Schüler werden zu Zeitungsprofis
Die Achtklässler des Oettinger Gymnasiums nehmen am Projekt „Zeitung in der Schule“teil. Dabei erfahren sie alles rund um Textformen, Layout und Aufbau einer Zeitung. Was die Schüler davon halten?
Augsburg Man darf sich nicht ducken! Man muss sich wehren! Mit dieser Einstellung ist die Philosophin Hannah Arendt groß geworden. Als Tochter jüdischer Eltern war sie in der Schule Anfeindungen ausgesetzt. „Der Antisemitismus ist allen jüdischen Kindern begegnet. Und er hat die Seelen vieler Kinder vergiftet“, schrieb sie rückblickend.
Doch Arendt wusste sich zu wehren. Ihre Mutter lehrte sie, mit einer selbstbewussten und kämpferischen Haltung durchs Leben zu gehen. Aus dieser Erziehung heraus entwickelte Arendt schon als junge Schülerin einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Er bildete die Grundlage für ihre politischen und philosophischen Theorien.
1906 geboren und in Königsberg aufgewachsen, interessierte sich Arendt früh für Literatur und Philosophie. Mit 14 Jahren las sie Kant, Jaspers und Kierkegaard. Sie verschlang die Werke von Thomas Mann, auch wenn diese von der Schulbehörde als ungeeignet abgestempelt wurden. Arendt war eine gute Schülerin, das Lernen fiel ihr leicht. Doch die Strenge und Starrheit im Unterricht wider- strebten ihr. Immer wieder musste ihre Mutter zwischen Tochter und Lehrern vermitteln. Am Ende vergeblich.
Kurz vor dem Abitur musste Arendt die Schule verlassen. Nachdem ein junger Lehrer sie beleidigt hatte, forderte sie ihre Klassenkameraden auf, seinen Unterricht zu boykottieren. Für diesen rebellischen Akt wurde sie der Schule verwiesen. Ihr Abitur legte Arendt dann 1924 als externe Schülerin ab. Obwohl sie nach eigener Aussage große Angst vor der Prüfung hatte, meisterte sie sie erfolgreich.
Bis heute zählt Arendt zu den einflussreichsten Denkerinnen des 20. Jahrhunderts. Bekannt wurde sie vor allem mit ihrer journalistischen Arbeit zum Eichmann-Prozess 1961 und ihrem politischen Hauptwerk „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“. Arendt wurde 1937 vom nationalsozialistischen Regime ausgebürgert und war staatenlos, bis sie 1951 die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt. (lac) Oettingen Es raschelt im Klassenzimmer. Aufmerksam blättern die Achtklässler des Oettinger Gymnasiums die aktuelle Heimatausgabe unserer Zeitung durch. „Mathe, Deutsch, Verhütung“– die Überschrift zieht. Leise kichernd überfliegen sie den Artikel über Sexualkundeunterricht an bayerischen Schulen. „Es ist ein längerer Text, aber ich bin fast durch“, sagt Leonard, während sein Tischnachbar den Lokalteil durchforstet und an einem Artikel über Nachwuchs bei der Feuerwehr hängen bleibt. „Ich bin selbst bei der Feuerwehr, das interessiert mich“, sagt Leif.
Zeitung lesen – für die meisten Schüler ist das keine Selbstverständlichkeit. „ Ich habe nie eine Zeitung in der Hand“, sagt Leonard. Seine Großeltern hätten eine Tageszeitung zu Hause, aber ihm fehle die Zeit zum Lesen. Er informiere sich lieber online. „Oder über Fernsehnachrichten“, fügt ein Mitschüler hinzu. Doch das soll sich ändern.
In den kommenden vier Wochen lesen die Achtklässler jeden Tag ihre Heimatzeitung. Denn die Oettinger Klasse ist eine von 1300, die sich bisher für das medienpädagogische Projekt „Zeitung in der Schule“(ZISCH) unserer Zeitung angemeldet haben. „Ich finde es wichtig, dass die Schüler an das Medium Zeitung herangeführt werden“, sagt Lehrerin Sabine Angerer. Dafür nutzt sie das Unterrichtsmaterial, das den Lehrern im Rahmen von ZISCH online zur Verfügung steht. Zweimal in der Woche spricht sie mit den Achtklässlern über journalistische Textformen, erarbeitet mit ihnen, wie eine Zeitung aufgebaut ist oder diskutiert über das Layout. Die Schüler fassen Artikel zusammen, überlegen sich Überschriften oder gestalten eine Titelseite.
„Sie waren begeistert, als ich ihnen von dem Projekt erzählt habe“, sagt Angerer. Eine gedruckte Zeitung übe immer noch eine gewisse Faszination auf die Schüler aus. Angerer selbst organisiert das Projekt zum ersten Mal. „Ich habe schon viele Ideen“, sagt sie. Aber letztendlich liege es am Interesse der Schüler, wo die Schwerpunkte liegen. „Das Schöne an dem Projekt ist, dass es sich entwickelt, denn die Zeitung bietet viele verschiedene Ansätze“, findet Angerer. So gilt es in der ersten ZISCH-Stunde herauszufinden, wie oft die Schüler Zeitung lesen und was sie interessiert. Sport, Jugendthemen, Musik – hier haben viele ihr Kreuzchen auf dem Fragebogen gesetzt.
„Auch das Lokale interessiert die Schüler, denn da treffen sie auf Bekanntes“, weiß Bettina Sieben. Sie ist ebenfalls Lehrerin am Oettinger Gymnasium und hat das Projekt schon viele Jahre begleitet. Ihre Erfahrungen sind durchweg positiv: „Die Schüler freuen sich jedes Mal, weil die Arbeit mit der Zeitung lockerer ist als normaler Unterricht.“Zudem sei es ein stärkeres Miteinander. „Der Lehrer bekommt die Tageszeitung nicht früher als die Schüler, die Texte werden gemeinsam erarbeitet, das gefällt den Schülern“, weiß Sieben. Außerdem sei es authentischer, mit aktuellen Artikeln zu arbeiten als mit vorgefertigten Arbeitsblättern. Ihrer Meinung nach lesen die Schüler nicht weniger Zeitung als vor zehn Jahren, aber eine Tendenz gebe es: „Man muss mehr Wörter erklären. Gerade der passive Wortschatz wird weniger“, sagt Sieben. Das betreffe auch Schüler, die viel und gerne lesen.
Am Oettinger Gymnasium ist ZISCH seit Jahren fest in den Unterrichtsalltag integriert. Alle achten Klassen machen mit. Jeder Lehrer geht anders an das Projekt heran. Doch Sieben hat ein paar grundlegende Tipps: „Man sollte den Schülern Zeit geben, die Zeitung kennenzulernen, auch wenn das bedeutet, dass sie mal zehn Minuten Kreuzworträtsel machen.“Je länger das Projekt laufe, desto gezielter könne man mit den Schülern arbeiten. Denn am Oettinger Gymnasium dient ZISCH nicht nur dazu, die Schüler mit der Zeitung vertraut zu machen, sondern auch als Schulaufgabenvorbereitung. Alle Achtklässler müssen einen Kommentar schreiben. Wie das geht, lernen sie anhand von Beispielen aus der Zeitung. Zum Abschluss des Projekts Worum geht’s? besuchen die Schüler die Zentrale unserer Zeitung. „Sie sehen, wie eine Zeitung entsteht, vom Artikel bis zum Druck und was da alles mit dranhängt“, sagt Sieben. Doch vorher heißt es für die Achtklässler erst einmal: Lesen, Lesen, Lesen.
Was steckt hinter dem ZISCH-Projekt?
Wie funktioniert’s?