Schwabmünchner Allgemeine

Crash mit 200 Sachen: Rentner will Führersche­in behalten

Prozess Ein 81-Jähriger verursacht einen schweren Unfall auf der A8. Das Gericht kann nur hilflos zusehen

- VON ALEXANDER SING

Günzburg Ab wann sind Senioren im Straßenver­kehr eine Gefahr für die Allgemeinh­eit? Sollte es regelmäßig­e Prüfungen der Fahrtaugli­chkeit älterer Menschen geben? Diese Fragen sind ein Dauerthema. Erst vor wenigen Tagen hatte Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer erklärt, er sehe hier keinen Handlungsb­edarf. Womöglich hätte er seine Meinung geändert, wenn er diese Gerichtsve­rhandlung besucht hätte, die am Amtsgerich­t Günzburg stattgefun­den hat: Angeklagt war ein 81-Jähriger, der auf der A 8 bei Jettingen-Scheppach einen schweren Unfall verursacht hatte.

Es geschieht am Muttertag. Der 13. Mai 2018 ist ein sonniger Sonntag, auf der Autobahn herrscht wenig Verkehr. Ein 56-jähriger Rosenheime­r ist mit seinem Wohnmobil unterwegs in Richtung Heimat. Er ist stolz auf sein Gefährt, einen eigenhändi­g ausgebaute­n Peugeot Boxer. Er habe damit, sagt er später vor Gericht, in den Urlaub fahren und es auch vermieten wollen. Dazu sollte es aber nicht kommen.

Gegen 9.15 Uhr rast ein Mercedes mit über 200 Stundenkil­ometern ungebremst in das Heck des Wohnmobils. „Ich habe es nicht kommen sehen“, erzählt der sichtlich aufgeregte Mann neun Monate später vor Gericht. „Auf einmal hat es einen brutalen Schlag getan und ich habe erst einmal gar nix mehr gesehen.“Das Gewicht des Wohnmobils und eine erhöhte Leitplanke verhindern, dass das Fahrzeug von der Fahrbahn geschleude­rt wird. Der Rosenheime­r erleidet ein Schleudert­rauma, ist drei Wochen krankgesch­rieben. Albträume von dem Vorfall habe er noch wesentlich länger, sagt er. Sein mit viel Mühe ausgebaute­s Wohnmobil ist Schrott, ein neues würde ihn 20 000 Euro mehr kosten, als die Versicheru­ng zahlt.

Der Unfallveru­rsacher hört sich die Aussage des Mannes stumm an. Erst auf Anregung des Richters entschuldi­gt er sich bei dem Opfer. Er ist kein rücksichts­loser Raser. Der Angeklagte ist 81 Jahre alt, steht zum ersten Mal vor Gericht. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm vor, den schweren Unfall fahrlässig herbeigefü­hrt zu haben, weil er sich trotz großer Müdigkeit und Einnahme von Medikament­en ans Steuer gesetzt habe.

Den Einfluss von Arzneimitt­eln lässt der Mann aus dem nördlichen Landkreis Günzburg über seinen Rechtsanwa­lt bestreiten. Dass er den Unfall durch einen Fahrfehler verursacht hat, bestreitet er aber nicht. Womöglich sei er sogar eingeschla­fen, so der Verteidige­r. Sein Mandant könne sich nicht erinnern.

Richter Walter Henle kommt gleich auf den Punkt. „Bei diesem Unfall hätte auch fahrlässig­e Tötung in der Akte stehen können. Ich appelliere an ihre Vernunft: Geben Sie ihren Führersche­in freiwillig ab.“Hintergrun­d ist, dass der Senior wohl in jüngerer Vergangenh­eit in mehrere Autounfäll­e verwickelt war. Erst am vergangene­n Donnerstag, so räumt der Mann vor Gericht ein, habe es bei Waldstette­n einen Zusammenpr­all mit einem landwirtsc­haftlichen Gespann gegeben. Laut Polizei war der 81-Jährige in einer lang gezogenen Linkskurve auf die Gegenfahrb­ahn geraten und gegen den Anhänger eines Traktors geprallt. Verletzt wurde niemand.

Doch der Angeklagte bleibt stur. Er sei auf das Auto angewiesen, so sein Anwalt. Dieses Argument will Henle aber nicht gelten lassen. Denn dank einer üppigen Pension sei der ehemalige Lehrer in der bequemen Situation, auch ohne eigenen Führersche­in mobil zu bleiben. Einen Fahrdienst oder ein Taxi könne er sich problemlos leisten. „Solche Fälle gibt es selten“, so Henle. Staatsanwä­ltin Radloff wurde noch deutlicher: „Irgendwann ist der Führersche­in sowieso weg, ob das heute ist oder in drei Monaten. Aber dann fahren Sie vielleicht jemanden tot.“

Der Angeklagte kann sich dazu aber nicht durchringe­n. Von 1959 bis 2016 sei er unfallfrei gefahren, betont er. Zweimal habe er schon eine Fahrtaugli­chkeitsunt­ersuchung beim Landratsam­t bestanden.

„Trotzdem bleibt man nicht ewig jung“, entgegnet der Richter. „Der Straßenver­kehr heute erfordert einen fitten, hoch konzentrie­rten, leistungsf­ähigen Fahrer, der die Risiken beherrscht.“Der Angeklagte sei aber aus seiner Sicht überforder­t mit diesen Anforderun­gen.

Letztlich wird der Mann wegen fahrlässig­er Gefährdung des Straßenver­kehrs und fahrlässig­er Körperverl­etzung zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt. Außerdem muss er drei Monate lang seinen Führersche­in abgeben. Ihn dauerhaft einziehen, das erlaubt das Gesetz aber nicht. Hier ist das Landratsam­t zuständig. Eine dritte Prüfung für den 81-Jährigen ist bereits anberaumt.

Der Rentner will seinen Führersche­in nicht abgeben

Taxi oder Bus könnte er sich problemlos leisten

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