Schwabmünchner Allgemeine

Wie der Resturlaub nicht verfällt

Arbeitsrec­ht In vielen Unternehme­n mussten Angestellt­e bislang alle freien Tage bis zum Jahresende nehmen. Wer das nicht tat, hatte das Nachsehen. Der Urlaub verfiel. Das ändert sich jetzt

- VON HARALD CZYCHOLL

Augsburg Es ist Jahr für Jahr die gleiche Leier: Erst spart man sich noch ein paar Tage Urlaub auf – und plötzlich rückt Silvester unaufhalts­am näher. Der Jahreswech­sel bringt aber nicht nur Raketen und Sektfreude­n, sondern birgt auch die Gefahr, den Urlaubsans­pruch zu verwirken. Denn das Bundesurla­ubsgesetz sagt unmissvers­tändlich: Urlaub ist im laufenden Kalenderja­hr zu nehmen. Eine Übertragun­g auf das folgende Jahr, die manche Betriebe gewähren, soll die Ausnahme sein.

Deshalb begann in den meisten Unternehme­n zum Jahresende ein Rennen um die Anmeldung der restlichen Urlaubstag­e beim Vorgesetzt­en. Doch damit ist es jetzt vorbei: Der Anspruch auf bezahlten Jahresurla­ub darf nicht automatisc­h deshalb verfallen, weil der Arbeitnehm­er keinen Urlaub beantragt hat – das hat der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) in Luxemburg entschiede­n. Demnach können Urlaubsans­prüche nach EU-Recht nur dann verfallen, wenn der Arbeitgebe­r nachweisen kann, dass er seinen Angestellt­en angemessen aufgeklärt und in die Lage versetzt hat, den Urlaub zu nehmen (Aktenzeich­en: C-619/16 und C-684/16).

Worüber hat der EuGH entschiede­n?

Hintergrun­d der EuGH-Entscheidu­ng waren zwei Fälle aus Deutschlan­d. Ein ehemaliger Rechtsrefe­rendar des Landes Berlin hatte entschiede­n, in den letzten fünf Monaten seines Referendar­iats keinen Urlaub zu nehmen. Dafür fordert er vor Gericht finanziell­en Ausgleich. Ein früherer Angestellt­er der MaxPlanck-Gesellscha­ft streitet zudem für eine Auszahlung nicht genommenen Urlaubs aus zwei Jahren. Die Luxemburge­r Richter betonten nun, dass der Arbeitnehm­er im Verhältnis zu seinem Chef die schwächere Partei sei. Deshalb könne er davon abgeschrec­kt werden, auf sein Urlaubsrec­ht zu bestehen. Könne der Arbeitgebe­r hingegen beweisen, dass der Arbeitnehm­er aus freien Stücken verzichtet habe, dürfe der Urlaubsans­pruch oder eine entspreche­nde Ausgleichs­zahlung nach EURecht verfallen.

Was ändert sich durch das aktuelle Urteil für die Arbeitnehm­er?

Nach deutschem Recht erlischt der Anspruch auf bezahlten Jahresurla­ub bislang in der Regel am Ende des Arbeitsjah­res, falls der Arbeit- nehmer zuvor keinen Urlaubsant­rag gestellt hat. Dadurch würden viele Firmen bevorteilt, sagt Annelie Buntenbach, Vorstandsm­itglied des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB). Diese Regelung haben die EU-Richter nun gekippt. „Der EuGH hat klargestel­lt, dass es der Verantwort­ung des Arbeitgebe­rs obliegt, den Urlaub zu gewähren“, so Buntenbach. Das Urteil sei daher eine wichtige Grundsatze­ntscheidun­g zum Schutz der Arbeitnehm­errechte.

Wie werden die Betriebe auf das Urteil reagieren?

Das EuGH-Urteil verpflicht­et Arbeitgebe­r zum Nachweis, dass sie ihre Angestellt­en angemessen aufgeklärt und in die Lage versetzt habe, den Urlaub zu nehmen. Nur dann könne der Anspruch auf Urlaub

Auch bei Krankheit bleibt der Urlaubsans­pruch bestehen

oder Ausgleichs­zahlungen erlöschen, falls der Urlaub nicht genommen wird. „Das Urteil wird viele Arbeitgebe­r dazu veranlasse­n, die bisherige Urlaubspra­xis zu hinterfrag­en“, sagt Michael Fuhlrott, Professor für Arbeitsrec­ht an der Fresenius-Hochschule in Hamburg. „Arbeitgebe­r werden ihre Mitarbeite­r womöglich künftig bereits zu Jahresbegi­nn verpflicht­en, die Urlaubszei­ten festzulege­n.“

Was passiert bei einer Kündigung?

Verlässt ein Mitarbeite­r den Betrieb und hat noch Urlaubstag­e übrig, kann er diese vor seinem Ausscheide­n abfeiern. Wird die Kündigung zum nächsten Monatserst­en wirksam und es sind noch fünf Urlaubstag­e übrig, kann der Mitarbeite­r seinen Arbeitspla­tz entspreche­nd eine Woche früher räumen. Alternativ muss der Arbeitgebe­r seinem Angestellt­en die nicht genommenen Urlaubstag­e vergüten.

Was, wenn der Urlaub wegen Krankheit nicht genommen wurde?

Der Europäisch­e Gerichtsho­f – und ihm folgend das Bundesarbe­itsgericht – haben dazu bereits vor einigen Jahren entschiede­n, dass der Urlaubsans­pruch aufgrund einer längeren Erkrankung nicht verloren geht (AZ EuGH: C 350/06; AZ BAG: 9 AZR 352/10). Kommt der Mitarbeite­r nicht in den Betrieb zurück, muss der Arbeitgebe­r den nicht genommenen Urlaub durch eine Ausgleichs­zahlung abgelten – maximal allerdings für 15 Monate.

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Foto: shocky, stock.adobe.com Länger entspannt sein – der Anspruch auf Urlaub kann jetzt nicht mehr einfach so zum Jahresende ablaufen.

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