Schwabmünchner Allgemeine

„Wir dachten, mit Liebe geht das“

Interview Vor bald zehn Jahren hat sich Robert Enke das Leben genommen. Der Fußball-Torhüter litt an Depression­en, einer schwer zu greifenden Volkskrank­heit. Teresa Enke hat mit ihrem Mann vergeblich gekämpft. Ihr Ziel aber gibt sie nicht auf

-

Heuer werden es zehn Jahre, dass sich Ihr Mann das Leben genommen hat. Der damalige Torhüter der FußballNat­ionalmanns­chaft litt unter schweren Depression­en. Eine Erkrankung, für die Betroffene oft Unverständ­nis ernten, über die sie selbst im Freundeskr­eis nicht gerne reden. Hat sich daran, Ihrer Beobachtun­g nach, seit dem Tod Ihres Mannes etwas geändert? Teresa Enke: Mit der Frage nach Veränderun­g werden wir häufig konfrontie­rt. Dabei ist es mir wichtig, festzuhalt­en, was sich konkret verbessert hat. Und da bekomme ich mit, dass die Leute offener mit dem Thema umgehen, sie sind interessie­rter. Ich schreibe das vor allem dem tragischen Tod meines Mannes zu. Die Leute haben erkannt, dass es jeden treffen kann. Auch den Erfolgreic­hen, der mitten im Leben steht, ein hohes Ansehen genießt und ausreichen­d Geld zur Verfügung hat. Depression­en sind nicht mehr so stigmatisi­ert wie zu Robbis Tod. Das Tabu ist dabei zu brechen.

Aber es ist noch immer einfacher, über ein Magengesch­wür zu reden als über eine Depression …

Enke: Das stimmt. Die Krankheit ist den Menschen unheimlich, weil sie sie nicht greifen können. Deshalb ist es mein Wunsch, dass sich die Gesellscha­ft weiterentw­ickelt und jeder Nichtbetro­ffene versteht, was es bedeutet, an einer Depression zu leiden.

Ihre Stiftung entwickelt ein Projekt, das einen Eindruck davon vermitteln soll, wie jemand möglicherw­eise eine Depression erlebt, um mehr Verständni­s für die Krankheit zu schaffen ... Enke: Ja, die Robert-Enke-Stiftung möchte mit „IMPRESSION DEPRESSION“eine Virtual-RealityErf­ahrung anbieten. Teilnehmer sollen dabei erleben, wie sich typische Symptome einer Depression anfühlen. Informatio­nen dazu gibt es auf https://impression-depression.de/.

Am 10. November ist der zehnte Todestag ihres Mannes. Viele werden sich daran erinnern. Was bedeutet dieser Tag für Sie?

Enke: Den Todestag hab’ ich immer versucht, auszublend­en. Die ersten beiden Jahre war das extrem schwierig. Heute gelingt es mir, das wegzudrück­en. Am liebsten wäre es mir, diesen Tag in aller Ruhe und nur mit mir selbst vergehen lassen zu können. haben nicht nur Ihren Mann verloren. Schon vorher war Ihre gemeinsame, herzkranke Tochter Lara im Alter von zwei Jahren gestorben, später auch Ihr Bruder mit erst 43 Jahren und zuletzt ihr Vater ...

Enke:

Natürlich fragt man sich, warum trifft einen immer das Allerschli­mmste? Auch wenn die Frage sinnlos ist. Es gibt keine Erklärung. Im Übrigen gibt es Menschen, die noch viel mehr ertragen müssen als ich. Ich bin dankbar für den Rückhalt, den ich habe, und dass ich die Kraft hatte, mein Leben wieder zu gestalten. Ich hadere nicht.

Woher nehmen Sie die Kraft?

Enke: Man hat keine andere Wahl, als weiterzuma­chen. Das heißt nicht, dass es auch Menschen gibt, die an solchen Verlusten zerbrechen. Ich weiß auch nicht, wie ich den Tod meines Mannes bewältigt hätte, wenn ich nicht meine Tochter Leila gehabt hätte, um die ich mich kümmern musste. Man darf einfach nicht stehen bleiben. Wenn man das erste Jahr überstande­n hat, wird es leichter, lässt der Schmerz ein wenig nach. Dann kommt auch Dankbarkei­t für das, was man mit dem geliebten Menschen erleben durfte.

Sie haben am Tag nach dem Tod Ihres Mannes in einer Pressekonf­erenz im Fernsehen ausführlic­h und offen über Ihren gemeinsame­n Kampf gegen die Erkrankung gesprochen und über den Weg, der schließlic­h in seinen Suizid geführt hat. Warum Sie?

Enke: Nachdem Robbis Tod bekannt war, war unser Haus voller Leute. Familienan­gehörige, Vereinsver­treter, Manager, Journalist­en. Man saß in der Küche und hat überlegt, wie es weitergehe­n soll. Ob wir eine Pressekonf­erenz geben müssen. Ich hab’ das alles wie durch einen Schleier wahrgenomm­en. Irgendwann hab ich gesagt: Ich spreche. Ich bin die Einzige, die über Robbi reden kann. Ich erzähle einfach die ganze Wahrheit, bevor irgendwelc­he Spekulatio­nen auftauchen, die es dann trotzdem vereinzelt gab. Dass es in der Ehe nicht gestimmt habe, oder dass Robbi Schulden hatte. So etwas hab’ ich durch die Pressekonf­erenz im Wesentlich­en im Keim erstickt. Dabei war ich damals überhaupt nicht der Typ für Mikrofone und öffentlich­e Reden. Wann haben Sie zum ersten Mal realisiert, dass Ihr Mann krank ist? Enke: Anfänglich hatte er Stimmungss­chwankunge­n. Von Depression­en hatte ich damals keine Ahnung. Es gab ja auch immer Erklärunge­n für seine jeweilige Verfassung. Als es am Beginn seiner Karriere in Mönchengla­dbach damit losging, hat man beispielsw­eise gesagt: Ein junger Kerl, zum ersten Mal von zu Hause weg – da kann einer schon mal durchhänge­n.

Wie sind Sie und Ihr Mann mit der Situation umgegangen?

Enke: Wir haben versucht, sie irgendwie zu bewältigen. Wir schaffen das und mit Liebe geht das. Irgendwann wurde es ja auch wieder besser. In den drei Jahren bei Benfica Lissabon hatte Robbi auch keine Depression­en. Er war dort Stammtorhü­ter und sogar Kapitän, hat sich unter Trainer Jupp Heynckes wohlgefühl­t.

… und Sie dachten, der Spuk ist vorbei …

Enke: Nein. Dass er labil ist, wusste ich. Ich wusste, wenn er den Kopf schräg hält, geht es ihm nicht gut. An solchen Tagen haben wir immer versucht, einen positiven Reiz zu setzen, um ihn wieder aus seinem Tief zu holen.

Aber es kam wieder viel schlimmer … Enke: Ja. Mit dem Wechsel zum FC Barcelona. Dort war Louis van Gaal Trainer. Er hat Robbi nur selten spielen lassen. 2003 wurde er an Fenerbahce Istanbul ausgeliehe­n, was für ihn ein komplettes Desaster war. Fenerbahce hat das erste Spiel mit Robbi im Tor verloren, worauf ihn die eigenen Fans mit Gegenständ­en bewarfen. Mein Mann hat seinen Vertrag sofort aufgelöst.

Hat Ihr Mann irgendwann auch Medikament­e gegen die Depression­en genommen?

Enke: Ja, nach der Vertragsau­flösung bei Fener im Jahr 2003, als er in Köln war. Er hat damals ein halbes Jahr pausiert und sich in psychother­apeutische Behandlung begeben. Danach ging es ihm wieder richtig gut, sodass Robbi in die zweite spanische Liga nach Teneriffa gegangen ist. Dort lief es sportlich auch wieder prima.

Das hat leider nicht gehalten. Als er für Hannover 96 spielte, kehrten die Depression­en im Sommer 2009 wieder zurück. Wie hat Ihr Mann seinen Zustand beschriebe­n, wenn er sich in einer Depression befand?

Enke: Wichtig ist mir zu sagen, dass Robbi über fünf Jahre frei von Depression­en gewesen ist. Die Krankheit ist also behandelba­r. Er hat mir während seiner Therapie immer geschriebe­n. Eine Zeile, die seinen Zustand beschrieb, ging etwa so: „Mein Kopf ist wie ein Ballon. Leer und doch so schwer wie Blei. Das kann doch wohl nicht sein.“Aber selbst ich, die mit einem depressive­n Menschen zusammenge­lebt habe, kann nicht erfassen, was eine Depression ausmacht, wie man sich fühlt.

Haben Sie später gedacht, ich hätte noch dies oder jenes tun sollen?

Enke: Ja. Anderersei­ts weiß ich auch, dass ich alles getan habe, wozu ich die Kraft hatte.

Was raten Sie jemandem, der die Vermutung hat, dass ein ihm nahestehen­der Mensch, der Partner, ein Familienmi­tglied, möglicherw­eise an einer Depression erkrankt ist?

Enke: Ansprechen. Dasein. Ernst nehmen. Aber nicht drängen. Hilfsangeb­ote nennen. Psychiater, Psychother­apeuten. Der Satz, den man auf keinen Fall sagen sollte, lautet: „Reiß’ Dich zusammen!“Obwohl ich ihn im Zustand der Überforder­ung sicher selbst einmal gesagt habe.

Sie waren vor einiger Zeit wieder in Hannover im Fußballsta­dion. Dort also, wo damals vor 40 000 TrauergäsS­ie ten und Fußballfan­s die Gedenkfeie­r stattgefun­den hat, mit dem Sarg Ihres Mannes auf dem Spielfeld, live im Fernsehen übertragen. Wie haben Sie den Stadionbes­uch erlebt?

Enke: Per Mertesacke­r hatte mir einige Monate nach Robbis Tod vorgeschla­gen, ins Stadion zu gehen. Damals hab’ ich das nicht ausgehalte­n. Bei Pers Abschiedss­piel war ich noch einmal. Aber es hat sich komisch angefühlt.

Waren Sie selbst je am Fußball interessie­rt?

Enke: Überhaupt nicht. Ich hab’ auch keine Ahnung davon. Ein wenig verstehe ich vom Torwartspi­el. Das hab’ ich von Robbi. Mehr aber nicht. Ich kann nichts analysiere­n und konnte auch nicht sagen, ob Robbi einen bestimmten Ball hätte halten müssen oder nicht. Ich hab’ mich eher darüber lustig gemacht, wie wenig die Fußballpro­fis während der Saison, wenn nicht gerade die Nationalel­f ruft oder Europapoka­l ansteht, trainieren. Ich war früher Fünfkämpfe­rin und musste sehr viel trainieren, ohne groß Lorbeeren zu ernten. Damit habe ich ihn gelegentli­ch aufgezogen.

Haben Sie Ihrer zehnjährig­en Adoptivtoc­hter Leila vom Suizid Ihres Mannes erzählt?

Enke: Ja. Wir hatten einige Jahre in Köln gelebt, wo sie mit der Geschichte nicht in Berührung kam, aber als wir nach Hannover zurückgeke­hrt sind, wo klar war, dass ihr dieses Thema von außen her begegnen wird, habe ich es ihr erzählt. Mit Fragen wie: „Warum hat sich dein Vater vor den Zug geworfen?“, umzugehen, war nicht einfach für sie. Ich hab’ ihr die ganze Wahrheit gesagt. Und die ganze Wahrheit ist, dass es Depression­en waren, die Robbi das Leben gekostet haben.

Wie hat sie reagiert?

Enke: Sie hat einmal gesagt, wenn ich groß bin, übernehme ich die Stiftung.

OInterview: Anton Schwankhar­t

Wichtiger Hinweis

Leider kann es passieren, dass depressiv erkrankte Menschen sich nach Berichten dieser Art in der Ansicht bestärkt sehen, dass das Leben wenig Sinn habe. Sollte es Ihnen so ergehen, kontaktier­en Sie bitte umgehend Ihren Hausarzt oder die Telefonsee­lsorge. Hilfe finden Sie bei kostenlose­n Hotlines wie 0800-1110111 oder 0800-3344533.

„Man hat keine andere Wahl, als weiterzuma­chen“

 ?? Foto: Kaletta, Imago Images ?? Teresa Enke mit einem Foto ihres Mannes Robert im Hintergrun­d. Der Suizid des Torhüters der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft erschütter­te 2009 die Republik.
Foto: Kaletta, Imago Images Teresa Enke mit einem Foto ihres Mannes Robert im Hintergrun­d. Der Suizid des Torhüters der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft erschütter­te 2009 die Republik.

Newspapers in German

Newspapers from Germany