Kein Herz für Tiere
Gesellschaft Ein Hundehalter lässt seine Tiere bis aufs Gerippe abmagern, Jugendliche missbrauchen einen Vogel als Fußball, eine Schlange wird geköpft: In Bayern häufen sich Fälle von extremer Tierquälerei. Warum machen Menschen so etwas?
Augsburg Geschwüre am ganzen Körper, abgemagert bis auf die Knochen, schwach, winselnd, hilflos und kaum mehr in der Lage, zu laufen: Es muss ein grauenvoller, herzzerreißender Anblick gewesen sein, der sich den Polizisten am Freitagabend bot. 34 Hunde in erbarmungswürdigem Zustand werden an jenem Abend aus einem Anwesen im Königsmooser Ortsteil Obermaxfeld (Landkreis NeuburgSchrobenhausen) geholt und ins Tierheim gebracht. Weitere 40 bis 60 Hunde – die genaue Dimension des Dramas ist schwer einzuschätzen – hausen noch dort. Der Fall schockiert Tierfreunde in ganz Bayern. Und er reiht sich ein in eine Folge von mehreren brutalen Fällen von Tierquälerei, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten im Freistaat ereignet haben.
Die Liste ist lang: Im niederbayerischen Velden missbraucht ein Mann ein Schaf und misshandelt es so heftig, dass es notgeschlachtet werden muss. In Osterhofen im Landkreis Deggendorf sticht jemand wahllos auf mehrere Schafe ein, die auf einer Wiese weiden. Fünf Tiere sterben, drei weitere werden schwer verletzt. Im Bayerischen Wald präparieren Tierhasser einen Köder mit dem verbotenen Gift Carbofuran. Ein geschützter Greifvogel erstickt. In Erding missbrauchen Jugendliche eine Babykrähe als Fußball und treten sie tot. Und in München steckt jemand einen sechs Wochen alten Hundewelpen in eine Plastiktüte und entsorgt ihn vor einem Müllcontainer. Dass das Tierkind nicht erstickt, verhungert oder verdurstet, ist einer Schülerin zu verdanken, die auf das Winseln des verzweifelten Hundes aufmerksam wird, das Tier befreit und zur Polizei bringt.
Und dann ist da noch die Geschichte mit der Schlange. In der oberfränkischen Gemeinde Ahorn entdecken Kinder beim Spielen an einem heißen Sommertag den Körper eines vier Meter langen Python – ohne Kopf. Wenn man Stefan Probst heute, etwa drei Monate später, auf diesen Fall anspricht, muss er erst einmal durchschnaufen. Dann sagt der Sprecher der Polizei in Coburg: „Oh ja. Die Riesenschlange. So etwas ist mir in meiner bisherigen Karriere noch nicht untergekommen. Und ich kenne auch niemanden, der so etwas schon mal erlebt hat.“An jenem Tag hatte das Tierheim bei der Polizei angerufen und den Beamten erzählt, dass Kinder eine kopflose Schlange entdeckt haben. „Wir haben uns auf die Suche nach dem Rest des Tieres gemacht und sind dann auf den Kopf gestoßen. Und auch auf eine Axt“, sagt Probst. „Da fragt man sich schon: Warum macht jemand so etwas?“
Auf diese Frage gibt es viele Antworten: Rache am Besitzer, Wut über das Tier, der Drang, sich als Jugendlicher in einer Gruppe zu beweisen, oder auch eine sadistische Befriedigung beim Quälen von Tieren – das alles seien mögliche Motive, sagt Andrea Beetz. Die Psychologin aus Erlangen beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Beziehung zwischen Mensch und Tier. Das Thema Tierquälerei spiele auch eine Rolle für zwischenmenschliche Kontakte, sagt die Expertin: „Es gibt Studien, die einen Zusammenhang von Gewalt gegenüber Tieren und Gewalt gegenüber Menschen dokumentieren.“Eine Lust am Quälen sei eher bei einem psychisch auffälligen Täter, der potenziell auch gefährlich für seine Mitmenschen ist, zu finden. In einem Fall ausgeprägter Quälerei an verschiedenen Tierarten von demselben Täter wäre deswegen ihrer Ansicht nach „eine psychiatrische Begutachtung angezeigt“.
Wie häufig im Freistaat gegen das Tierschutzgesetz verstoßen wird, dazu hat das Landeskriminalamt Zahlen parat: In der polizeilichen Kriminalstatistik 2017 sind 850 Fälle
Ein Greifvogel erstickte qualvoll
850 Verstöße gegen das Tierschutzgesetz
erfasst. Davon wurden 534 aufgeklärt. Im Vergleich zu den Vorjahren hat sich die Zahl der Delikte in Bayern nicht groß verändert. 2013 waren es 852, 2014 dann 843 und ein Jahr später 857. Einzig das Jahr 2016 fällt mit 916 Verstößen ein wenig aus der Reihe. Zu den Zahlen aus dem aktuellen Jahr macht das Landeskriminalamt noch keine Angaben. Sie werden erst im Frühling veröffentlicht.
Das ganze Ausmaß des Dramas von Obermaxfeld wird derzeit aufgearbeitet. Dass die Geschichte ans Tageslicht kam, ist der Tierschutzorganisation Vier Pfoten zu verdanken. Die wurde durch eine Anzeige auf den Halter der Tiere aufmerksam. Der Mann wollte mehrere Hunde ins Ausland verkaufen. Die Tierschützer täuschten Interesse vor, eine angebliche Kaufinteressentin spielte den Lockvogel. Auch die Kriminalpolizei war informiert worden. Die verwahrlosten Hunde konnten so gerettet werden. Nicht alle werden das Drama aber überleben. Einigen geht es so schlecht, dass sie wohl eingeschläfert werden müssen. Für die, die noch auf dem Anwesen sind, werden derzeit Plätze in Tierheimen gesucht. Bald hat dann hoffentlich auch für sie das Martyrium ein Ende.