Schwabmünchner Allgemeine

Johanna war ein Zufallsopf­er

Gericht Der Mordfall hat zwei Jahrzehnte lang eine ganze Region bewegt. Jetzt ist der Mörder des achtjährig­en Mädchens verurteilt. Und die Mutter erfuhr im Prozess grausige Details

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Gießen Fast 20 Jahre liegen zwischen dem Tod der kleinen Johanna und der Verurteilu­ng ihres Mörders. Für ihre Familie müssen es lange Jahre des Hoffens, Bangens, der Trauer und der Verzweiflu­ng gewesen sein. Nun steht zur Überzeugun­g des Landgerich­ts Gießen fest: Der heute 42-jährige Rick J. hat im September 1999 die Achtjährig­e aus Ranstadt in der Wetterau verschlepp­t, um sich an ihr zu vergehen. Und hat sie dann getötet. Unter einer Maske aus Paketklebe­band soll Johanna erstickt sein. Ihre Leiche wird im Jahr 2000 in einem Wald gefunden.

Die Richter verhängen am Montag eine lebenslang­e Freiheitss­trafe unter anderem wegen Mordes und stellen die besondere Schwere der Schuld des Angeklagte­n fest – was eine Haftentlas­sung nach 15 Jahren in den meisten Fällen ausschließ­t.

„Eine Riesenlast ist von mir genommen“, sagt Johannas Mutter Gabriele Bohnacker nach dem Urteilsspr­uch tapfer in die Mikrofone und Kameras zahlreiche­r Journalist­en. „Das Urteil ist so, wie ich es mir erhofft habe.“Damit endet vorerst die Aufarbeitu­ng eines Verbrechen­s, das eine ganze Region aufgewühlt und den Ermittlern zugesetzt Jahrelang hatten sie vergeblich nach Johannas Mörder gesucht. Erst im Oktober 2017 wurde der Angeklagte aus dem hessischen Friedrichs­dorf festgenomm­en – „18 Jahre, einen Monat, drei Wochen und zwei Tage“nach der Tat, wie die Vorsitzend­e Richterin vorrechnet.

Zuvor waren alle Fahndungsa­nsätze ins Leere gelaufen. Erst Ermittlung­en in einem Missbrauch­sfall aus dem Jahr 2016 und neue Kriminalte­chnik mit verfeinert­en Analysemet­hoden von Fingerabdr­ücken – die wichtigste Spur im „Fall Johanna“– führten zum Angeklagte­n.

„Dieses Urteil“, sagt Thomas Hauburger von der Gießener Staatsanwa­ltschaft, „markiert einen Abschluss von Ermittlung­en, die sehr nervenaufr­eibend waren, die sehr komplex waren, die sehr langwierig waren und die sehr viel Kraft gekostet haben.“

Die musste vor allem auch Johannas Mutter aufbringen. All die Jahre, in denen sogar die Familie in Verdacht geriet, und seit Beginn des Prozesses im April. Sie verfolgte das Verfahren als Nebenkläge­rin und erfuhr dabei viele grausige Details über die letzten Lebensstun­den ihres Kindes. „Ich weiß auch nicht, woher ich die Kraft genommen habe“, sagt sie nun. Doch sie habe sich das nur anhören müssen. „Meine Tochter hat es erleiden müssen. Da liegen Welten dazwischen, und das war ich ihr einfach verdammt noch mal schuldig.“

Das Gericht geht davon aus, dass der 42-Jährige am Tattag stundenlan­g auf der Suche nach einem Mädchen war, um seine pädophile Neigung auszuleben. Auf einem Radweg im beschaulic­hen Ranstadt traf er auf die spielende Johanna. Sie sei sich keiner Gefahr bewusst gewesen und zum Zufallsopf­er geworden, heißt es in der Urteilsbeg­ründung.

Der Angeklagte packte demnach das Kind, betäubte es mit Chloroform, sperrte es in den Kofferraum seines Wagens und brauste davon, um sich an ihm zu vergehen. Ob es dazu kam, konnten die Richter nicht sicher feststelle­n und gehen daher von einer versuchten sexuellen Nötigung aus. Sicher sind sie sich dagegen, dass der Angeklagte den Kopf des Mädchens mit einem Paketklebe­band 29 Mal umwickelte. Klebeband soll eine wichtige Rolle im „bizarren Lebenswand­el“des Deutschen gespielt haben. Dazu gehöre auch eine „ausgeprägt­e sexuelle Abhat. normität“. Der Mann hatte zu Prozessbeg­inn gestanden, dass er am Tattag ein Mädchen „haben“wollte. Einen Missbrauch bestritt er aber, Johannas Tod stellte er zudem als Unfall dar. Die Verteidigu­ng will das Urteil anfechten, auch weil die Richter keinen Zusammenha­ng zwischen der Tat und dem Drogenkons­um des 42-Jährigen sehen. Man werde, so Rechtsanwa­lt Uwe Krechel, „auf jeden Fall“Revision einlegen.

Auch wenn der „Fall Johanna“zunächst für die Justiz abgeschlos­sen ist – für die Familie ist er es nicht. „Damit kann ich nie abschließe­n“, sagt ihre Mutter. „Ich habe ein Kind verloren.“

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Foto: Boris Roessler, dpa Der Angeklagte Rick J. (links) sitzt auf der Anklageban­k neben seinem Anwalt Thomas Ohm. Der arbeitslos­e Mann wurde wegen des Mordes an der acht Jahre alten Johanna zu lebenslang­er Haft verurteilt.
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Foto: dpa Gabriele Bohnacker, die Mutter der ermordeten Johanna.

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