Ingenieur fühlt sich gemobbt und schlägt zu
Justiz Erst fraß ein 41-Jähriger jede Kritik in sich hinein, dann wurde er gewalttätig. Vor dem Augsburger Amtsgericht ging es nun um einen Ausraster am Arbeitsplatz
Sechs Jahre lang waren sie Kollegen in einem mittelständischen Unternehmen. Der Maschinenbauingenieur, 41, zeichnete die Konstruktionspläne, der Maschinenbautechniker, 45, bereitete die Produktion vor. Immer wieder gab es zwischen beiden Diskussionen, Kritik an den Zeichnungen.
Der Ingenieur fühlte sich ungerecht behandelt, gemobbt, fraß alles in sich hinein. Die jahrelang aufgestauten Emotionen machten sich im November 2017 explosionsartig Luft: Der Ingenieur schlug seinen Kollegen bei einem erneuten Streit im Büro völlig unvermittelt zu Boden. Mit gravierenden Folgen: Das Opfer erlitt massive Brüche am Oberkiefer, an der Nase, die Zähne waren verschoben. Der Techniker lag zehn Tage in der Klinik, war drei Monate arbeitsunfähig, muss sich noch heute mit Gebissproblemen herumschlagen. Welche Auswirkungen der Gewaltausbruch für Täter und Opfer hat, wird beim Prozess wegen vorsätzlicher Körperverletzung vor Amtsrichter Roland Fink offenkundig.
Der angeklagte Ingenieur, dem der Richter später einen „mustergültigen Lebenslauf“bescheinigt, sitzt still, fast steif, neben seinem Verteidiger Klaus Rödl. Er selbst redet wenig, lässt lieber den Anwalt sprechen. Man kann sich vorstellen, dass der Angeklagte ein introvertierter Mensch ist, der seine Gefühle lieber für sich behält. Der Ingenieur, so vermutet sein Anwalt, habe die konstruktive Kritik seines Arbeitskollegen persönlich genommen. Es habe in ihm gebrodelt, bis er an jenem Tattag einfach die Nerven verloren habe.
In Begleitung seines Anwalts Andreas Thomalla erinnert sich der Techniker im Zeugenstand an das auslösende Streitgespräch. Die Zeichnung seines Kollegen habe irgendwie nicht mit dem Kundenauftrag zusammengepasst. „Ich musste das hinterfragen, das ist ja meine Aufgabe“, korrigiert der 45-Jährige den Eindruck, es habe sich um Mobbing gehandelt. Nach einem Telefonat sei der Angeklagte plötzlich in seinem Büro gestanden, es sei weiter diskutiert worden. Als man gemeinsam zum Chef gehen wollte, um die Angelegenheit zu klären, sei es passiert. „Ohne Vorwarnung habe ich einen Schlag bekommen, bin bewusstlos geworden und zu Boden gestürzt. Als ich wieder aufwachte, war ich blutüberströmt, kam ins Klinikum.“Den Ärzten zufolge müssen es drei wuchtige Faustschläge gewesen sein, die massive Verletzungen ausgelöst hatten. „Schläge wie von einem Boxer, haben die Ärzte gesagt“, sagt das Opfer. Die Wiederaufnahme seiner Arbeit nach drei Monaten Krankheit sei für ihn „psychisch sehr schwer“gewesen. „Aber die Kollegen haben mich sehr gut aufgenommen.“
Sein Mandant schäme sich für die Schläge, sei selbst schockiert gewesen, sagt Verteidiger Rödl. Zweimal steht der Angeklagte, dem gekündigt worden war, auf, entschuldigt sich beim Opfer. Allen Beteiligten ist klar: Die massive Attacke auf den Kollegen kann nicht mehr, wie bei vorsätzlichen Körperverletzungen üblich, mit einer Geldstrafe geahndet werden. Richter Fink verurteilt den Ingenieur zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten. „Es war ein lange aufgestautes Missverständnis. Das Opfer musste Kritik üben, der Angeklagte hat dies als persönlich verletzend empfunden“, sagt der Richter. Neben der Strafe muss der Angeklagte, der das Urteil sofort annahm, dem Opfer als Bewährungsauflage 3000 Euro zahlen. Die Krankenkasse hat von ihm die Erstattung der Behandlungskosten für den Verletzten in Höhe von 13 000 Euro gefordert.