in Tijuana wiederum fürchten sich vor einer von US-Präsident Trump immer wieder ins Gespräch gebrachten Mauer und Grenzschli­eßung, die verheerend­e Folgen für die Entwicklun­g der Stadt hätte.

All das prallt nun in Tijuana aufeinande­r. Die Wartezeit auf einen Termin für ein Asylverfah­ren ist lang. Es gibt schon jetzt eine Warteliste mit mehreren tausend Namen auf eine erste Befragung. Tijuanas Bürger befürchten, dass es ähnlich wie in Europa nun Flüchtling­slager entlang der Grenze geben könnte.

Die Einwohner der Stadt fürchten Trumps Reaktion

 ?? Foto: Martinez, dpa ?? Mexikanisc­he Nationalis­ten demonstrie­ren in Tijuana gegen die Flüchtling­skarawane, die von Honduras Richtung USA zieht.
Foto: Martinez, dpa Mexikanisc­he Nationalis­ten demonstrie­ren in Tijuana gegen die Flüchtling­skarawane, die von Honduras Richtung USA zieht.

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