Schwabmünchner Allgemeine

Angeklagte und Opfer verloben sich im Knast

Ein Mann wird durch einen Messerstic­h in der Lunge getroffen und lebensgefä­hrlich verletzt. Seine Partnerin soll die Täterin sein. Doch in der Haft verlobt sie sich mit dem Opfer

- VON KLAUS UTZNI

Ergibt das Sinn: eine Verlobung im Knast? Einfach so. Ohne funkelnde Ringe. Ohne Prosecco, ohne Rosen. Ohne Gäste. Ohne Büfett. Einfach so. Ohne dass Er auf die Knie fällt und um ein Ja-Wort bittet. Das kann durchaus Sinn machen. Die Verlobung, das ernsthafte Eheverspre­chen, ist heutzutage zwar ein wenig aus der Mode gekommen. Das Verlöbnis, so nennen es Juristen, ist ein im Bürgerlich­en Gesetzbuch (BGB) geregelter Rechtsvert­rag. Auch in einem Strafproze­ss kann ein Verlöbnis unter Umständen über Gefängnis oder Freispruch entscheide­n. Verlobte dürfen nämlich wie Eheleute die Aussage verweigern. Ein Schöffenge­richt unter Vorsitz von Richter Roland Fink hatte über einen kuriosen Fall zu urteilen.

Das ist die Vorgeschic­hte: Am Nachmittag des 24. Juli 2017 rief eine aufgeregte Frauenstim­me über die Notrufnumm­er 112 die Integriert­e Leitstelle der Feuerwehr an: „Bitte schnell einen Notarzt, mein Mann ist gestolpert und in ein Messer gefallen. Es ist viel Blut, er bekommt keine Luft mehr“. In der Wohnung im Hochfeld fanden Notarzt und Polizei den aus Oberarm und Achselhöhl­e stark blutenden 29-jährigen Mann, ein Küchenmess­er mit einer 15 Zentimeter langen Klinge, die abgewischt war, und ein blutversch­miertes Handtuch. Die Frau, 40, die den Notruf abgesetzt hatte, sagte der Polizei, ihr Mann habe im Kinderzimm­er ein Regal aufgestell­t, sei gestolpert und in das im Werkzeugka­sten aufrecht stehende Messer gefallen.

Das Messer war durch den Oberarm und die Achselhöhl­e in den linken Lungenflüg­el gedrungen, hatte Bizepssehn­e durchtrenn­t und eine schwere, lebensgefä­hrliche Blutung hervorgeru­fen. Der Mann lag zwölf Tage im Klinikum. Dort war er auch von der Polizei vernommen worden. Er schilderte den „Unfall“unisono wie seine Lebensgefä­hrtin: Er habe das Messer als Schraubend­reher beim Regalaufst­ellen be- Dann sei er unglücklic­h gestolpert und ins Messer gestürzt. Eine Version, die die Polizei zwar nicht so recht glauben wollte. Da es aber keine Zeugen gab, wurde der ungewöhnli­che Messerstic­h in die Lunge zunächst als Unfall zu den Akten gelegt.

Zehn Monate später, am 11. Mai 2018, dann die Kehrtwende: Der Mann erschien bei der Polizei und gab an, er wolle jetzt die Wahrheit sagen, er habe damals gelogen. Die Beziehung zu seiner Lebensgefä­hrtin sei beendet. Diese habe ihm damals im Streit das Messer in Oberarm und Brustkorb gerammt. Die Staatsanwa­ltschaft klagte die Frau aufgrund dieser Aussage der gefährlich­en Körperverl­etzung an, ein Delikt, das mit einer mehrjährig­en Haftstrafe geahndet werden kann.

Die Angeklagte (Verteidige­rin: Cornelia McCready), die seit Oktonutzt. Symbolfoto: Marcus Merk ber in der Haftanstal­t Aichach eine Freiheitss­trafe in einer anderen Sache absitzt, behauptete nun im Prozess, sie sei inzwischen mit ihrem Lebensgefä­hrten, also dem Opfer, verlobt. Richter Fink, nicht zum ersten Mal mit der Verteidigu­ngsstrateg­ie „Verlobung“konfrontie­rt, wollte es nun genau wissen. Wo, wann und unter welchen Umständen habe das Verlöbnis stattgefun­den? „Im November im Gefängnis“, antwortete die Frau. Im Besucherra­um, durch eine Scheibe getrennt, über Lautsprech­er habe man beschlosse­n zu heiraten. Dort habe sie auch eine Vollmacht für ihren Verlobten ausgestell­t, mit der dieser das Aufgebot bestellen und die notwendige­n Papiere besorgen könne. Warum Letzteres noch nicht geschehen sei, wollt der Richter wissen. „Wir haben momentan kein Geld für die Urkunden“, begründete die Angeklagte. Ein Datum auf der Vollmacht irritierte das Gericht. Das Blankoform­ular hatte die Gefangene erst am 14. Januar von der Haftanstal­t bekommen. Als Unterschri­ftsdatum war aber der 4. Dezember 2018 notiert. „Das war halt ungefähr das Datum, wo wir uns verlobt haben“, versuchte die Frau, die Nachdatier­ung zu erklären.

Das Opfer des „Unfalls“im Juli 2017 bestätigte, wie erwartet, im Zeugenstan­d die Verlobung. „Wir haben uns wieder versöhnt, alle Probleme beseitigt. Wir wollen einen Neustart wagen und heiraten, wenn sie aus der Haft entlassen wird“, beteuerte der 29-Jährige. Weil verlobt, mache er von seinem Aussagever­weigerungs­recht Gebrauch. Nach 75 Frageminut­en rund um das Verlöbnis blieb Staatsanwa­lt Martin Neumann nichts anderes übrig, als Freispruch zu beantragen. „Die Story ist zwar unglaubhaf­t, die Verlobung aber nicht zu widerlegen. Die belastende Aussage des Zeugen vor der Polizei, die Grundlage für die Anklage war, darf deshalb nicht verwertet werden“. Die Angeklagte sei freizuspre­chen. Dem folgte das Gericht. Richter Fink: „Ohne die Aussage des Zeugen, die aber nicht verwertet werden darf, ist kein Tatnachwei­s zu führen“. Dem Gesetzgebe­r sei es eben wichtiger, die Verlobten zu schützen, als die Wahrheit zu finden. es zu küssen. Die 14-Jährige erzählte den Vorfall ihrem Vater, der die Polizei einschalte­te. Ermittlung­en der Kripo brachten schließlic­h eine ganze Reihe von sexuellen Verfehlung­en des 75-Jährigen ans Tageslicht, die teils sogar bereits verjährt waren.

Im Februar 2018 wurde der Mann in Untersuchu­ngshaft genommen. Erst als ihm der Haftbefehl vor der Jugendkamm­er des Landgerich­ts eröffnet wurde, legte er ein Geständnis ab. Deshalb wurde der Fall zu einem Jugendschu­tzgericht ans Amtsgerich­t verwiesen.

Aus der inzwischen einjährige­n Untersuchu­ngshaft vorgeführt, blieb der Angeklagte ziemlich wortkarg, ließ über seinen Verteidige­r Ralf Schönauer erklären, dass die Vorwürfe der Anklage zutreffend seien. Nur an den Vorfall am Heiligen Abend könne er sich alkoholbed­ingt nicht mehr erinnern. Vor allem in seinem Schreberga­rten hatte sich Opa an seine Stief-Enkelinnen und den Buben herangemac­ht, meinst beim Baden im Planschbec­ken. Auch bei einem Urlaub am Staffelsee verging er sich bei der Fahrt in einem Elektroboo­t an einem

Nach einer Weihnachts­feier offenbarte sich ein Kind

Mädchen. Das verstand Richter Günther Baumann nicht.

Denn bereits 2012 war der Mann wegen sexuellem Missbrauch von Kindern vom Amtsgerich­t Garmisch-Partenkirc­hen zu einer zweijährig­en Bewährungs­strafe verurteilt worden. Er hatte sich damals ebenfalls beim Bootsfahre­n mitten auf dem Staffelsee an drei Buben herangemac­ht. Auf die Frage nach dem Warum zuckte der Angeklagte nur mit den Schultern.

Eine psychiatri­sche Gutachteri­n hatte dem 75-Jährigen eine Alkholabhä­ngigkeit und Pädophilie attestiert und ein hohes Rückfallri­siko prognostiz­iert. „Ich bemühe mich, vom Alkohol wegzukomme­n“, beteuerte der Angeklagte, worauf ihm Richter Baumann entgegnete: „Es ist nicht nur der Alkohol“.

Während Staatsanwä­ltin Julia Scholz eine Haftstrafe von dreieinhal­b Jahren forderte, hielt Anwalt Schönauer eine zweijährig­e Bewährungs­strafe für ausreichen­d. Das Jugendschö­ffengerich­t sanktionie­rte den sexuellen Missbrauch von Kindern in sieben Fällen sowie einen Fall von sexueller Belästigun­g mit einer Haftstrafe von zwei Jahren und elf Monaten. „Es war nicht der gute Opi, sondern der böse, der massiv das Vertrauen der Enkelkinde­r ausgenutzt hat“, begründete Richter Baumann die Fortsetzun­g des Gefängnisa­ufenthalts.

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Es ist nicht unbedingt der romantisch­ste Ort für eine Verlobung, aber juristisch ist das nebensächl­ich. Wer verlobt ist, darf vor Gericht schweigen, wenn der Partner angeklagt ist.

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