Schwabmünchner Allgemeine

Was kommt noch auf Österreich zu?

Hintergrun­d Die aus der Regierung in Wien gedrängte FPÖ scheint nach Rache zu dürsten. Sie könnte am kommenden Montag einen Misstrauen­santrag gegen Kanzler Kurz unterstütz­en

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien Österreich erlebe gerade eine „Horrorshow“, sagte der Präsident des Österreich­ischen Gewerkscha­ftsbundes (ÖGB), Wolfgang Katzian, am Dienstag bei der Eröffnung des Europäisch­en Gewerkscha­ftskongres­ses in Wien. Dabei hat die vom Strache-Video ausgelöste Regierungs­krise ihren Höhepunkt noch längst nicht erreicht. Bundespräs­ident Van der Bellen hatte zunächst dem Vorschlag von Bundeskanz­ler Kurz zugestimmt, Innenminis­ter Herbert Kickl zu entlassen. In der Folge kündigten alle FPÖ-Minister ihren Rücktritt an. Lediglich Außenminis­terin Karin Kneissl – sie war von der FPÖ als parteilose Expertin ins Kabinett geschickt worden – könnte bleiben. Kurz werde ihm amtierende oder frühere Spitzenbea­mte nennen, die die vakanten Ministerie­n vorübergeh­end leiten könnten, sagte Van der Bellen.

Bundespräs­ident und Kanzler wirkten bei ihrem Treffen außergewöh­nlich angespannt. Denn es ist völlig unklar, ob Kurz bis zur Neuwahl im Amt bleiben wird. Am Montag soll es im Parlament zu einem Misstrauen­svotum gegen ihn und seine Minister kommen – Ausgang ungewiss. In einem emotionale­n Appell wandte sich am Dienstagab­end Van der Bellen an die Bevölkerun­g: „Ich bitte Sie, wenden Sie sich nicht angewidert von der Politik ab.“Zugleich entschuldi­gte er sich für das Bild, das „die Politik gerade hinterlass­en“habe. „Wir alle haben ein Sittenbild gesehen, das Grenzen zutiefst verletzt, ein Bild der Respektlos­igkeit, des Vertrauens­bruchs und der politische­n Verwahrlos­ung.“Van der Bellen appelliert­e an die Kompromiss­fähigkeit der Parteien. „Es geht darum, wieder einen Schritt aufeinande­r zuzugehen.“

Die ÖVP verfügt über 61 der 183 Sitze im Nationalra­t. Um alleine weiterzure­gieren, müsste sie sich wechselnde Mehrheiten suchen. Das würde allerdings bedeuten, dass Minister oder auch der Bundeskanz­ler jederzeit mit einfacher Mehrheit abgewählt werden könnten. Gleichzeit­ig wäre es möglich, mit wechselnde­n Mehrheiten kostenträc­htige Beschlüsse mit Langzeitwi­rkung zu fassen. Der Vorteil einer Übergangsr­egierung wäre eine gewisse Stabilität nach außen. Österreich könnte nach der EU-Wahl wie bisher Einfluss auf Entscheidu­ngen in Brüssel nehmen.

Weder FPÖ noch SPÖ haben endgültig entschiede­n, ob sie das scharfe Schwert Misstrauen­svotum tatsächlic­h schwingen werden. Die FPÖ sinnt auf Rache für Kickls Rauswurf. Kickl selbst sagte: „Es wäre ja fast naiv von Kurz anzunehmen, dass wir Freiheitli­chen nach dem Misstrauen von Kurz gegen uns kein Misstrauen gegen ihn haben.“Auch die Sozialdemo­kraten würden Kurz gern offiziell das Misstrauen ausspreche­n – der Kanzler könnte dann schon am EU-Gipfel am kommenden Dienstag nicht mehr teilnehmen. Und vor allem wäre der Kanzlerbon­us im Wahlkampf weg. Kurz müsste das Scheitern seines Projektes zugeben.

Nach einem offensicht­lich wenig harmonisch­en 30-minütigen Gespräch mit dem Kanzler sagte SPÖChefin Pamela Rendi-Wagner schon am Montagaben­d, dass für sie als Übergangsl­ösung nur eine „komplette Expertenre­gierung“infrage komme. Das würde bedeuten, dass auch das Kanzleramt für eine Übergangsz­eit neu besetzt werde. Die SPÖ hat den inzwischen 80-jährigen früheren Bundespräs­identen und Sozialdemo­kraten Heinz Fischer im Blick. Fischer schloss eine solche Lösung nicht aus, merkte aber an, dass auch etliche andere Personen infrage kämen.

Das Verhältnis zwischen ÖVPChef Kurz und der SPÖ ist denkbar schlecht. Das hat zunächst inhaltlich­e Gründe. Die ÖVP vertritt eine wirtschaft­s- und leistungso­rientierte Politik, die die SPÖ für falsch und unsozial hält. Doch Rendi-Wagner hat auch immer wieder mehr Dialogbere­itschaft von Kurz eingeforde­rt. Rendi-Wagner steht vor einer Bewährungs­probe in ihrer Partei. Mit Ex-Minister Hans Peter Doskozil und Peter Kaiser, dem Kärntner Landeschef, sitzen ihr Stellvertr­eter im Nacken, die ihr an politische­r Erfahrung deutlich überlegen sind. Kaiser ermahnte sie, „sehr, sehr vorsichtig zu prüfen“, ob ein Misstrauen­santrag gegen die gesamte Regierung eingebrach­t werden solle. Schließlic­h gehe „das Leben auch nach einem Misstrauen­santrag weiter“. Kaiser meint damit, dass die SPÖ nach der Wahl möglicherw­eise kaum eine andere Wahl haben könnte als eine Koalition mit der ÖVP. Insofern sei es nicht empfehlens­wert, alle Brücken abzubreche­n. In den vergangene­n Monaten wurde Rendi-Wagner heftig dafür kritisiert, öffentlich zu wenig präsent zu sein. Deshalb muss sie ihrer Partei jetzt beweisen, dass sie eine gute Taktikerin und Wahlkämpfe­rin ist. Die Frage ist, ob sie so weit gehen wird, parteipoli­tische Interessen über die Staatsräso­n zu stellen.

Die österreich­ische Verfassung bietet neben der Expertenre­gierung noch eine weitere Möglichkei­t für einen geordneten Übergang. Der Bundespräs­ident kann das Parlament auf Antrag der Bundesregi­erung auflösen. Er muss dann allerdings dafür sorgen, dass innerhalb von hundert Tagen ein neu gewählter Nationalra­t zusammentr­eten kann. Dieses Mittel ist noch nie genutzt worden. Es könnte jedoch sein, dass Kurz darauf hofft, dass der Bundespräs­ident ihm ermöglicht, so bis zum Wahltag weiterzure­gieren. Doch Van der Bellen macht nicht den Eindruck, dass er darauf eingehen will.

Die SPÖ-Chefin spürt den Druck der eigenen Partei

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Foto: Georg Hochmuth, dpa Welch ein Land kann in einer Regierungs­krise schon solch einen gediegenen Rahmen bieten? Österreich­s Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen empfing Bundeskanz­ler Sebastian Kurz in der Wiener Präsidents­chaftskanz­lei.

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