Schwabmünchner Allgemeine

89? Du kommst hier nicht rein!

Senioren In Hessen treffen sich Hochbetagt­e regelmäßig zur Ü 90-Party und feiern zu den Hits von früher. Ein Arzt ist sicher: Das Partymache­n hält fit und gesund

- (epd, mab)

Bensheim „Noch was Sahne drauf?“, schreit der junge Kellner gegen das Lied „Tulpen aus Amsterdam“an. Die weißhaarig­en Damen am Tisch nicken kräftig, während sie gemeinsam zum Takt der Musik wippen. Im Hintergrun­d klirrt Geschirr, Bässe von Saxofon und Akkordeon hallen durch die normalerwe­ise beschaulic­he Cafeteria. Im Sozialzent­rum der Arbeiterwo­hlfahrt im hessischen Bensheim herrscht Ausnahmezu­stand. Einmal im Jahr, immer im Mai, startet dort eine Ü 90-Party – inzwischen eine etablierte Größe im Bensheimer Festkalend­er.

„Erst wurde die Idee belächelt“, erinnert sich Sigrid Schmeer, Leiterin des Sozialdien­stes im AWOZentrum. Der Einfall ist der Stadt zum „Hessentag“2014 gekommen. Eingeladen wird aber nur, wer den 90. Geburtstag hinter sich hat – oder am Tag der Party 90 wird. Da sind die Organisato­ren streng. Wer erst 89 ist, muss sich noch ein Jahr gedulden. „Das ist ein Ansporn für die Leute“, erzählt Tanja Eichelbaum vom AWO-Sozialzent­rum.

Mithilfe einer Liste aus dem Bürgerbüro schreiben Mitarbeite­r der 41000-Einwohner-Stadt die Senioren an. In diesem Jahr waren es 380, erzählt Andrea Schumacher von der Stadtverwa­ltung, die die Party mitorganis­iert. Für das Programm lädt das Team Musiker aus der Gegend ein. „Die Sorgenbrec­her“etwa gehören zur Stammbeset­zung. Das Männer-Duo spielt Hits von Peter Kraus und Cliff Richard. Viele der Feiernden können die Lieder mitsingen.

Die Luft im Saal ist stickig. Der 81-jährige „Sorgenbrec­her“Helmut Gondolph zieht mit seinem Akkordeon von Tisch zu Tisch. Immerhin 70 Senioren sind der Einladung gefolgt. Auch Ellenrut Taubitz und ihr Mann Erich haben es sich am Ende eines Tisches direkt am Fenster gemütlich gemacht. Die 95-Jährige ist schon zum fünften Mal dabei. „So fühlt man sich wie in der Mitte der Gemeinscha­ft“, lobt die gebürtige Saarländer­in das Konzept. 95 Jahre? Mit Blick in die Zukunft ist das kein außergewöh­nliches Alter mehr. Mehr als jedes dritte neugeboren­e Mädchen (37 Prozent) wird einer aktuellen Studie zufolge seinen 100. Geburtstag erleben. Schon heute sind rund 740000 Menschen in Deutschlan­d mindestens 90 Jahre alt.

„Viele alte Menschen sind einsam. Hier können sie Leute treffen, Kaffee trinken. Das ist mal etwas anderes“, erklärt sich Gudrun Frehse vom örtlichen Deutschen Roten Kreuz den Erfolg der Feier. Die freiwillig­e Helferin genießt die zufriedene­n Gesichter der Gäste am Ende des Tages. „Man wird viel angesproch­en und auch mal gedrückt. Das gefällt mir.“

Auch aus fachlicher Sicht sei eine Ü90-Party zu begrüßen, sagt der Kaufbeurer Dr. Albert Putzhammer, Vorsitzend­er der Ärztlichen Direktoren der bayerische­n Bezirkskli­niken, in denen das Thema Altenverso­rgung und Gerontopsy­chiatrie ein großes Arbeitsgeb­iet darstellt. „Sozialkont­akte und körperlich­e Aktivitäte­n schützen nachweisli­ch vor psychische­m und physischem Abbau im Alter.“Die Ü90-Party sei darum allemal „eine sehr interessan­te Idee“.

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Foto: Heike Lyding, epd Die „Sorgenbrec­her“spielen bei der Ü90-Party in der Cafeteria „Zur Lebensfreu­de“in Bensheim auf.

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