Schwabmünchner Allgemeine

Spaß und Spiel statt Druck und Drill

Freiheitsd­ressur Alex Giona tritt bei Equila mit acht entspannt wirkenden Pferden auf. Wie er die Tiere so weit bringt

- VON STEFANIE SAYLE

München Fabuloso will stänkern. Unfassbar langweilig ist das Training im Moment. Schließlic­h steht er schon minutenlan­g zwischen seinen Kollegen herum und keiner kümmert sich um ihn. Vor allem nicht sein Chef. Fabuloso tritt nervös von einem Bein aufs andere, schlägt ungeduldig mit dem Kopf – und zwickt seinen Nachbarn blitzschne­ll mit den Zähnen in den Hals. Der Kollege quiekt empört auf.

„Fabuloso! Fabuloso!“Alex Gionas Stimme klingt energisch, aber nicht aggressiv, eher wohlwollen­d mahnend. Während er mit einem anderen Pferd in der Mitte der Arena trainiert, hat der Chef genau mitverfolg­t, was die wartenden Wallache an der Bande treiben. Fabuloso hält abrupt inne, wie ein beim Spicken ertappter Schulbub. Kopf nach unten, stillhalte­n, bloß keinen weiteren Rüffel einfangen.

„Sie dürfen keine Angst haben, müssen mich aber als Chef respektier­en“, sagt Alex Giona. Seit 2017 zeigt der 44-jährige Italiener in der Pferdeshow Equila im Münchner Showpalast seine Freiheitsd­ressur mit acht weißen Wallachen. Vom Boden aus dirigiert er die gemischte Herde spanischer und portugiesi­scher Pferde. Spielerisc­h, scheinbar mühelos präsentier­en die anmutigen Tiere Lektionen der hohen Dressurkun­st – allein oder in der Gruppe, ohne Zaumzeug, ohne Sattel und vor allem: ohne Reiter.

Alex Giona ist über das Reiten zur Freiheitsd­ressur gekommen. Jahrelang war er unter anderem als Trickreite­r im Einsatz, zeigte ebenso waghalsige wie akrobatisc­he Kunststück­e auf dem galoppiere­nden Pferd, sprang auf das dahinjagen­de Kraftpaket hinauf und hinab – bis er im Jahr 2000 bei einem solchen Stunt unglücklic­h landete. Die Diagnose: komplizier­ter Beinbruch.

die Pferde wollte und konnte Giona dennoch nicht verzichten. Mit Metallteil­en im Bein saß er nach dem Unfall auf einem Stuhl in der Mitte der Arena und begann mit den Tieren so zu arbeiten. Als er wenigstens wieder laufen durfte, ging er dazu über, sie stehend und gehend zu dirigieren. Sehr zum Amüsement der Menschen in seiner italienisc­hen Nachbarsch­aft: „Die haben mich ausgelacht.“Wieso ein Mann, dessen Familie bei Verona noch heute ein großes Anwesen mit 60 Pferden besitzt, nicht wie ein Gutsherr hoch zu Ross über das Anwesen stolzierte, sondern neben und vor seinen Tieren herrannte, war ihnen unbegreifl­ich.

Doch Alex Giona hatte eine neue Berufung gefunden. Die weitgehend körperlose Kommunikat­ion mit dem Pferd fasziniert ihn. „Ich agiere auf Augenhöhe mit dem Tier“, erklärt er. Vom Sattel aus könne er sich mit dem Pferd nur über Druck und Gewicht verständig­en. Vom Boden aus und unter ständigem Blickkonta­kt veranlasst er die Tiere mit jeder kaum wahrnehmba­ren Bewegung des eigenen Körpers, vorwärts, rückwärts oder zur Seite zu gehen. Ein Tupfer mit der Gerte, die er als seinen verlängert­en Arm bezeichnet, animiert die Schimmel, im Spanischen Schritt die Vorderbein­e gestreckt bis in die Waagrechte zu heben oder in tänzelnden, nach oben ausholende­n Bewegungen in der Passage zu schweben.

Endlich ist Fabuloso dran! Er darf zum Chef in die Mitte kommen, während die Kollegen an der Bande sich weiter langweilen müssen. „Pasa. Pasa“, fordert Giona den unverkennb­ar auf ihn fokussiert­en Wallach auf. Eifrig hebt der Schimmel die Beine, scheint phasenweis­e in der Luft zu stehen.

„Früher war es mir wichtig, dass die Dressurlek­tionen perfekt aussahen, dass die Beine beim Spanischen Schritt möglichst waagrecht in der Luft standen“, erinnert sich Giona. Heute setzt er andere Prioritäte­n. „Ich möchte, dass die Pferde mit mir arbeiten, weil sie es wollen.“Die Tiere sollten sich leicht und spielerisc­h bewegen. Sie sollen Spaß haben.

Was angesichts der Voraussetz­ungen, die die Pferde mitbringen, manchmal gar nicht so leicht ist. Vecoso zum Beispiel, ein eher zierlicher Wallach, der seit zehn Jahren mit Alex Giona lebt und arbeitet. Etwas verschramm­t sieht der Schimmel aus, unübersehb­are Narben prangen auf seiner Brust und um seine Schultern herum – Verletzung­en aus einem früheren Leben. Mit vier Jahren wurde das Tier bereits in seiner portugiesi­schen HeiAuf mat im Stierkampf eingesetzt und offenbar mehrfach verletzt. Als es zu Alex Giona kam, saß das Misstrauen gegen Menschen bereits tief.

Oder Fabuloso, der Unruhestif­ter. Mit 15 ist er der Dienstälte­ste in Gionas Truppe. Er landete dort, weil er als Reittier für die anspruchsv­ollen Lektionen der Hohen Schule zwar geeignet, mit der Zeit aber nicht mehr kooperativ war. In der gleichen Verfassung wie er kamen schon viele Pferde zu Alex Giona: ausgebeute­t, misstrauis­ch, enttäuscht von den Menschen.

Wenn es einem gelinge, sich genau diese Tiere zu Verbündete­n zu machen, seien sie die verlässlic­hsten und treuesten Partner, ist Giona überzeugt. Doch der Weg ist weit. Zwei Jahre braucht es im Schnitt, bis ein Pferd in der Show auftreten kann.

Für Alex Giona ist oberstes Kriterium, dass ihm die Tiere vertrauen – ein Prozess von unabsehbar­er Dauer. „Zuerst gewöhnen wir sie an ihren Namen“, erzählt Alex Gionas Neffe Gianluca, der nicht in der Show, aber hinter den Kulissen viel mit den Tieren arbeitet. „Pacco! Pacco!“habe er ständig gerufen, als dieses Pferd neu zur Gruppe gestoßen sei: beim Füttern, bei der Pflege, bei den ersten Versuchen der Zusammenar­beit. Ebenso unfast gewöhnlich wie auffallend an den Giona-Pferden: Jedes scheint zu wissen, wie es heißt, reagiert explizit auf seinen Namen, kommt zum Chef in die Mitte, wenn es gerufen wird. „Das festigen wir in der Anfangspha­se“, versichert Gianluca.

Dann wird jedes neue Pferd an die Kollegen gewöhnt – und an das künftige Umfeld: wechselnde Unterbring­ung, mitunter grelles Licht, für sensible Pferdeohre­n laute Musik, applaudier­endes, bisweilen johlendes Publikum. „Wir machen das nach und nach“, erklärt Alex Giona. Die Reizschwel­le werde kontinuier­lich erhöht. Sobald die Pferde ihm uneingesch­ränkt vertrauten und sich sicher fühlten, sei das Gefahrenpo­tenzial kalkulierb­ar. Wenn alles funktionie­rt, haben die Pferde nach seinen Worten sogar Spaß an der Show. „Sie kennen die Abläufe genau. Die wissen exakt, wie sich die Anfangsmus­ik anhört, zu der sie in die Halle kommen, und wie die Schlussmus­ik, zu der sie hinausjage­n.“

Basis für eine derart hohe Toleranzsc­hwelle beim Fluchttier Pferd ist nach Alex Gionas Worten nur bedingungs­loses Vertrauen in das Leittier, also ihn. Dass Fabuloso vor 1700 lärmenden Zuschauern im Showpalast genauso entspannt dasteht und auf seinen Einsatz wartet wie im Training unter Ausschluss der Öffentlich­keit, habe seinen Ursprung darin.

Schon als Kind sammelte Alex Giona erste Erfahrunge­n im Umgang mit Huftieren: Er dressierte einen Esel. Seither hat ihn diese Faszinatio­n nicht mehr losgelasse­n. Bleibt da Zeit für andere Interessen? „Ja, die Familie“, beteuert der dreifache Vater, dessen Sohn Diego die Hauptrolle in der Equila-Show spielt, während Tochter Giulia in den Dressurvor­führungen des Programms mitreitet. Daran, dass er die Pferde zur Familie zählt, lässt er keinen Zweifel.

 ?? Fotos: Stefanie Sayle ?? Volle Konzentrat­ion auf den Chef, Alex Giona (mittleres Bild). Fabuloso zeigt Spanischen Schritt ohne Körperkont­akt (links oben). Damit das Fluchttier Pferd sich hinlegt (links unten), braucht es Sicherheit und Vertrauen. Kompliment heißt die Verbeugung (rechts oben), bei der die Kollegen im Hintergrun­d zuschauen. Giona kann sogar die Mimik seiner Schimmel steuern (rechts unten).
Fotos: Stefanie Sayle Volle Konzentrat­ion auf den Chef, Alex Giona (mittleres Bild). Fabuloso zeigt Spanischen Schritt ohne Körperkont­akt (links oben). Damit das Fluchttier Pferd sich hinlegt (links unten), braucht es Sicherheit und Vertrauen. Kompliment heißt die Verbeugung (rechts oben), bei der die Kollegen im Hintergrun­d zuschauen. Giona kann sogar die Mimik seiner Schimmel steuern (rechts unten).
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