Nationale Egoismen überwinden
Einen Tag nach seinem 90. Geburtstag hat der in Starnberg lebende Philosoph Jürgen Habermas vor tausenden Zuhörern in Frankfurt eine Rede gehalten. Hier – in direkter und indirekter Rede – einige zentrale Zitate daraus. Habermas sprach über das Thema „Noch einmal: Zum Verhältnis von Moralität und Sittlichkeit“.
„Den nationalen – und insbesondere den wirtschaftsnationalen – Egoismus ihrer Staaten könnten die Völker erst überwinden, wenn sie das bornierte Bewusstsein ihrer nationalstaatliche Kulturen durchbrechen würden.“Ein „politisches Gehäuse“müsse Europa dafür allerdings erst noch hervorbringen.
„Die Solidarität stiftende Quelle der demokratischen Praxis versiegt heute schon im jeweils eigenen Land“, kritisierte Habermas. „ «Die politischen Eliten lassen sich bis auf wenige Ausnahmen von einer ideologisch aufgebauschten, gesellschaftlichen Komplexität entwaffnen und haben den Mut zu einer gestaltenden Politik verloren“. Wer „zerbröckelnde Sozialstaatsmodelle“retten und wachsende soziale Ungerechtigkeit bekämpfen wolle, müsse die Vertiefung europäischer Zusammenarbeit vorantreiben.
Habermas mahnte zudem, eine Universität sei „mehr als eine vom Wissenschaftsrat evaluierte Anstalt für Forschung“. Er fügte hinzu: „Solange eine Universität lebt, lebt sie von ihrem Geist.“
Habermas wurde mit stehenden Ovationen verabschiedet. Der Vortrag wurde aus dem größten Hörsaal in fünf weitere Säle übertragen. Die Veranstaltung wurde von einem Feueralarm unterbrochen – wegen des Fehlalarms mussten alle Gäste und Habermas das Gebäude verlassen – nachdem dieser sich zuerst humorvoll zu weigern vorgab: „Ich bin 90 Jahre alt, hab keine Zeit, ich mach jetzt mit meinem Vortrag weiter.“Schließlich fügte er sich mit ebenso viel Humor und sagte, er sei „dankbar für die zusätzliche Publizität“. (kna)