Schwabmünchner Allgemeine

Große Klappe, große Taten

Nachruf Manfred Burgsmülle­r starb überrasche­nd im Alter von nur 69 Jahren. Zum Tod eines der frechsten Torjäger der Fußball-Bundesliga

- VON HARALD PISTORIUS

Essen Das Trikot trug er lässig über dem Hosenbund, aus den Fußballsch­uhen, die er am liebsten hauteng an den kleinen Füßen trug, um ein besseres Ballgefühl zu haben, hing die Lasche weit heraus. Mit kleinen Schritten, den Blick immer auf den Ball gerichtet, huschte er durch den Strafraum. Das lange lockige Blondhaar ließ er wehen, er war keine 1,80 Meter groß und eher schmächtig. Aber er ist der viertbeste Bundesliga-Torschütze aller Zeiten, und dazu war er einer jener Typen, für die man den Fußball und das Ruhrgebiet liebt.

Man muss leider sagen: War. Denn Manni Burgsmülle­r, den nie einer Manfred nannte, ist am Samstag im Alter von 69 Jahren in seiner Heimatstad­t Essen unerwartet gestorben, wie erst am Montagaben­d bekannt wurde. Die Bundesliga verliert ein Original, einen, der das Kicken und Tricksen auf den Straßen des Essener Stadtteils Rellinghau­sen lernte.

So spielte er auch in der Bundesliga. Zwischen seinem Debüt für seinen Heimatvere­in Rot-Weiß Essen am 27. September 1969 und seinem letzten Auftritt – für Werder Bremen am 12. Mai 1990 – lagen fast 21 Jahre. Und 213 Tore in 447 Spielen. Öfter trafen nur die drei großen Torjäger der Liga: Gerd Müller (365), Klaus Fischer (268) und Jupp Heynckes (220).

Doch anders als die drei Liga-Legenden wurde Burgsmülle­r nie Torschütze­nkönig und nie zur Stammkraft in der Nationalma­nnschaft. Das lag auch an seiner Schlagfert­igkeit und seinem Ruhrgebiet­s-Humor – beim DFB nannte man das in den 70er Jahren „loses Mundwerk“. Als ihn der Bundestrai­ner nach einem von drei Länderspie­len mit den Worten „Bleiben Sie schön auf dem Teppich“zur Bescheiden­heit mahnte, antwortete Manni: „Und ich dachte, wir spielen auf Rasen.“

So, wie er redete, spielte er auch: Frech, riskant, unorthodox. An der Hafenstraß­e in Essen hatte er sich von dem Spaßfußbal­ler Willi Lippens einiges abgeschaut; Burgsmülle­r beherrscht­e im Strafraum alle Taschenspi­elertricks, er dachte und handelte schneller als die damals noch robusten und knallharte­n Abwehrreck­en – weil er die Augen nie auf den Ball richten musste. Der gehorchte ihm auf jede Berührung.

Im März 1986 stubste er dem Lauterer Torwart Gerry Ehrmann den Ball aus der Hand und schob ihn ins Tor, noch ehe der Schlussman­n die Hand zum Protest heben konnte. „Tor is’, wenn der Schiri pfeift“, sagte Burgsmülle­r danach in seinem leicht lispelnden Ruhrgebiet­ston. Ehrmann, der aus gutem Grund den Kosenamen „Tarzan“trug, kündigte für das Rückspiel Rache an. Auf dem Betzenberg kam Manni nicht einmal in seine Nähe: Er war zwar frech, aber nicht lebensmüde.

Früh galt er als Trainer-Schreck. In einen der damals verbreitet­en Star-Fragebogen trug er unter der Rubrik „Hobby“ein: „Trainer ärgern“. Das war in seiner Dortmunder Zeit, die seine längste war: Zwischen 1976 und 1983 erzielte er 135 schwarz-gelbe Tore und ist damit bis heute der Bundesliga-Rekordschü­tze des BVB.

Fünf davon gelangen ihm am 6. November 1982 beim 11:1 gegen Arminia Bielefeld. Das ZDF lud ihn spontan ins Sportstudi­o, doch solche Auftritte lagen ihm nicht. „Geht nicht, Omma Frieda wird 83, da muss ich hin“, antwortete er mit treuherzig­em Blick.

Einen Titel gewann er erst, als seine Karriere schon am Ende schien. Nur beim Zweitligis­ten RW Oberhausen war der damals 34-Jährige noch untergekom­men. Obwohl er Torschütze­nkönig der 2. Bundesliga wurde, interessie­rte sich kein Erstligist mehr für ihn – mit einer Ausnahme.

Im Herbst 1985 schaute sich Otto Rehhagel einige RWO-Spiele an; angeblich inkognito, mit Perücke und hochgeschl­agenem Kragen auf den Stehrängen. Der Werder-Trainer musste seinen Essener Landsmann nicht überreden – für 150000 DM Ablöse wechselte der fast 35-Jährige nach Bremen.

„Es gibt keine jungen oder alten Spieler, es gibt nur gute und schlechte“, begründete Rehhagel seine Wahl und wischte Hinweise auf die Aufsässigk­eit Burgsmülle­rs vom Tisch: „Ein Spieler, der mir keine Schwierigk­eiten macht, macht auch dem Gegner keine.“

Gleich beim Debüt in Mönchengla­dbach schlenzte Burgsmülle­r den Ball mit dem Außenrist aus 20 Metern über Torwart Uli Sude ins Netz – ein typischer Burgsmülle­r-Treffer, den er so beschrieb: „Solche Dinger habe ich geliebt: Hopp oder Top“. Mit Werder holte er 1988 endlich seinen ersten Titel; sechs Tore steuerte er zur deutschen Meistersch­aft bei. Im Europapoka­l der Meister half er auf seine Weise mit, gegen Dynamo Ostberlin den 0:3-Rückstand aus dem Hinspiel aufzuholen. Auf dem Weg zum Spielfeld schlug er an die Kabinentür des DDR-Meisters und rief: „Kommt raus, ihr Feiglinge – heute kassiert ihr fünf Stück!“

Genauso kam es. Und das entscheide­nde 4:0 erzielte Burgsmülle­r mit einem raffiniert­en Flugkopfba­ll. So war er eben: große Klappe, große Taten.

 ?? Foto: Witters ?? Im Dress von Werder Bremen holte Manfred Burgsmülle­r seinen einzigen Titel. Er stürmte unter anderem auch für Borussia Dortmund.
Foto: Witters Im Dress von Werder Bremen holte Manfred Burgsmülle­r seinen einzigen Titel. Er stürmte unter anderem auch für Borussia Dortmund.

Newspapers in German

Newspapers from Germany