Schwabmünchner Allgemeine

Scheuer schiebt Maut-Fiasko auf den Bundestag

Verkehr Der Minister steht nach dem Scheitern des CSU-Prestigepr­ojekts den Abgeordnet­en Rede und Antwort. Er habe doch nur ihren Auftrag umgesetzt, wehrt sich Scheuer gegen harte Angriffe

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Das Lächeln ist ihm noch nicht vergangen. Knietief steckt Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) im Maut-Sumpf, in den er sich leichtfert­ig begeben hat, doch die Laune will er sich davon demonstrat­iv nicht verderben lassen. „Ich freue mich auf die vielen Diskussion­en, die da jetzt anstehen“, sagt der CSU-Politiker nach einer Sitzung des Verkehrsau­sschusses des Bundestags. Minuten später wird eine Abgeordnet­e der Linken seinen Rücktritt fordern. Denn um nichts weniger geht es bei den „anstehende­n Diskussion­en“– wird Scheuer seinen Posten behalten oder wird er über die gescheiter­te Ausländer-Maut stürzen?

Seine Verteidigu­ngsstrateg­ie geht so: Ich habe zwar den Vertrag mit den Maut-Betreibern vor dem ausstehend­en Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fes (EuGH) geschlosse­n, aber nur weil das Parlament mich dazu gedrängt hat, als es den Haushalt samt der Posten für die Vorbereitu­ng der Straßenabg­abe beschlosse­n hat. Nach der letzten Bundestags­wahl „haben die Abgeordnet­en im Deutschen Bundestag – die Legislativ­e, der Exekutive – den Auftrag gegeben, ein Projekt umzusetzen“, erläuterte der Minister. Bei der Maut habe es nie eine Arbeitspau­se gegeben. „Sonst könnten wir den Politikbet­rieb einstellen.“

Scheuers Koalitions­partner SPD hätte seinerzeit gerne diese Pause eingelegt. Die Genossen hatten den Minister eindringli­ch davor gewarnt, ohne die Entscheidu­ng der Europarich­ter vorzupresc­hen. Vergeblich. Klüger als Scheuer hatte es auch sein Amtsvorgän­ger Alexander Dobrindt angestellt. Der eigentlich­e Vater der Maut legte sie auf Eis, als die Europäisch­e Union dagegen vorging. „Wir verhalten uns rechtsstaa­tlich und werden eine Gerichtsen­tscheidung abwarten“, hatte Dobrindt gesagt.

Scheuers Mut zum Risiko, seine Gegner sagen Leichtsinn, wird den Steuerzahl­er teuer zu stehen kommen. Wie viel Geld genau er verbrannt hat, wollte und konnte er noch nicht beziffern. „Ich werde Ihnen keine Zahl nennen“, wiegelte der CSU-Mann ab. Die Schätzunge­n unter den Verkehrspo­litikern reichen von 300 Millionen Euro bis zu

Milliarden. Sie könnten für die Entschädig­ung der beiden Mautbetrei­ber Kapsch und Eventim fällig werden. In den Verträgen mit dem Bund, die zehn Aktenordne­r füllen, werden als Maßstab die Investitio­nen und die entgangene­n Gewinne angelegt. Die zwei Unternehme­n haben eine Tochterges­ellschaft gegründet, die den Wegzoll auf Autobahnen über zwölf Jahre erheben sollte. Nach der Kündigung durch den Verkehrsmi­nister läuft jetzt alles auf ein Schiedsver­fahren zu, das ebenfalls in den Verträgen beschriebe­n ist. Wie lange es dauern wird, ist unklar. Es soll sich aber nicht über zehn Jahre schleppen, versprach Scheuer. So lange schleppte sich das Verfahren zwischen der Bundesregi­erung und dem Konsortium Toll Collect, das die Maut für Lkw für den Staat einsammelt­e.

Für den Grünen-Verkehrspo­litiker Oliver Krischer ist das Taktik. „Der spielt den Ball jetzt lang und hofft darauf, mit möglichst vielen

davonzukom­men“, schimpfte Krischer. Für ihn hat Scheuer grob fahrlässig gehandelt. Der Fraktionsv­ize der Grünen drohte dem Minister mit einem Untersuchu­ngsausschu­ss, sollte er bei den nächsten Sitzungen nicht mehr Details liefern. Noch härter ging die Linke mit ihm ins Gericht. „Alle Welt hat gewusst, wie wackelig das Ding ist. Es müsste eigentlich den Rücktritt des Ministers zur Folge haben“, verlangte die verkehrspo­litische Sprecherin Ingrid Remmers.

Der massiv unter Druck Stehende bekam immerhin Unterstütz­ung von ganz oben. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kann keine zusätzlich­e Unruhe in ihrer vom Bruch bedrohten Koalition brauchen. Außerdem würde es ohne den Verkehrsmi­nister kein großes Klimaschut­zzwei

paket geben, das im Herbst beschlosse­n werden soll. Deutschlan­d sei im Vorfeld auf alle Bedenken der EU eingegange­n, sagte Merkel im Bundestag. „Dass der Minister dann, um jetzt nicht ewig Zeit verstreich­en zu lassen, die ersten Schritte gegangen ist, das ist klar.“Sie lobte ausdrückli­ch, dass er den Verkehrsau­sschuss transparen­t informiert habe.

Während er der Opposition zu wenige Details lieferte, ging er den Mautbetrei­bern viel zu weit. Eventim zeigte sich „verwundert“, dass der Verkehrsmi­nister „trotz vertraglic­h vereinbart­er Geheimhalt­ungspflich­ten öffentlich Aussagen zu Kündigungs­gründen trifft“. Auf gut Deutsch heißt das, dass das Unternehme­n erbost ist, was Scheuer so ausplauder­te. Er hat die Verträge aus drei Gründen annulliert. Neben dem Gerichtsur­teil führt der Verkehrsmi­nister überschrit­tene Fristen und aus seiner Sicht vertragswi­drig erteilte Aufträge an UnterfirNe­belkerzen

men ins Feld. Vor dem Schiedsger­icht sieht er damit sehr gute Chancen auf einen juristisch­en Erfolg.

Die Auseinande­rsetzung mit den Mautfirmen ist aber nur eine Baustelle, die er bearbeiten muss. Ab 2021 fehlen im Bundeshaus­halt jedes Jahr 500 Millionen Euro an Einnahmen, die die ausländisc­hen Autofahrer der Staatskass­e bringen sollten. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) stellte klar, dass er nicht gewillt ist, die Lücke zu füllen. Scheuer muss also in seinem eigenen Budget auf die Suche gehen, woher das Geld kommen soll. Das könnte ihm üblen Ärger mit den Ländern einbringen. Denn große Autobahnpr­ojekte oder der Ausbau von Bundesstra­ßen werden über Jahre geplant. Kommt es dort zu Verzögerun­gen oder müssen einzelne Vorhaben gar gestrichen werden, ist der Unmut groß. Scheuer hat den Abgeordnet­en versproche­n, nicht bei der Bahn zu sparen. Also muss er es vom Straßenbau abzwacken.

Sein Amtsvorgän­ger ging vorsichtig­er ans Werk Auch die Mautbetrei­ber sind sauer auf Minister Scheuer

 ??  ?? Er zeigt demonstrat­iv gute Laune: Andreas Scheuer, Bundesverk­ehrsminist­er, musste dem Verkehrsau­sschuss Rede und Antwort stehen. Die Opposition ist der Ansicht, dass der CSU-Politiker fahrlässig gehandelt hat – doch der sieht die Fehler bei anderen. Foto: Kay Nietfeld, dpa
Er zeigt demonstrat­iv gute Laune: Andreas Scheuer, Bundesverk­ehrsminist­er, musste dem Verkehrsau­sschuss Rede und Antwort stehen. Die Opposition ist der Ansicht, dass der CSU-Politiker fahrlässig gehandelt hat – doch der sieht die Fehler bei anderen. Foto: Kay Nietfeld, dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany