Schwabmünchner Allgemeine

Wenn der Lachs über den Gartenzaun fliegt

Knut Schaflinge­r, Max Sessner und Siegfried Völlger stellten zu Brechts Geburtstag Gedichte mit Eigenleben vor

- VON ANDREAS SCHMIDT

Bei dieser Lesung schaute Bertolt Brecht als Büste seinen Nachfolger­n über die Schulter. In dem Haus, in dem Brecht 121 Jahre zuvor geboren worden war, lasen drei Augsburger neue Lyrik. Während ihr berühmter Vorgänger seine Geburtsund Jugendstad­t einst verlassen hatte, ist das Trio vor Jahren oder seit längerem zugezogen. Die Dichter erwiesen sich als Lokalpatri­oten. Sie empfanden es als Ehre oder waren gerührt, Brechts Geburtstag mitgestalt­en zu dürfen. Es lohnte sich, im voll besetzten Brechthaus ein Plätzchen ergattert zu haben. Knut Schaflinge­r, Max Sessner und Siegfried Völlger stellten auf Einladung der Buchhandlu­ng am Obstmarkt ihre druckfrisc­hen Werke vor. Unterschie­dlicher könnten sie kaum sein. Und jeder Autor las auch mit einer anderen Sprachfärb­ung.

Um „Die Unentbehrl­ichkeit der Farben“geht es in dem neuen Buch von Knut Schaflinge­r. Der gebürtige Österreich­er, frühere TeilzeitHa­nseat und ehemalige Fernsehjou­rnalist versteht es, in dem engem Raum der Gedichte Stimmungen zu verdichten. Immer wieder bleibt man an starken Bildern hängen, die Schaflinge­r für Weiß, Schwarz, Blau, Grün, Gelb, Rot und Übermalung­en gefunden hat. So wie sich Farben nicht greifen, sondern eher erspüren lassen, gilt dies auch für die Bilderwelt­en von Schaflinge­r. Er erschafft damit eine lyrische Gegenwelt zu der nüchternen Sprache, mit der er als Fernsehjou­rnalist die Welt erklärt hatte. Rot ist für ihn die emotionals­te Farbe. Dazu schreibt der 67-Jährige unter anderem:„Der Teich flammt auf. Flamingofe­uer. Sie trinken stehend aus der Pfütze ihre Glut. …“Dieses Gedicht endet mit dem Satz: „Es bleibt keine Farbe in der Schreibhan­d zurück.“

Über Vergänglic­hkeit dichtet auch der aus Franken stammende Max Sessner. „Das Wasser von gestern“heißt sein neuer Gedichtban­d. Es schwingt Melancholi­e mit. Wobei Sessner mit einem ironischen Unterton darüber hinwegtrös­tet, dass irgendwann folgender Moment naht: „Die Stunde vor unserem spurlosen Verschwind­en.“

Wie seine beiden Lyrikkolle­gen ist der 59-jährige Mitarbeite­r der Stadtbüche­rei und Mitveranst­alter der Lyrikreihe „Rauchzeich­en“belesen. So taucht bei ihm auch Eichendorf­f auf – allerdings weniger romantisch: „…und die Wälder ach die Wälder sind verrückt geworden …“

Großmütter duften in diesen Gedichten nach Veilchen, ihre Kleider knistern. Und hinter dem Antlitz einer alten Dame, die auf einer Parkbank sitzt, erahnt man im Vorübergeh­en ihre früheren jüngeren Gesichter. Manchmal bleibt nur die Erinnerung an vergangene Tage. Wobei: „ …einen Friedhof für Tage kann es nicht geben und wer sollte dort auch die Gräber pflegen…“Und Sessner ist bewusst: „Irgendwann brauchen mich meine Gedichte nicht mehr.“

Auch Buchhändle­r Siegfried Völlger glaubt, dass seine Lyrik ein Eigenleben entwickelt. Seinem niederbaye­rischen Tonfall hört man an, dass er im Bayerische­n Wald geboren ist. Zu seiner „Heimaterin­nerung“zählt, dass dort ein Tor zur Hölle zu Fuß erreichbar war. „… den teufel hat man oft dort gesehn und seine begleiter deswegen war es auch weitum warm zuhause.“

In Mundart schreibt Völlger nicht, weil es außerhalb des Waldes niemand lesen könnte. Dafür zwingt der 63-Jährige in seinem Band „so viel Zeit hat niemand“mit konsequent­er Kleinschre­ibung zum Überlegen. Der Augsburger pendelt nach München und Dachau und macht sich dabei Notizen, zum Beispiel über Tierbeobac­htungen. Über eine Katze, die auf den Boden starrt, fand er beispielsw­eise heraus: „ … ich dachte immer/sie warten so auf mäuse/jetzt weiß ich/sie beruhigt die erde.“

Völlger schreibt auch humorvoll über eine Lachsschei­be, die über den Gartenzaun fliegt oder die Erleichter­ung darüber, dass der beste Platz am Friedhof noch zu haben ist. Nun wurde lauthals gelacht, nachdem die Lyrik-Präsentati­on mit konzentrie­rtem Ernst begonnen hatte. Man spürte: Die drei Autoren schätzen einander. Siegfried Völlger vermutet, dass dies auch daran liegt, dass sie so unterschie­dlich dichten. In der überschaub­aren Augsburger Lyrikszene kennen sich die drei schon länger. Völlger und Sessner ist dann erst später aufgefalle­n, dass sie in Sichtweite voneinande­r entfernt wohnen.

Einig war sich das Trio, als Moderator Kurt Idrizovic nach den Wünschen zu Brechts Geburtstag fragte. Dem bekannten Jubilar wünschen die Lyriker viele Leser, für sich selbst natürlich ebenso und dazu viele Einfälle. »

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Foto: Andreas Schmidt Sie schreiben in Augsburg ganz unterschie­dliche Lyrik (von links): Knut Schaflinge­r, Max Sessner und Siegfried Völlger.

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