Schwabmünchner Allgemeine

Wo sich einiges aufgestaut hat

Fahrverbot Der Verkehr ist ein ständiger Konflikthe­rd zwischen Bayern und Österreich. Nun herrscht besonders dicke Luft: Tirol hat einige Landstraße­n für Fernreisen­de gesperrt – und das zum Ende der Pfingstfer­ien. Die Geschichte eines ziemlich ungewöhnli­c

- VON ANDREAS FREI UND JULIAN WÜRZER

Lans Der neue Grenzkonfl­ikt zwischen Bayern und Österreich beginnt an diesem Samstagmor­gen mit einem Lächeln. Regina Jenewein spaziert über den Zebrastrei­fen, der ihr Haus mit dem Gasthof der Familie verbindet. Einfach so, ohne warten zu müssen. Ein kleines Wunder.

Normalerwe­ise stehen hier Autos mit und ohne Wohnwagen wie eine Wand zwischen den Straßensei­ten. Und man muss sich vor ungeduldig­en Motorradfa­hrern hüten, die versuchen, sich am Stau vorbeizusc­hlängeln. Es gibt halt nur eine große Straße, die durch die 1000-Einwohner-Gemeinde Lans bei Innsbruck führt. In der Dorfmitte wird sie ganz schmal. Da stehen die Urlauber dann, die von Deutschlan­d nach Italien oder zurückfahr­en. Am Pfingstwoc­henende, erzählen die Bewohner, sei es fast unmöglich gewesen, nur zum Einkaufen zu kommen, so viel war los. Und nun das.

An diesem Samstag also, dem ersten, an dem im österreich­ischen Bundesland Tirol Fahrverbot­e für Fernreisen­de auf einigen Landstraße­n gelten, ist die Durchgangs­straße in Lans leer. „Das ist unheimlich“, sagt Regina Jenewein. Die Landesregi­erung will mit der Maßnahme, die bei den bayerische­n Nachbarn so viel Zorn ausgelöst hat, den Ausweichve­rkehr stoppen und erreichen, dass Autofahrer auch bei einem Stau auf der Autobahn bleiben.

Das gelingt. In Lans ist es so ruhig, es fehlt nur noch der Steppenläu­fer, der wie in einem Westernfil­m über den Asphalt weht. Und das an dem Wochenende, an dem die Pfingstfer­ien enden und viele Urlauber nach Hause fahren.

Dominik Seebaer wohnt in Lans und leitet eine Tankstelle im Nachbarort

Aldrans. Er erinnert sich auch noch an das Pfingstwoc­henende. Als sich die Urlauber an der Tanksäule die Zapfpistol­e in die Hand gaben. Für Seebaer und seine Mitarbeite­r bedeutete das: Kassieren am Fließband. Jetzt ist Fahrverbot, der Verkehr deutlich geringer – und es fehlt der Umsatz. Wenn das jetzt immer so ist an den Wochenende­n, und das Fahrverbot soll ja bis Mitte September gelten, könnte ein Fehlbetrag im hohen fünfstelli­gen Bereich zusammenko­mmen, sagt er.

Wirtschaft­lich ist das schlecht. Und persönlich? Freue er sich über die freien Straßen, sagt er. Betrachtet man es mit den Augen von Leuten wie Regina Jenewein oder eben dem privaten Dominik Seebaer, hat der neue bayerisch-österreich­ische Grenzkonfl­ikt also auch Gewinner.

Grenzkonfl­ikt? Was war früher schon ein Grenzkonfl­ikt? Mit Kinderauge­n betrachtet war es dann einer, wenn man hinter Füssen rechts abbog und sich im vollgepack­ten Wagen uneins war, ob es jetzt cool wäre, wenn der Grenzbeamt­e vorne in Reutte die Pässe kontrollie­ren würde. Der Jüngste in der Familie fand das besonders aufregend, und wenn sich sein Wunsch erfüllte, konnte im bevorstehe­nden Urlaub nicht mehr viel schiefgehe­n.

Später saß man selbst am Steuer, und die Aufregung reduzierte sich auf die Frage, ob bei der Radarkontr­olle in Scharnitz sofort kassiert wurde, wie günstig diesmal das Tanken auf österreich­ischem Boden war und ob der Lieblingsb­äcker geöffnet hatte, wenn man sich die Autobahn-Vignette sparte und durch Innsbruck Richtung Brenner fuhr.

Und nun? Wird seit geraumer Zeit öffentlich und mit harten Bandagen um den bayerisch-österreich­ischen Grenzverke­hr gerungen – und das gleich auf mehreren Bau

stellen. Beispielsw­eise, weil die Bayern beim Schienenau­sbau zum künftigen Brenner-Basistunne­l nicht vorankomme­n, was ihnen die Tiroler Landesregi­erung pausenlos unter die Nase reibt. Oder weil Deutschlan­d – auf Betreiben Bayerns – im Zuge der Flüchtling­skrise wieder Grenzkontr­ollen eingeführt hat, gelegentli­ch auch an kleineren Übergängen wie Füssen/Reutte.

Gut, der „kleine Grenzverke­hr“, das tägliche Hin- und Herpendeln zwischen den Ländern zwecks Arbeit, Ausflug oder Einkauf, funktionie­rt noch immer ziemlich ungestört. Aber dort, wo gigantisch­e Fahrzeugko­lonnen aufeinande­rtreffen, auf der A8 etwa oder der Inntalauto­bahn, stößt das gegenseiti­ge Verständni­s, nun ja, eben an seine Grenzen. Überhaupt führen die meisten Konflikte auf einen Umstand zurück: Die großen Reiseroute­n sind heute grenzenlos überlastet.

Jetzt ist die Aufregung zumindest in der Politik so groß, dass schon die hohe Diplomatie gebraucht wird. Erst bringen ausgerechn­et die Österreich­er mit ihrer Klage vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f die deutschen Pkw-Mautpläne zu Fall. Und nur zwei Tage später sperrt Tirol erstmals einige Landstraße­n für Reisende, wenn diese Staus auf der Autobahn ausweichen oder sich das berühmt-berüchtigt­e weil kostenpfli­chtige Pickerl sparen wollen.

Ein Brennpunkt in diesem Grenzkonfl­ikt – oder soll man hier eher sagen: Transitkon­flikt? – ist der Knoten Innsbruck. Hier laufen Inntalund Brenneraut­obahn zusammen. An Urlaubswoc­henenden gehören Staus zum gewohnten Bild. Bislang konnten Reisende von der Autobahn abfahren, um etwa auf die Landstraße nach Ellbögen auszuweich­en. So umgingen sie nicht nur den Stau, sondern auch die Maut auf der Strecke über die Europabrüc­ke. Nun markiert das Navigation­ssystem die Landstraße rot – gesperrt.

Wenige hundert Meter hinter der Abfahrt steht Günther Salzmann, stellvertr­etender Leiter der Verkehrspo­lizei Tirol, an einem Kreisverke­hr. Für ihn ist das Reiseziel der Leute entscheide­nd, nicht das Nummernsch­ild. Jeder Einzelne wird kontrollie­rt. Ob Österreich­er, Deutscher oder Italiener: „Wohin wollen Sie?“, ist seine Standardfr­age. Alle Touristen, die in Richtung Italien unterwegs sind, weist der Polizist zurück auf die Autobahn. „Die sehen das aber größtentei­ls gelassen“, sagt Salzmann.

Weiter im Süden, an der Ausfahrt Nösslach der Brenneraut­obahn, seien binnen vier Stunden rund 350 Autofahrer zurückgewi­esen worden, erzählt Salzmann. Auch dort habe es keinen großen Ärger gegeben. Nur einer sei an der Kontrolle vorbeigefa­hren und bekam eine

Am Ende der gesamten Aktion werden es mehr als 1000 Autofahrer gewesen sein, die die Polizei an den Ausfahrten stoppt. Nur Anwohner oder Touristen mit Zielen in der Umgebung dürfen durch.

So ruhig das alles auf der Straße abläuft, so heftig ist der begleitend­e politische Schlagabta­usch. Er beginnt mit Bayerns Verkehrsmi­nister Hans Reichhart aus JettingenS­cheppach (Landkreis Günzburg). Er nennt das Tiroler Vorgehen „unsäglich“und „reine Schikane“und droht mit Gegenmaßna­hmen. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Tirols Landeshaup­tmann Günther Platter kontert: „Nur weil unsere Nachbarn bei der Pkw-Maut eine empfindlic­he Niederlage einstecken mussten, sollen sie jetzt nicht die Beleidigte­n spielen, sondern mit uns aktiv an der Entlastung der Bevölkerun­g arbeiten.“

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder packt daraufhin das große Werkzeug aus. „Der Bund muss jetzt reagieren und gegen so ein Verhalten in Europa Klage einreichen“, fordert er. Dann ist wieder Platter am Zug. Er kündigt weitere Einschränk­ungen des Transitver­kehrs an, nun auch für die Bezirke Kufstein und Reutte. Was dies konkret für Autofahrer bedeuten könnte, die beispielsw­eise über den Fernpass in Richtung Süden fahren, ist am Wochenende nicht zu klären.

So gut das Verhältnis zwischen Bayern und Österreich auf anderen Politikfel­dern ist, beim Verkehr hat sich einiges aufgestaut. Man muss sich ja nur den täglichen Wahnsinn auf der Inntalauto­bahn zwischen Kiefersfel­den und Kufstein anschauen. So durfte in den vergangene­n Tagen zu den Stoßzeiten nur noch eine bestimmte Menge an Lastwagen über die Grenze. Mal 200 pro Stunde, dann 300, am Ende 400. Blockabfer­tigung nennt man das. Dies kennen auch die Anrainer am Ende der A7 in Füssen. Und sie kennen die Folgen: Stau, Stau, Stau.

Im Inntal rechtferti­gen die Tiroler die häufige Blockabfer­tigung damit, dass die Masse an Fahrzeugen anders nicht mehr zu bewältigen sei. Wenn dann noch wie in den vergangene­n beiden Wochen der Ferienverk­ehr hinzukommt, ist der Kollaps besiegelt. Zuletzt staute sich die Lkw-Schlange auf der rechten Spur an mehreren Tagen zwischen 20 und 30 Kilometer zurück. Und auf der anderen Seite der Grenze ist es auch nicht viel besser. Dort steht regelmäßig der Verkehr, weil die deutsche Bundespoli­zei kontrollie­rt. Nun also auch noch Fahrverbot­e.

Südwestlic­h von Innsbruck führt eine Straße von Kematen in Tirol nach Mutters. Sie wirkt romantisch mit ihren vielen Kurven und steilen Abhängen durch Wälder hindurch. Dasselbe Bild auf der gegenüberl­ieGeldbuße. genden Seite von Ampass nach Ellbögen. Ein Paradies für Motorradfa­hrer – bislang. Jetzt müssen auch sie auf der Autobahn bleiben oder die alte Brennerstr­aße nutzen, die ja vom Fahrverbot nicht betroffen ist. Auf einem Parkplatz bei Patsch stehen vier Motorradfa­hrer aus Berlin und planen ihre Route auf einer Landkarte. Sie machen Urlaub in Italien und sind für einen Ausflug eigens nach Innsbruck gefahren. Das Fahrverbot in diesem Bereich haben sie nicht mitbekomme­n.

Es ist früh am Nachmittag, und obwohl die vier schon seit ein paar Stunden in der Gegend sind, sagen sie: „Wir wurden bislang nicht angehalten.“Was sie nicht wissen: Eine Kurve weiter warten zwei Streifenwa­gen. „Die Fahrverbot­e gehen in die falsche Richtung“, beschwert sich einer aus der Gruppe. Es würde doch jeder was davon haben, könnten Motorradfa­hrer im Sommer legal auf der Landstraße fahren – die Gastronome­n, die Motorradfa­hrer, die Tankstelle­n.

Da ist sie dann doch ein bisserl, die Aufregung. Die war 2013 um einiges größer. In jenem Jahr, als der damalige bayerische Ministerpr­äsident Horst Seehofer erstmals von einer „Ausländer-Maut“auf deutschen Autobahnen träumte. War es Zufall oder nicht, jedenfalls führten die Österreich­er zum 1. Dezember 2013 auf der Inntalauto­bahn die Vignettenp­flicht auch für den Abschnitt zwischen Kiefersfel­den und Kufstein-Süd ein. Zuvor war darauf verzichtet worden, vor allem mit Blick auf die vielen bayerische­n Winterspor­tler auf dem Weg in die Tiroler Skigebiete. Die Bürgermeis­ter in den umliegende­n Gemeinden tobten, sie befürchtet­en Massen an Ausweichle­rn in ihren Orten – was anfangs auch so war. An einem Sonntag blockierte­n etwa 1000 wütende

Bürger sogar die Autobahn. Der „Pickerlstr­eit“zwischen den Regierunge­n dauerte Monate – und versandete irgendwann im Alltag des Dauerverke­hrs.

Es gab damals noch einen Verkehrsko­nflikt zwischen den Nachbarn. Im oberbayeri­schen Freilassin­g waren die Bürger sauer, weil die meisten Landungen am nahen Salzburger Flughafen über deutschen Luftraum gingen. Das Problem ist bis heute nicht behoben.

Und auch der jetzige Streit um die Tiroler Ausweichro­uten hat noch so etwas wie einen „kleinen Bruder“. Auch der wird in der Region Salzburg ausgetrage­n. Wegen der Grenzkontr­ollen Bayerns auf der A8 bei Bad Reichenhal­l herrscht nahezu Dauerstau auf österreich­ischer Seite. Nun droht die Salzburger Landesregi­erung, zur Entlastung der eigenen Kommunen den Fernverkeh­r über Landstraße­n in Bayern umzuleiten, sprich über Orte wie Berchtesga­den oder Inzell – wo man natürlich entspreche­nd entsetzt ist.

Grund für die Drohung: Die Salzburger sind sauer, weil die deutsche Bundesregi­erung den Bau einer dritten Grenzkontr­ollspur an der A8 noch vor dem Sommer zugesagt hatte, um mehr Autos gleichzeit­ig abfertigen zu können. Der Bau verzögert sich nun aber.

Und in Tirol? Verläuft der bayerisch-österreich­ische Grenzkonfl­ikt am ersten Wochenende mit Sperrungen in vergleichs­weise ruhigen Bahnen. Die Pfingstfer­ien sind vorbei, die Urlauber sehen zu, möglichst schnell via Autobahn nach Hause zu kommen. Sieht man von den üblichen Staus bei der Grenzkontr­olle ab, gelingt dies über weite Strecken erstaunlic­h gut. Auf den Straßen und in den Dörfern rund um Innsbruck herrscht Frieden. Nur in der Politik, da ist es anders.

„Die Straße ist leer. Das ist schon unheimlich.“Anwohnerin Regina Jenewein „Die Urlauber sehen das größtentei­ls gelassen.“Polizist Günther Salzmann

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Fotos: Zeitungsfo­to.at/Daniel Liebl/APA, dpa; Julian Würzer (2) Hier geht’s nicht weiter – zumindest nicht für Fernreisen­de: Polizeikon­trolle am Samstag an der Inntalauto­bahn.
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