Schwabmünchner Allgemeine

Drama am Rio Grande

Flüchtling­e Der Tod eines Mannes und seiner Tochter zeigt den Amerikaner­n, wie groß das Elend an der Grenze ist

- VON KARL DOEMENS

Washington Die PBS Newshour ist die wohl nüchternst­e Nachrichte­nsendung im sonst so dauererreg­ten US-Fernsehen. Am Dienstagab­end aber sah sich die Moderatori­n zu einem Warnhinwei­s genötigt. „Unser folgender Beitrag enthält Bilder, die Sie verstören könnten“, kündigte sie vor einem Bericht über die Lage an der amerikanis­ch-mexikanisc­hen Grenze an.

Tatsächlic­h ist die Lage entlang der 3200 Kilometer langen Landesgren­ze katastroph­al. Eine Rekordzahl von Flüchtling­en aus Lateinamer­ika drängt in das Land, in den überfüllte­n Auffanglag­ern herrschen menschenun­würdige Bedingunge­n und der Chef der zuständige­n Grenzschut­zbehörde hat das Handtuch geworfen. Das Foto eines salvadoria­nischen Vaters, der mit seiner knapp zweijährig­en Tochter in der Strömung des Rio Grande ertrank, schockte am Mittwoch viele Amerikaner. Mit dem Gesicht nach unten liegen die beiden im Wasser. Das Unglück im Grenzgebie­t zwischen Mexiko und den USA geschah bereits am Sonntag, wie die Zeitung La Jornada berichtete. Der etwa 25-jährige Mann und seine 21 Jahre alte Frau hätten versucht, mit ihrer kleinen Tochter am Grenzort Matamoros den Fluss zu überqueren, um von Mexiko aus nach Texas zu gelangen. Zunächst habe der Vater das kleine Mädchen auf der US-Seite am Ufer abgesetzt. Dann sei er zur mexikanisc­hen Seite zurückgeke­hrt, um seine Frau zu holen. In dem Moment sei die Tochter ins Wasser gesprungen. Der Vater habe sie noch greifen können, beide seien dann aber von der starken Strömung mitgerisse­n worden, zitierte La Jornada die Frau. Das Bild erinnert in seiner Wirkung an das Foto des dreijährig­en syrischen Flüchtling­sjungen Alan Kurdi, dessen Leiche im Spätsommer 2015 an einem Strand in der Türkei gefunden wurde.

„Wir als Nation befinden uns an einem ganz dunklen Punkt“, drückte Terry Canales, ein demokratis­cher Abgeordnet­er im texanische­n Landesparl­ament, die Stimmung vieler Landsleute aus: „Das bricht mein Herz.“

Als Präsident Donald Trump im Februar den Notstand an der Grenze ausrufen ließ, wollte er dem Kongress damit Geld für den Bau seines Lieblingsp­rojekts, einer Mauer, abpressen. Inzwischen aber herrscht tatsächlic­h eine humanitäre Katastroph­e. Eine Gruppe von Anwälten und Ärzten, die in der vergangene­n Woche die Grenzstati­on Clint rund 20 Meilen südöstlich von El Paso besucht hatte, fand dort hunderte Kinder, die ohne Zugang zu einer Dusche, zu Zahnpasta und Seife, ohne Windeln und ohne angemessen­es Essen auf engstem Raum zusammenge­pfercht waren. Teilweise trugen die Kinder die verschmutz­te Kleidung, mit der sie einen Monat zuvor angekommen waren.

Getrieben von der wirtschaft­lichen Not und Kriminalit­ät in ihrer Heimat ebenso wie von der Angst vor einer Schließung der US-Grenze wagt derzeit eine Rekordzahl von Menschen aus Guatemala, Honduras und El Salvador die Flucht gen Norden. Alleine im Mai wurden mehr als 144 000 Migranten von den US-Behörden aufgegriff­en – der höchste Wert seit 13 Jahren. Laut Gesetz dürfen die Neuankömml­inge maximal 72 Stunden an den Grenzstati­onen festgehalt­en werden, wo ihre Personalie­n erfasst werden. Dann sollen sie in Flüchtling­sunterkünf­ten des Gesundheit­sministeri­ums untergebra­cht werden.

Doch trotz des Neubaus von Notunterkü­nften auf Militärbas­en in Texas reichen deren Kapazitäte­n nicht aus. „Wir sind voll. Wir haben keinen Platz mehr“, erklärte Gesundheit­sminister Alex Azar lakonisch. Also bleiben vor allem die von ihren Eltern getrennten oder unbegleite­t eingereist­en Kinder in den Grenzstati­onen zurück, die für die Öffentlich­keit unzugängli­ch sind.

Unter dem Eindruck des aktuellen Chaos trat am Dienstag der oberste US-Grenzschüt­zer John Sanders zurück. Er hatte den Posten – wie übrigens auch der Heimatschu­tzminister – ohnehin nur kommissari­sch bekleidet. Sanders sei „überforder­t von der Größe der Krise und dem dauernden Wechsel von Personal und Direktiven der Trump-Regierung“gewesen, schreibt das Wall Street Journal. Sein Nachfolger soll der derzeitige geschäftsf­ührende Chef der Einwanderu­ngspolizei, Mark Morgan, werden – ein knallharte­r Hardliner, der einmal erklärte: „In den Augen der Flüchtling­skinder sehe ich künftige Bandenmitg­lieder.“

Präsident Trump macht die Demokraten für die katastroph­ale Lage verantwort­lich: „Ich kann nur sagen: Wenn wir die Gesetze ändern würden, hätten wir die Probleme nicht.“Auch ein Hilfspaket im Umfang von 4,5 Milliarden Dollar ist politisch hochumstri­tten. Offiziell sollen daraus Essen, Kleidung, Hygieneart­ikel und Unterkunft für die Flüchtling­e bezahlt werden. Linke Abgeordnet­e der Demokraten lehnten das Vorhaben ursprüngli­ch trotzdem ab, weil sie eine Umwidmung der Gelder für den Grenzschut­z fürchteten. Nachdem diese Möglichkei­t durch einen Zusatzpara­grafen ausgeschlo­ssen wurde, nahm das Repräsenta­ntenhaus das Gesetz in der Nacht zum Mittwoch an.

Derweil geht der verzweifel­te Zug der Migranten aus Mittelamer­ika in Richtung USA weiter. „Es kommen mehr Menschen als je zuvor, weil unsere Wirtschaft so gut läuft“, twitterte Präsident Trump. Doch davon spüren die Einwandere­r wenig. Einige erreichen ihr Ziel erst gar nicht, wie eben jetzt der ertrunkene Vater und seine zweijährig­e Tochter. Im vorigen Jahr starben nach offizielle­n Statistike­n 283 Menschen beim Versuch, über den Rio Grande oder durch die SonoraWüst­e in die Vereinigte­n Staaten zu gelangen.

 ??  ?? Mexikanisc­he Beamten stehen an der Stelle, wo die Leichen eines Migranten aus El Salvador und seiner zweijährig­en Tochter am Ufer des Rio Grande im mexikanisc­hen Matamoros gefunden wurden, nachdem sie beim Versuch, den Fluss nach Brownsvill­e in Texas, USA, zu überqueren, ertrunken sind. Foto: Julia Le Duc, dpa
Mexikanisc­he Beamten stehen an der Stelle, wo die Leichen eines Migranten aus El Salvador und seiner zweijährig­en Tochter am Ufer des Rio Grande im mexikanisc­hen Matamoros gefunden wurden, nachdem sie beim Versuch, den Fluss nach Brownsvill­e in Texas, USA, zu überqueren, ertrunken sind. Foto: Julia Le Duc, dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany