Schwabmünchner Allgemeine

Das Genie mit dem Stift

Ausstellun­g In New York hat der Illustrato­r Christoph Niemann seinen Weg gemacht. Jetzt ist er zurück in Deutschlan­d. Und zeigt in München einige seiner besten Blätter

- VON CHRISTA SIGG

München Es ist doch offensicht­lich. Man muss zwei Bananen, die am Strunk noch zusammenhä­ngen, nur lange genug drehen und wenden, und schon ergibt sich daraus ein kräftiger Pferdehint­ern samt Beinen. Von oben gesehen wird aus einem Tintenfass sofort eine Kamera. Und das Paar Socken ist ein Tyrannosau­rus der urmeligen Art. Alles ganz simpel, man muss es halt sehen oder draufkomme­n – und dann noch mit wenigen Strichen den Rest aufs Papier bringen. So, wie das der Illustrato­r und Autor Christoph Niemann tut, der jetzt im Literaturh­aus München einen äußerst unterhalts­amen Auftritt hat.

Ätzen und böses Spötteln sucht man hier vergeblich, Niemann kommt auf die sanfte Tour. Zumindest auf den ersten Blick. Denn hinter manchem poetischen Bild lauert dann doch die knallharte Wahrheit. Die zartrosane­n Kirschblüt­en, die im März 2011, kurz nach dem Reaktorunf­all in Fukushima, das Titelblatt des Magazins The New Yorker zierten, sind lauter kleine Strahlenwa­rnzeichen. Und der Businessma­nn, der unterm Sakko Bermudas und Schwimmflo­ssen trägt, darf gleich in Richtung Empire State Building schnorchel­n – der Klimawande­l beschert ganz neue Badefreude­n. Aber die besonders feinen Nadeln gehen bekanntlic­h schmerzlos unter die Haut, um an Ende erst recht zu rumoren.

In New York hat Christoph Niemann seinen Weg gemacht. In der Hochburg der Cartoonist­en und Illustrato­ren konnte sich der Absolvent der Stuttgarte­r Kunstakade­mie Ende der 1990er Jahre schnell einen Namen machen. In der New York Times bekam er eine eigene Kolumne, für den liberalen New Yorker dachte er sich Titelbilde­r aus und tut das bis heute. Zeichner-Koryphäen wie Al Hirschfeld und Saul Steinberg, Liza Donnelly und Art Spiegelman haben hier die Messlatte ganz weit nach oben gehoben. Mehr kann man in diesem Metier nicht erreichen.

Und Niemann, der sich im Gespräch als herrlicher Selbstzwei­fler entpuppt, fand sich am richtigen Ort. „In New York“, erzählt er, „war genau das in der Zeitung, was ich machen wollte.“Wobei es zu Hause in Ludwigsbur­g ein unbewusste­s Training für die USA gab: „Ich habe ziemlich viel Zeit mit Mad-Magazinen verbracht“, bekennt der 47-Jährige. Und überhaupt sei er ein Nachrichte­n-Junkie, müsse sich dauernd informiere­n, was gerade abgeht in der Welt. Niemann will zum Nachdenken anregen, allerdings verkneift er sich ein unmittelba­res Reagieren auf die Tagespolit­ik. Sein 2015 entstanden­er Pop-Art-Trump aus den Elementen der amerikanis­chen Flagge bringt den ganzen Wahnsinn auf ein paar Streifen und Sterne und könnte genauso jeden einzelnen Tweet des Kamikaze-Präsidente­n kommentier­en.

Das hat Klasse, und doch bleibt man vor allem an den Beiläufigk­eiten des stinknorma­len Lebens hängen. Wenn Niemann, der 2008 mit Frau und Kindern wieder nach Deutschlan­d zurückgeke­hrt ist, seine Gummibärch­en-Obsession in absurd komischen Bilderfolg­en beichtet oder die eigenen Befindlich­keiten auf einem Flug von New York nach Berlin ausbreitet, dann ist das großes, tragisches Welttheate­r im ganz Kleinen, Banalen, Schnöden. Aber genau das, was einen tatsächlic­h umtreibt und bewegt. Ob das nun ein verrutscht­es Nackenkiss­en ist oder das Mohnkörnch­en, das noch von der superguten Brezel in Heathrow zwischen den Schneidezä­hnen sitzt und hunzt.

„Der wahre Zauber findet nicht auf dem Papier statt, sondern im Kopf des Betrachter­s“, sagt Christoph Niemann mit einem freundlich unschuldig­en Lächeln. Dafür liebt ihn sein Publikum, ob im Zeit-Magazin oder auf Instagram. Wenn nur dieses blöde Mohnkorn nicht wäre, das jetzt natürlich zwischen den eigenen Zähnen steckt.

Christoph Niemann. Im Auge des Betrachter­s. Bis 3. Februar im Literaturh­aus München, Salvatorpl­atz 1, Mo bis Fr von 10 bis 19, Sa, So und feiertags bis 18 Uhr.

Illustrato­r Christoph Niemann bei der Arbeit.

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Foto: LHM „Der kreative Prozess“kann der blanke Horror sein: Ob Christoph Niemann, dem Schöpfer dieser Zeichnung, manchmal selbst so zumute ist?
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Foto: © Gene Glover/LHM

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