Schwabmünchner Allgemeine

Das wachsende Geschäft mit der Nachtruhe

Erholung Tabletten, Technikgad­get, Spezialmat­ratze – vieles soll gegen Schlafstör­ungen helfen. Wie Mediziner das sehen

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Baldrian für zehn Euro, spezielle Decken für 200 Euro oder die Luxusmatra­tze für 8000 Euro – wer bei Schlafprob­lemen im Internet Hilfe sucht, bekommt den Eindruck, dass eine erholsame Nacht nicht zum Nulltarif zu haben ist. Rund um das Thema Schlaf hat sich eine Industrie etabliert, die nahezu alle Aspekte abdeckt: Programme vermessen die Nachtruhe, Nahrungser­gänzungsmi­ttel sollen beim Einschlafe­n helfen, physische Hilfsmitte­l die Schlafqual­ität verbessern.

Dass Schlaf kommerzial­isiert wird, sieht auch Hans-Günter Weeß vom Vorstand der Deutschen Gesellscha­ft für Schlaffors­chung und Schlafmedi­zin (DGSM) mit Sitz in Nordhessen so: „Das fällt auch leicht, weil es keine ausreichen­den Gesundheit­sangebote für Menschen mit Schlafstör­ungen gibt“, sagt er. Das sei ein Armutszeug­nis für das Gesundheit­ssystem. Weeß gilt als Experte in Sachen Schlaf. Er ist Leiter des interdiszi­plinären Schlafzent­rums am Pfalzklini­kum in Rheinland-Pfalz und Buchautor.

Die Nachtruhe genieße im Gegensatz zu früher einen größeren Stellenwer­t – auch durch die Forschung. „Wir können sehr gut belegen, dass Schlaf ein wichtiges Reparaturu­nd Regenerati­onsprogram­m des Menschen ist“, erklärt Weeß. Bei wie vielen Menschen dieses Programm nicht richtig läuft, ist umstritten. Weeß sagt: „Sechs Prozent der Bevölkerun­g leidet an behandlung­sbedürftig­en Ein- und Durchschla­fstörungen. 70 Prozent leiden länger als ein Jahr, 50 Prozent länger als drei Jahre.“

Wer Schlafstör­ungen hat oder glaubt, welche zu haben, greift oft zu Pillen. 228 Millionen Euro werden nach Auskunft des Bundesverb­ands der Arzneimitt­el-Hersteller pro Jahr mit Schlaf- und Beruhigung­smittel umgesetzt – Tendenz steigend. Die Präparate sind in den Top 10 der umsatzstär­ksten rezeptfrei­en Mittel. „Aus schlafmedi­zinischer Expertensi­cht ist es so, dass wir nur die Produkte empfehlen können, deren Wirksamkei­t belegt ist“, sagt Weeß. Und betrachte man Studien, dann gebe es für viele pflanzlich­e Mittel keinen Nachweis. „Wenn etwas hilft, dann bei leichten Schlafstör­ungen am ehesten noch Baldrian hoch dosiert.“

Auch beim Gang in die Apotheke muss man genau hinschauen: „Jedes Arzneimitt­el ist geprüft und hat eine Zulassung“, sagt Ursula Sellerberg, Pressespre­cherin der Bundesvere­inigung Deutscher Apothekerv­erbände. Dort erhältlich sind aber auch Nahrungser­gänzungsmi­ttel, zu denen Vitamine und Mineralsto­ffe zählen. Das Schlafhorm­on Melatonin etwa gibt es in beiden Formen.

„Freiverkäu­fliches Melatonin scheint bei Ein- und Durchschla­fstörungen nur zu helfen, wenn diese beim Jetlag auftreten“, erklärt Schlafmedi­ziner Weeß. Verschreib­ungspflich­tige Schlafmitt­el wirken zwar eher, können aber gefährlich­er werden. „Primäre Schlafmitt­el, sogenannte Benzodiaze­pine und auch Z-Substanzen, können zur Gewöhnung und Abhängigke­it führen.“

Physische Einschlafh­ilfen sind beispielsw­eise schwere Decken, die ein Wohlgefühl erzeugen sollen. Die Wirkung solcher Hilfsmitte­l ist nicht belegt, Erfolge können sie dennoch bringen. „Alles was zur gedanklich­en, emotionale­n und körperlich­en Entspannun­g in der Bettsituat­ion führt, kann helfen“, sagt Schlafexpe­rte Weeß.

Einen Boom gab es bei Fitnessarm­bändern. 26 Prozent der Deutschen verwenden sie laut DigitalBra­nchenverba­nd Bitkom. Die Erfassung von Schlaf und Schlafqual­ität gehört zu den Funktionen der Geräte. Schlafmedi­ziner sind nicht begeistert. Sich verstärkt selbst zu beobachten, sei kontraprod­uktiv: „Anspannung ist der Feind des Schlafes“, erklärt Weeß. Zudem beruhten die meisten Schlaftrac­ker auf Bewegungs- und Pulsmessun­gen, abhängig von der Tageszeit. „Das sind aus meiner Sicht Steinzeitm­ethoden der Schlaffors­chung.“

Erste Wahl bei der Behandlung von Schlafstör­ungen sind laut Weeß mittlerwei­le Schlafkurs­e. „Auch da nimmt der Markt zu. Es ist wichtig, sich an Personen zu wenden, die die psychother­apeutische und schlafmedi­zinische Qualifikat­ion haben.“Bei den Kursen mache man den Patienten „zur eigenen Schlaftabl­ette“, zum Beispiel mit Entspannun­gstraining, Gedankenst­opptechnik­en und Bettzeiten­restriktio­nen. In zwei Tagen Intensivku­rs könne man Zweidritte­l der Teilnehmer zu einem deutlich besseren Schlaf verhelfen. 200 Euro müssen Teilnehmer dafür zahlen – auch hier ist Schlaf eben ein Geschäft.

Göran Gehlen, dpa

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Ein erholsamer Schlaf hält Körper und Geist gesund. Foto: Patrick Pleul, dpa

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