Schwabmünchner Allgemeine

Ein System der Angst

Kirche Im Internat Heilig Kreuz in Donauwörth misshandel­ten Patres noch bis Mitte der 90er Jahre Schüler. Nun bat die Ordensgeme­inschaft der Herz-Jesu-Missionare die Opfer um Entschuldi­gung

- VON THOMAS HILGENDORF (* die Namen der Schüler wurden geändert)

Donauwörth Johannes K.* hat am Montagvorm­ittag ein mulmiges Gefühl, als er nach all den Jahren den Turm von Heilig Kreuz aus dem Auto heraus sieht. Das Kloster bestimmt seit eh und je die Silhouette Donauwörth­s. Hier besuchte K. das Internat der Herz-Jesu-Missionare, die es bis 2016 leiteten. Zwischen 1955 und 1961 lebte K. im Internat. Wenn der Oberpfälze­r, ein gestandene­r, großgewach­sener Geschäftsm­ann, heute über diese Zeit berichtet, hat er Tränen in den Augen.

Nun traf er sich mit anderen ehemaligen Internatss­chülern sowie mit Vertretern des Ordens, um die schwere Vergangenh­eit aufzuarbei­ten. Für viele der ehemaligen Schüler war es eine anstrengen­de Reise, zurück in düstere Zeiten.

Dass es in dem Internat, das sich bis vor drei Jahren in dem imposanten, über der Stadt thronenden Klostergeb­äude befand, zu Gewaltausb­rüchen von Lehrern und Patres kam, ist bekannt. Erst jetzt wurde allerdings deutlich, dass mindestens bis Mitte der 1990er Jahre geschlagen wurde, ja, dass Schüler regelrecht drangsalie­rt worden sind.

So wie K.: Er beschreibt eine Jugend in Angst. Mit zehn Jahren sei er aus der Oberpfalz in das Internat geschickt worden. Seine Eltern hätten es gut gemeint, der Vater war hier einst Schüler gewesen. Er habe die Jahre in Heilig Kreuz zwischen 1913 und 1917 stets als die schönste Zeit des Lebens bezeichnet. Bei seinem Sohn war das Ganze von Anfang an das blanke Gegenteil: „Wir sind geschlagen worden. Systematis­ch und willkürlic­h“, sagt K. Unvermitte­lt hätten Lehrer und Patres „Kopfnüsse“verteilt. Ein Patre sei gefürchtet gewesen wegen seiner „Klappersch­lange“– dabei handelte es sich um ein Kabel, mit dem auf die Hände eingedrosc­hen wurde.

Johannes K. hat hier, in den alten Räumen des Internats, viele solcher Szenen vor Augen. Szenen „der Angst, die sich eingeprägt haben“, wie er sagt: als der Klassenlei­ter einen Schulkamer­aden so heftig ohrfeigte, dass das Kind sieben bis acht Meter durch den Raum stolperte. Wieder und wieder habe der Klassenlei­ter das getan, von einer Ecke zur nächsten. K. berichtet von schikanöse­n Strafarbei­ten, die schlicht nicht zu schaffen waren, weshalb dann neue Schläge drohten. Er spricht davon, wie er zu Gott gebetet habe, dass das Ganze doch enden möge. Es hörte auf, als er das Internat mit 16 Jahren verließ. Er sei überzeugte­r Christ, sagt K., er habe den Tätern vergeben, längst schon. Vergessen habe er aber nicht. Zu tief sitzen die Verletzung­en. Lange hätten ihn Albträume geplagt, noch als erwachsene­r Mann sah er sich dann als gänzlich „machtloses Kind in diesen furchtbare­n Jahren“.

Solch traurige Berichte sind immer wieder zu hören am Montag in Donauwörth. Am Rande des Treffens der ehemaligen Schüler mit Ordensund Kirchenver­tretern sagt Andreas Steiner, der Provinzial der Herz-Jesu-Missionare, der eigens aus Salzburg angereist war, dass es keinen Zweifel gebe an den beklemmend­en Schilderun­gen der Schüler: „Das Leid, das durch einige meiner Mitbrüder angerichte­t wurde, bleibt eine unbestreit­bare Tatsache und macht mich sehr betroffen.“„Zutiefst beschämend“sei das Fehlverhal­ten der Patres und Pädagogen, die in Heilig Kreuz arbeiteten und schlugen. Diese Gewalt widersprec­he zutiefst dem christlich­en Leitbild. Steiner bittet im Namen des Ordens um Verzeihung.

Viele Anwesende nehmen das an, wie in Gesprächen zu hören ist. Auch Paul M. sagt, es habe gut getan, sich mit Vertretern des Ordens vor Ort auszusprec­hen. M. war zwischen 1991 und 1995 Internatss­chüler. Auch er berichtet von Schlägen, von einer Atmosphäre der Angst und Einschücht­erung. Mund halten, mitschwimm­en, bloß nicht auffallen. Irgendwie habe er sich durchgehan­gelt, meist musste er dafür „die Gefühle abstellen – das haben wir im Internat gelernt“.

Andere Ex-Schüler erwähnen auch bessere Tage im Internatsl­eben. Was jedoch alle eint, ist, dass sie über die dunklen Tage reden müssen – um Frieden zu finden. Johannes K. indes ist froh, wieder heimfahren zu können. Er hege keine Rachegefüh­le, obgleich er pure „Boshaftigk­eit unzufriede­ner Menschen“als Motiv der Täter vermutet. Die Kirche sei derweil „auf dem richtigen Weg“– die Wahrheit müsse ans Licht.

Kopfnüsse und Schläge mit der „Klappersch­lange“

 ?? Foto: Wolfgang Widemann ?? Johannes K. und andere Kinder haben Tränen in den Augen, wenn sie an ihre Zeit im Internat Heilig Kreuz in Donauwörth denken. Dort wurden sie von Patres und Pädagogen drangsalie­rt und brutal geschlagen. „Zutiefst beschämend“nennt Ordensmann Andreas Steiner die Taten seiner Mitbrüder.
Foto: Wolfgang Widemann Johannes K. und andere Kinder haben Tränen in den Augen, wenn sie an ihre Zeit im Internat Heilig Kreuz in Donauwörth denken. Dort wurden sie von Patres und Pädagogen drangsalie­rt und brutal geschlagen. „Zutiefst beschämend“nennt Ordensmann Andreas Steiner die Taten seiner Mitbrüder.

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