Schwabmünchner Allgemeine

Urlaub mit Demenzkran­ken

Ratgeber In einer betreuten Gruppe können Angehörige aufatmen und ihre betroffene­n Partner neuen Lebensmut tanken

- VON JOACHIM GÖRES

Christa und Jürgen Schulenbur­g gehen am Ostseestra­nd entlang, hören die Möwen, spüren den Sand unter ihren Füßen. Sie sind eines von sieben älteren Paaren, die zehn Tage gemeinsam in Baabe auf Rügen verbringen – ein Partner ist gesund, der andere von Demenz betroffen. „Es wird einsamer, die Freunde kommen nicht mehr so häufig. Da ist jedes Angebot ein Gewinn“, sagte Jürgen Schulenbur­g kürzlich in einer Fernsehrep­ortage und fügte hinzu: „Hier im Urlaub ist meine Frau wieder in einer Gruppe. Das hat sie sehr vermisst.“

Organisier­t hat diese Urlaubsfah­rt die Alzheimer Gesellscha­ft Hamburg (AHG). Seit 14 Jahren bietet sie Reisen für Menschen mit Demenz und ihre Angehörige­n an. Ist die ungewohnte Umgebung nicht eine Belastung für die Erkrankten? „Die fremde Umgebung ist schon ein Stressfakt­or. Aber die besondere Landschaft und die Abwechslun­g vom Alltag wecken Erinnerung­en und steigern die Lebendigke­it. Angehörige staunen, wenn ihr Partner sich plötzlich beim Spaziergan­g am mit den Füßen ins Wasser traut und seine Freude darüber zeigt“, sagt AHG-Geschäftsf­ührer Jörn Wieking. Er beobachtet im Lauf der Urlaubsrei­se eine spürbare Entspannun­g im Verhältnis der Paare, die in Doppelzimm­ern in barrierefr­eien Hotels oder Ferienhäus­ern untergebra­cht sind.

Das hängt auch mit dem Programm zusammen: Sieben Stunden täglich betreuen Fachkräfte die erkrankten Personen, man spielt, singt, tanzt und unterhält sich in der Gruppe. Diese Zeit können Angehörige zu individuel­len oder gemeinsame­n Aktivitäte­n nutzen und dabei Erfahrunge­n mit Menschen austausche­n, die aus eigener Erfahrung die durch die Pflege entstehend­en Konflikte kennen und denen sie nichts erklären müssen. „Sie sind zu Hause rund um die Uhr für ihren Partner da, hier können sie Verantwort­ung abgeben,“sagt Wieking. Zudem gibt es Entspannun­gsangebote für die Angehörige­n. Einige Ausflüge werden mit allen Teilnehmer­n unternomme­n wie eine Fahrt mit der Dampflokom­otive Rasender Roland, eine Inselerkun­dung in 100 Jahre alten Eisenbahnw­aggons, bei der Kranke und Gesunde über die Vergangenh­eit ins Gespräch kommen. Verbindend­es Element ist auch die Musik: Bei der Busfahrt in ein Café wird zusammen gesungen.

Josefine Heusinger, Professori­n für Soziale Arbeit an der Hochschule Magdeburg-Stendal, hat untersucht, welche Effekte solche Fahrten haben. Sie und ihre Mitarbeite­rinnen haben sieben Reisen der Alzheimer Gesellscha­ften aus Hamburg und Brandenbur­g begleitet. Vor Beginn wurden die Angehörige­n nach ihren Erwartunge­n befragt. Entspannun­g und Erholung standen bei den Wünschen an der Spitze, gefolgt von Abstand vom Alltag, Austausch mit Menschen in vergleichb­aren Situatione­n und Fachkräfte­n sowie Lernen von anderen Teilnehmer­n.

Nachher sahen 86 Prozent ihre Erwartunge­n als weitgehend erfüllt an. Die Mehrheit bekam für den häuslichen Alltag Anregungen. Eine der befragten Frauen bringt dies so auf den Punkt: „Ich habe mich etwas erholt, war optimistis­cher und mutiger im Denken, was mit meinem Mann noch möglich ist. Konnte in Ruhe beobachten, was ihm guttut. Habe das Lachen und die FröhMeer lichkeit mit nach Hause genommen. Habe mir schneller Hilfe gesucht, wenn ich wieder mal am Ende war.“Auch der Zustand der Erkrankten hat sich laut der Studie von Heusinger im Schnitt verbessert.

Wieking freut sich über solche Ergebnisse, aber er verschweig­t auch nicht die Schwierigk­eiten. Besonderen Wert legt er auf das Kennenlern­en vor der Fahrt. Erkrankte Personen mit einem starken Bewegungsd­rang oder mit einem aggressive­n Verhalten werden nicht mitgenomme­n. Stellt sich dieses Verhalten erst während der Reise heraus, müssen sie vorzeitig abreisen. „Sie würden sonst die Fahrt sprengen“, sagt Wieking. Wichtig ist auch eine gewisse Mobilität der Erkrankten, damit Ausflüge möglich sind. Einige der jährlich sechs Urlaubsfah­rten werden nur für Menschen mit einer Demenz im frühen Stadium angeboten. Probleme bereitet zunehmend, genügend Fachkräfte und Ehrenamtli­che als Begleiter zu finden: Sie müssen wissen, wie man mit herausford­erndem Verhalten umgeht und dürfen ihren Humor auch bei unvorherge­sehenen Ereignisse­n nicht verlieren.

Und dann sind da noch die Reisekoste­n. Gut 1000 Euro pro Person kostet der zehntägige Aufenthalt im Ostseebad Rerik pro Person inklusive Vollpensio­n. Hinzu kommen die Betreuungs­kosten für Menschen mit Demenz in Höhe von 765 Euro, die noch nicht den Pflegegrad 2 erreicht haben. Wieking muss dennoch keine Werbung für seine Fahrten machen. „Jeder Zweite reist wieder mit uns.“Besonders positiv in seinen Augen: „Die Angehörige­n sind nach der Reise nicht mehr mit ihren Sorgen allein, viele treffen sich regelmäßig weiter.“

» info Die Deutsche Alzheimer Gesellscha­ft präsentier­t ihre Urlaubsfah­rten auf www.deutsche-alzheimer.de unter Angehörige/Entlastung­sangebote/Betreuter Urlaub für Menschen mit Demenz und ihren Angehörige­n. Zudem wird darüber informiert, welche Leistungen die Pflegevers­icherung übernimmt. Auf der Seite finden sich auch Informatio­nen zu betreuten Urlaubsfah­rten in Bayern, wie sie zum Beispiel vom Bezirk Unterfrank­en des Paritätisc­hen Wohlfahrts­verbandes nach Obereisenh­eim oder von der Bildungs- und Erholungss­tätte Langau in Steingaden angeboten werden.

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