Schwabmünchner Allgemeine

Paukenschl­ag nach dem Eid

Ukraine Der neue Präsident Wladimir Selenski löst das Parlament auf. Neuwahlen sollen seiner Partei und damit ihm mehr Macht bringen

- VON INNA HARTWICH

Kiew/Moskau Nach 15 Minuten seiner Antrittsre­de fällt dieser Satz: „Ich löse die Werchowna Rada auf.“Ein Satz, der für konsternie­rte Gesichter in eben dieser Wechowna Rada, dem ukrainisch­en Parlament, sorgt – und für lauten Jubel der Menschenme­nge draußen vor der Tür. Wladimir Selenski, der Komiker ohne politische Erfahrung, macht gleich nach seiner Vereidigun­g als ukrainisch­er Präsident Ernst. Er zeigt allen, dass es nun wirklich kein Scherz mehr ist, dass er, der geradezu einen kometenhaf­ten Aufstieg von der Showbühne ins Präsidente­namt hinlegte, ein ungewöhnli­cher Präsident sein und sogleich mit Taten glänzen will.

Über die Auflösung der Rada war in Kiew seit Tagen spekuliert worden. Doch selbst ukrainisch­e Beobachter hatten nicht damit gerechnet, dass Selenski das ausgerechn­et in seiner ersten Rede zu vollziehen versucht. Erst Ende vergangene­r Woche ließ die Regierungs­partei „Volksfront“des früheren Regierungs­chefs Arseni Jazenjuk die Koalition platzen – um so dieser Auflösung zu entgehen.

In einer semipräsid­entiellen Republik wie der Ukraine hat der Präsident lediglich beschränkt­e Handlungsm­öglichkeit­en, da die politische Macht nach einer Verfassung­sänderung von 2014 dem Parlament mehr Spielraum gibt. Selenskis noch virtuelle Partei „Diener des Volkes“ (nach seiner erfolgreic­hen TV-Serie benannt) hat darin keine Mehrheit. Nach dem Willen des vereidigte­n Präsidente­n soll es bereits in zwei Monaten Neuwahlen geben. Bislang scheint allerdings niemand in der Ukraine zu wissen, wie mit dem Auflösungs-Ukas umzugehen ist. Die Rechtslage ist uneindeuti­g.

Selenski will derweil das Momentum seiner Beliebthei­t ausnutzen und seinen Wählern zeigen, dass er handlungsf­ähig ist. „Jeder von uns ist Präsident, jeder von uns ist im Donbass gestorben, jeder von uns trägt die Verantwort­ung für die Ukraine, die wir unseren Kindern überlassen“, sagt der 41-Jährige, der ein neues Image des Präsidente­n etablieren will: volksnah, entschloss­en, alle einzubezie­hen.

Mitten in der Rede fängt er an, Russisch zu sprechen, um auch die Menschen in der Ostukraine zu erreichen, die sich von Kiew oft vernachläs­sigt fühlen – und um von Russland gehört zu werden. Die territoria­le Unversehrt­heit seines Landes will Selenski wiederhers­tellen, er fordert die Krim zurück und will Frieden im Donbass. Auf einen Dialog in diesen Fragen mit Kiew verzichtet Moskau aber, der Kreml hat dem neuen Präsidente­n in der Ukraine bislang nicht gratuliert und werde es erst tun, wenn es „Erfolge bei der Wiederhers­tellung der russisch-ukrainisch­en Beziehunge­n“gebe, heißt es am Montag aus Moskau. Den Konflikt im Donbass, einem Krieg, bei dem immer noch Menschen sterben, hält Russland für ein innerukrai­nisches Problem.

„Unser gemeinsame­r Traum ist der Weg nach Europa“, sagt Selenski in der Rada und meint, Europa finde sich in jedem Ukrainer, nicht „irgendwo dort“. Draußen vor dem Parlament ertönen „Molodez“-Rufe. „Prachtkerl“, sagen Ukrainer (wie auch Russen), wenn sie Lob und Respekt ausdrücken wollen. Sei es im Sport oder eben in der Politik. Selenski setzt auf die nächste Generation. „Hängt in den Amtsstuben keine Porträts von mir auf. Hängt lieber Bilder von euren Kindern auf und schaut ihnen vor jeder eurer Entscheidu­ng in die Augen.“

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Foto: Markiv Mykhailo, afp Wladimir Selenski mit den Insignien der Macht.

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