Crash mit 200 Sachen: Rentner will Führerschein behalten
Prozess Ein 81-Jähriger verursacht einen schweren Unfall auf der A8. Das Gericht kann nur hilflos zusehen
Günzburg Ab wann sind Senioren im Straßenverkehr eine Gefahr für die Allgemeinheit? Sollte es regelmäßige Prüfungen der Fahrtauglichkeit älterer Menschen geben? Diese Fragen sind ein Dauerthema. Erst vor wenigen Tagen hatte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer erklärt, er sehe hier keinen Handlungsbedarf. Womöglich hätte er seine Meinung geändert, wenn er diese Gerichtsverhandlung besucht hätte, die am Amtsgericht Günzburg stattgefunden hat: Angeklagt war ein 81-Jähriger, der auf der A 8 bei Jettingen-Scheppach einen schweren Unfall verursacht hatte.
Es geschieht am Muttertag. Der 13. Mai 2018 ist ein sonniger Sonntag, auf der Autobahn herrscht wenig Verkehr. Ein 56-jähriger Rosenheimer ist mit seinem Wohnmobil unterwegs in Richtung Heimat. Er ist stolz auf sein Gefährt, einen eigenhändig ausgebauten Peugeot Boxer. Er habe damit, sagt er später vor Gericht, in den Urlaub fahren und es auch vermieten wollen. Dazu sollte es aber nicht kommen.
Gegen 9.15 Uhr rast ein Mercedes mit über 200 Stundenkilometern ungebremst in das Heck des Wohnmobils. „Ich habe es nicht kommen sehen“, erzählt der sichtlich aufgeregte Mann neun Monate später vor Gericht. „Auf einmal hat es einen brutalen Schlag getan und ich habe erst einmal gar nix mehr gesehen.“Das Gewicht des Wohnmobils und eine erhöhte Leitplanke verhindern, dass das Fahrzeug von der Fahrbahn geschleudert wird. Der Rosenheimer erleidet ein Schleudertrauma, ist drei Wochen krankgeschrieben. Albträume von dem Vorfall habe er noch wesentlich länger, sagt er. Sein mit viel Mühe ausgebautes Wohnmobil ist Schrott, ein neues würde ihn 20 000 Euro mehr kosten, als die Versicherung zahlt.
Der Unfallverursacher hört sich die Aussage des Mannes stumm an. Erst auf Anregung des Richters entschuldigt er sich bei dem Opfer. Er ist kein rücksichtsloser Raser. Der Angeklagte ist 81 Jahre alt, steht zum ersten Mal vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, den schweren Unfall fahrlässig herbeigeführt zu haben, weil er sich trotz großer Müdigkeit und Einnahme von Medikamenten ans Steuer gesetzt habe.
Den Einfluss von Arzneimitteln lässt der Mann aus dem nördlichen Landkreis Günzburg über seinen Rechtsanwalt bestreiten. Dass er den Unfall durch einen Fahrfehler verursacht hat, bestreitet er aber nicht. Womöglich sei er sogar eingeschlafen, so der Verteidiger. Sein Mandant könne sich nicht erinnern.
Richter Walter Henle kommt gleich auf den Punkt. „Bei diesem Unfall hätte auch fahrlässige Tötung in der Akte stehen können. Ich appelliere an ihre Vernunft: Geben Sie ihren Führerschein freiwillig ab.“Hintergrund ist, dass der Senior wohl in jüngerer Vergangenheit in mehrere Autounfälle verwickelt war. Erst am vergangenen Donnerstag, so räumt der Mann vor Gericht ein, habe es bei Waldstetten einen Zusammenprall mit einem landwirtschaftlichen Gespann gegeben. Laut Polizei war der 81-Jährige in einer lang gezogenen Linkskurve auf die Gegenfahrbahn geraten und gegen den Anhänger eines Traktors geprallt. Verletzt wurde niemand.
Doch der Angeklagte bleibt stur. Er sei auf das Auto angewiesen, so sein Anwalt. Dieses Argument will Henle aber nicht gelten lassen. Denn dank einer üppigen Pension sei der ehemalige Lehrer in der bequemen Situation, auch ohne eigenen Führerschein mobil zu bleiben. Einen Fahrdienst oder ein Taxi könne er sich problemlos leisten. „Solche Fälle gibt es selten“, so Henle. Staatsanwältin Radloff wurde noch deutlicher: „Irgendwann ist der Führerschein sowieso weg, ob das heute ist oder in drei Monaten. Aber dann fahren Sie vielleicht jemanden tot.“
Der Angeklagte kann sich dazu aber nicht durchringen. Von 1959 bis 2016 sei er unfallfrei gefahren, betont er. Zweimal habe er schon eine Fahrtauglichkeitsuntersuchung beim Landratsamt bestanden.
„Trotzdem bleibt man nicht ewig jung“, entgegnet der Richter. „Der Straßenverkehr heute erfordert einen fitten, hoch konzentrierten, leistungsfähigen Fahrer, der die Risiken beherrscht.“Der Angeklagte sei aber aus seiner Sicht überfordert mit diesen Anforderungen.
Letztlich wird der Mann wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt. Außerdem muss er drei Monate lang seinen Führerschein abgeben. Ihn dauerhaft einziehen, das erlaubt das Gesetz aber nicht. Hier ist das Landratsamt zuständig. Eine dritte Prüfung für den 81-Jährigen ist bereits anberaumt.
Der Rentner will seinen Führerschein nicht abgeben
Taxi oder Bus könnte er sich problemlos leisten