Ein Schlafwandler reißt alle hin
Gala Die umjubelte Darbietung vom Kévin Coquelard beim Gastspiel der Preisträger des Solo-tanz-theater-festivals Stuttgart fällt aus dem Rahmen
Lautstark, eindeutig, begeistert, mit frenetischem Jubel und Begeisterungspfiffen entlud sich der Beifall des Publikums, das mit Kévin Coquelard den letzten der fünf Solotänzer feierte. Kein Wunder! Traf er doch mit seiner „Le Somnambule“übertitelten Choreografie genau den Nerv, bzw. Muskel, den seit Jahren kaum mehr einer der Finalisten des alljährlich in Stuttgart stattfindenden Solo-tanz-theater-festivals unter der künstlerischen Leitung von Marcelo Santos bedient hatte.
Es durfte und musste doch tatsächlich geschmunzelt, ja sogar laut gelacht werden – so brillant, einfallsreich, umwerfend clownesk und dabei tänzerisch auf hohem Niveau zelebrierte Coquelard in seinem Solo die hohe Kunst der Parodie, um seiner Figur den leicht vertrottelten Touch eines Schlafwandlers zu geben. Die Macht der Klassikhits überwältigte, irritierte und inspirierte ihn, der „Säbeltanz“von Khatschaturian, Offenbachs „Cancan“oder auch die „Ungarischen Tänze“von Brahms zogen ihm immer wieder den Boden unter den in herrliche rote Samt-sneaker gesteckten Füßen weg, sodass er strauchelte, die Glieder warf, sich um Kopf und Kragen tanzte. Inbrünstig atmete und saugte er die Klangimpulse ein, um sie in ein originelles und immer wieder überraschendes Bewegungs- Theater zu transformieren. Ein veritables und endlich farbige Akzente beisteuerndes Kabinettstück, das nach einem Wiedersehen z.b. auf der Staatstheater-ballett-gala im Januar schreit! Auch beim Wettbewerb in Stuttgart nahm der Tanzchoreograf neben dem 2. Preis in der Kategorie „Tanz“den Publikumspreis mit.
Apropos Preisgelder: Die zeitgenössischen Tänzer und Choreografen aus aller Welt, die sich seit über zwei Jahrzehnten mit ihren Kurzwerken dem Wettbewerb und der Expertenrunde stellen, dürfen sich über Preise im Wert von bis zu 3000 Euro freuen, die von der Stadt Stutt- gart und dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-württemberg gesponsert werden. Die Publikumsfavoriten können zwei weitere Preise im Wert von je 500 Euro erringen, die von privaten Sponsoren finanziert werden. Dazu gibt es einen „Videodanceprize“einer Stuttgarter Filmgesellschaft, der die Produktion eines Tanzvideos ermöglicht. Den sogenannten Residenzpreis verleiht in diesem Jahr das Staatstheater Augsburg, dessen Ballettdirektor Ricardo Fernando neben Bernhard Fauser, Diana Fontes und Toula Limnaios in der Jury saß. In diesem Jahr wird es der italienischen Choreografin Roberta Ferrara (3. Preis Choreografie & Residenze) ermöglicht, gemeinsam mit der Augsburger Ballettcompagnie ein eigenes Stück einzustudieren. Sie hatte der extrem trainierten Tonia Laterza mit dem Solo „Equal to men“eine tänzerische Ansage in Sachen Dynamik und Power auf den Leib choreografiert, in der sie gnadenlos und intensiv gegen die konventionellen Geschlechterzuordnungen zwischen männlichem und weiblichem Tanz ankämpfte.
Mit seinem Stück „The Beauty of it“, das sensibel und mithilfe von J.G. Jung mit der Frage nach der Wahrnehmung unserer unterbewussten Persönlichkeitsmerkmale spielte, startete der spanische Tänzer Angel Duran Muntada in diesen Abend, an dem sich nach wie vor das Wort „Gala“seltsam, bzw. defizitär anfühlt. Statt wenigstens einer kurzen Begrüßung und/oder Moderation gibt es lediglich „Licht an“und „Licht aus“zwischen den fünf Kurzwerken, ein karges Programmblatt und damit die bleibende Überzeugung des Leiters Marcelo Santos, dass das Augsburger Publikum ohnehin kommt und den Rest (z.b. Biografien der Tänzer) bei Bedarf „googeln“kann. Schade!
Allerdings gaben ihm die Tatsachen womöglich doch recht: Auch im Jahr 2018 war mit rund 140 Zuschauern das Interesse groß genug und der Applaus am Ende für die Tänzer intensiv. Einer von ihnen, die wie so oft in den Vorjahren insbesondere den eigenen Background um- und einkreisten, war auch Lukas Karvelis (Choreografie 2. Preis). In Matias Rocha Moura war der passende, zierlich und feminin agierende Interpret für dessen emotionalen Rückblick auf die „Blank Spots“in der Kindheit zu litauischer Volksmusik gefunden. Ein weiteres Mal die Auseinandersetzung mit der eigenen fragil und verletzlich scheinenden Weiblichkeit, die Nacktheit impliziert, präsentierte das italienische Kreativ-duo Giulia Menti (Choreo) und Francesca Bedin (Tanz) im Kurzwerk „In dieser Frau“. Die klare und bisweilen berührende Bühnenpräsenz mit geschmeidigem Modern-können war der Jury immerhin den 1.Preis für Tanz wert gewesen.