Angeklagte und Opfer verloben sich im Knast
Ein Mann wird durch einen Messerstich in der Lunge getroffen und lebensgefährlich verletzt. Seine Partnerin soll die Täterin sein. Doch in der Haft verlobt sie sich mit dem Opfer
Ergibt das Sinn: eine Verlobung im Knast? Einfach so. Ohne funkelnde Ringe. Ohne Prosecco, ohne Rosen. Ohne Gäste. Ohne Büfett. Einfach so. Ohne dass Er auf die Knie fällt und um ein Ja-Wort bittet. Das kann durchaus Sinn machen. Die Verlobung, das ernsthafte Eheversprechen, ist heutzutage zwar ein wenig aus der Mode gekommen. Das Verlöbnis, so nennen es Juristen, ist ein im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelter Rechtsvertrag. Auch in einem Strafprozess kann ein Verlöbnis unter Umständen über Gefängnis oder Freispruch entscheiden. Verlobte dürfen nämlich wie Eheleute die Aussage verweigern. Ein Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Roland Fink hatte über einen kuriosen Fall zu urteilen.
Das ist die Vorgeschichte: Am Nachmittag des 24. Juli 2017 rief eine aufgeregte Frauenstimme über die Notrufnummer 112 die Integrierte Leitstelle der Feuerwehr an: „Bitte schnell einen Notarzt, mein Mann ist gestolpert und in ein Messer gefallen. Es ist viel Blut, er bekommt keine Luft mehr“. In der Wohnung im Hochfeld fanden Notarzt und Polizei den aus Oberarm und Achselhöhle stark blutenden 29-jährigen Mann, ein Küchenmesser mit einer 15 Zentimeter langen Klinge, die abgewischt war, und ein blutverschmiertes Handtuch. Die Frau, 40, die den Notruf abgesetzt hatte, sagte der Polizei, ihr Mann habe im Kinderzimmer ein Regal aufgestellt, sei gestolpert und in das im Werkzeugkasten aufrecht stehende Messer gefallen.
Das Messer war durch den Oberarm und die Achselhöhle in den linken Lungenflügel gedrungen, hatte Bizepssehne durchtrennt und eine schwere, lebensgefährliche Blutung hervorgerufen. Der Mann lag zwölf Tage im Klinikum. Dort war er auch von der Polizei vernommen worden. Er schilderte den „Unfall“unisono wie seine Lebensgefährtin: Er habe das Messer als Schraubendreher beim Regalaufstellen be- Dann sei er unglücklich gestolpert und ins Messer gestürzt. Eine Version, die die Polizei zwar nicht so recht glauben wollte. Da es aber keine Zeugen gab, wurde der ungewöhnliche Messerstich in die Lunge zunächst als Unfall zu den Akten gelegt.
Zehn Monate später, am 11. Mai 2018, dann die Kehrtwende: Der Mann erschien bei der Polizei und gab an, er wolle jetzt die Wahrheit sagen, er habe damals gelogen. Die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin sei beendet. Diese habe ihm damals im Streit das Messer in Oberarm und Brustkorb gerammt. Die Staatsanwaltschaft klagte die Frau aufgrund dieser Aussage der gefährlichen Körperverletzung an, ein Delikt, das mit einer mehrjährigen Haftstrafe geahndet werden kann.
Die Angeklagte (Verteidigerin: Cornelia McCready), die seit Oktonutzt. Symbolfoto: Marcus Merk ber in der Haftanstalt Aichach eine Freiheitsstrafe in einer anderen Sache absitzt, behauptete nun im Prozess, sie sei inzwischen mit ihrem Lebensgefährten, also dem Opfer, verlobt. Richter Fink, nicht zum ersten Mal mit der Verteidigungsstrategie „Verlobung“konfrontiert, wollte es nun genau wissen. Wo, wann und unter welchen Umständen habe das Verlöbnis stattgefunden? „Im November im Gefängnis“, antwortete die Frau. Im Besucherraum, durch eine Scheibe getrennt, über Lautsprecher habe man beschlossen zu heiraten. Dort habe sie auch eine Vollmacht für ihren Verlobten ausgestellt, mit der dieser das Aufgebot bestellen und die notwendigen Papiere besorgen könne. Warum Letzteres noch nicht geschehen sei, wollt der Richter wissen. „Wir haben momentan kein Geld für die Urkunden“, begründete die Angeklagte. Ein Datum auf der Vollmacht irritierte das Gericht. Das Blankoformular hatte die Gefangene erst am 14. Januar von der Haftanstalt bekommen. Als Unterschriftsdatum war aber der 4. Dezember 2018 notiert. „Das war halt ungefähr das Datum, wo wir uns verlobt haben“, versuchte die Frau, die Nachdatierung zu erklären.
Das Opfer des „Unfalls“im Juli 2017 bestätigte, wie erwartet, im Zeugenstand die Verlobung. „Wir haben uns wieder versöhnt, alle Probleme beseitigt. Wir wollen einen Neustart wagen und heiraten, wenn sie aus der Haft entlassen wird“, beteuerte der 29-Jährige. Weil verlobt, mache er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Nach 75 Frageminuten rund um das Verlöbnis blieb Staatsanwalt Martin Neumann nichts anderes übrig, als Freispruch zu beantragen. „Die Story ist zwar unglaubhaft, die Verlobung aber nicht zu widerlegen. Die belastende Aussage des Zeugen vor der Polizei, die Grundlage für die Anklage war, darf deshalb nicht verwertet werden“. Die Angeklagte sei freizusprechen. Dem folgte das Gericht. Richter Fink: „Ohne die Aussage des Zeugen, die aber nicht verwertet werden darf, ist kein Tatnachweis zu führen“. Dem Gesetzgeber sei es eben wichtiger, die Verlobten zu schützen, als die Wahrheit zu finden. es zu küssen. Die 14-Jährige erzählte den Vorfall ihrem Vater, der die Polizei einschaltete. Ermittlungen der Kripo brachten schließlich eine ganze Reihe von sexuellen Verfehlungen des 75-Jährigen ans Tageslicht, die teils sogar bereits verjährt waren.
Im Februar 2018 wurde der Mann in Untersuchungshaft genommen. Erst als ihm der Haftbefehl vor der Jugendkammer des Landgerichts eröffnet wurde, legte er ein Geständnis ab. Deshalb wurde der Fall zu einem Jugendschutzgericht ans Amtsgericht verwiesen.
Aus der inzwischen einjährigen Untersuchungshaft vorgeführt, blieb der Angeklagte ziemlich wortkarg, ließ über seinen Verteidiger Ralf Schönauer erklären, dass die Vorwürfe der Anklage zutreffend seien. Nur an den Vorfall am Heiligen Abend könne er sich alkoholbedingt nicht mehr erinnern. Vor allem in seinem Schrebergarten hatte sich Opa an seine Stief-Enkelinnen und den Buben herangemacht, meinst beim Baden im Planschbecken. Auch bei einem Urlaub am Staffelsee verging er sich bei der Fahrt in einem Elektroboot an einem
Nach einer Weihnachtsfeier offenbarte sich ein Kind
Mädchen. Das verstand Richter Günther Baumann nicht.
Denn bereits 2012 war der Mann wegen sexuellem Missbrauch von Kindern vom Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Er hatte sich damals ebenfalls beim Bootsfahren mitten auf dem Staffelsee an drei Buben herangemacht. Auf die Frage nach dem Warum zuckte der Angeklagte nur mit den Schultern.
Eine psychiatrische Gutachterin hatte dem 75-Jährigen eine Alkholabhängigkeit und Pädophilie attestiert und ein hohes Rückfallrisiko prognostiziert. „Ich bemühe mich, vom Alkohol wegzukommen“, beteuerte der Angeklagte, worauf ihm Richter Baumann entgegnete: „Es ist nicht nur der Alkohol“.
Während Staatsanwältin Julia Scholz eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren forderte, hielt Anwalt Schönauer eine zweijährige Bewährungsstrafe für ausreichend. Das Jugendschöffengericht sanktionierte den sexuellen Missbrauch von Kindern in sieben Fällen sowie einen Fall von sexueller Belästigung mit einer Haftstrafe von zwei Jahren und elf Monaten. „Es war nicht der gute Opi, sondern der böse, der massiv das Vertrauen der Enkelkinder ausgenutzt hat“, begründete Richter Baumann die Fortsetzung des Gefängnisaufenthalts.