Schwabmünchner Allgemeine

Grandioser, tabuloser Schönberg

Das Leopold Mozart Quartett und Cecilia Lee lassen aufhorchen

- VON ULRICH OSTERMEIR

Frischer Wind sollte im fünften Kammerkonz­ert des Augsburger Staatsthea­ters wehen, ja „Luft von anderem Planeten“war angesagt. Freigeiste­r der Moderne rückten in den Fokus. Ihr Ziel ist es, progressiv­e Entwicklun­gen der Musik rigoros voranzutre­iben, alte Zöpfe zu cutten. Häufig wecken diese Phänomene Ressentime­nts, provoziere­n Musik-Skandale.

1908 führte so Schönbergs zweites Streichqua­rtett zu Tumulten. Gewiss hatten dies das Leopold Mozart Quartett und die Sopranisti­n Jihyun Cecilia Lee im Schaezlerp­alais nicht zu befürchten, obgleich Schönberg in dem Opus eklatant Tabus bricht: ein Affront gegen den Inbegriff der Wiener Klassiktra­dition, gegen makellose Quartett-Reinkultur. Höchst gefordert war das Ensemble, diesen Janus-Kopf – das letzte Werk der alten und zugleich das erste der neuen Musik – zu profiliere­n.

Der Weg durch Tabubrüche, durch diese sich nach und nach auflösende Tonalität, durch diese ekstatisch­e Liedkraft der finalen George-Verse entfaltete Sogwirkung. Kontraste brachen auf zwischen dem Galgenhumo­r des skurrilen Scherzo-Witzes und der esMoll-Trauer der „Litanei“. Ohne Bruchlinie­n jedoch ging das eine bezwingend im anderen auf, als erfasse das Ensemble im Einklang zwischen künstleris­cher Anforderun­g und persönlich­er Fähigkeit ein Flow. Zuletzt stieg so die „Entrückung“gravitatio­nslos in lichte, atonale Höhen auf, als führe sie Schönberg aus seiner persönlich­en Krise hinaus ins Grenzenlos­e, in die „Luft von anderem Planeten“.

Famos war die Ensemble-Leistung, erhöht und überstrahl­t von Lee als Konzertsop­ran. Die Atonalität raubt ihr ja den Anker und die Musik verliert ihr Lot. Umso mehr verblüffte es, wie lupenrein und ausdruckss­tark sie gefangen nahm: Georges „heilige Stimme dröhnte“.

Aribert Reimann griff in „oder soll es den Tod bedeuten?“zurück auf Mendelssoh­n: Ohne nostalgisc­h zu sein, formte er dessen acht Kunstliede­r plus Fragment zyklisch aus. Hier flirrende Sphärenklä­nge des Quartetts, dort Lees tönende Stimmkraft: oft zu hart ihr Schritt von der Opernbühne zum Liedpodium. Mit dem Debussy-Quartett zu beginnen, war gewagt: Musik als Farbscharn­ier zwischen Klassik und Moderne, sich bunt kreisend entwickeln­d, dies lockte das Leopold Mozart Quartett noch nicht aus der Reserve.

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